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»Certo, un sciopero di pecorai!«

Aha, dachte ich’s mir doch! »Come? Wie bitte?« Ich verstehe nur Bahnhof, was heißt denn nur dieses sciopero?

»Die Schäfer streiken und haben den Flughafen lahmgelegt«, sagt plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und blicke in die Augen eines jungen Mädchens mit Rastazöpfchen.

»Ach, wirklich? Woher wissen Sie das?«, antworte ich ihr dankbar.

»Die sind stinksauer, weil die Preise für ihre Ziegenmilch so in den Keller gegangen sind, alles wegen der Scheißmafia, die wollen das Monopol.«

Ich bedanke mich für diese Auskunft. Was gehen mich deren Milchpreise an? Erneut angle ich mein Handy aus der Tasche und wähle Brunos Nummer. Es läutet und läutet, aber er geht nicht ran. Wenigstens scheint er gelandet zu sein. Na, dann wird er ja gleich sehen, was hier für ein Chaos herrscht! Inzwischen skandieren die aufgebrachten Bauern unter dem Geläut ihrer Ziegenglocken derart laut, dass einem die Ohren weh tun. Sie rammen ihre Stecken in den Boden und schreien ihre Parolen heraus. Mir reicht’s! Ich halte mir die Ohren zu und versuche, mich durch die Menschenmenge zu drängeln, links hinten in der Halle habe ich eine Bar gesehen. Der Weg zur Bar gestaltet sich äußerst schwierig. Kinder sitzen auf Rucksäcken, völlig genervte Mütter versuchen, weinende Babys zu beruhigen. Alle schreien durcheinander. Immer noch kein Bruno in Sicht. Überhaupt entdecke ich nur verzweifelte und wütende Gesichter. Nur wenige überlassen sich ihrem Schicksal und versuchen zu scherzen. Ich kann nur durch ihre Mimik verstehen, was sie bewegt, aber ich spüre eine unglaubliche Energie in diesem Raum. Wie so oft in Italien beherrscht die Emotion die Lage. Die Menschen denken nicht groß nach, sondern genießen das casino, wie sie so schön zu einem Durcheinander sagen. Endlich kann man mal so richtig in die Vollen gehen, ohne Rücksicht auf Verluste. Entweder sich ergeben oder ordentlich zuschlagen, lautet die Devise.

Ich quetsche mich weiter in Richtung Bar. Wenn ich auf den Tresen klettere, kann ich besser nach Bruno Ausschau halten. Leider ist hier gerade niemand, der freundlich fragt, ob man vielleicht einen Cappuccino möchte, oder, der Situation angemessener: einen Whisky. Das Personal hat sich offenbar rechtzeitig in Sicherheit gebracht, wohl ahnend, welche Meute sich hier versammeln würde. Vielleicht frage ich einen Bauern nach einem Glas Ziegenmilch, ich würde in diesem Moment alles für etwas Trinkbares geben. Beherzt schwinge ich meinen Popo auf den Tresen. Dabei rempele ich einen Mann an, und meine Tasche fällt mit lautem Getöse auf den Boden. Der Akku meines Handys fällt auch heraus, jetzt kann mich Bruno nicht mehr erreichen. Verzweifelt suche ich den Boden nach meinen Habseligkeiten ab. Mein Rock ist verschmiert, und einen Moment lang habe ich das Bedürfnis, ein paar Tränen zu verdrücken, so sehr bedauere ich mich.

Aufstand der Hirten

Bruno

An den Gepäckbändern tummeln sich Schafe, manche versuchen, sie zu erklimmen, manche blöken verängstigt. Unser Gepäckband kreist weiterhin leer vor sich hin. Nicht mal ansatzweise ein Koffer von gut hundert Passagieren, die um halb zwölf mit dem Air-One-Flug aus Rom gelandet sind. Deshalb beschließen wir um 12 Uhr 35 einmütig, zum Blitzangriff überzugehen. Der Erste, der aufbegehrt, ist ganz dem Beispiel eines verängstigten Schäfchens folgend auf das Gepäckband gesprungen, hat sich in die Ausgabeöffnung gestürzt und ist mit einer Plastiktüte auf dem Kopf wieder hervorgekommen. Ein Angestellter an der Gepäckausgabe wurde sogar von einem wütenden weiblichen Fluggast gebissen, als er sie darauf hinwies, dass er nicht für die Funktionstüchtigkeit des Bandes zuständig ist.

Ich muss an Jutta denken und hoffe, dass wenigstens sie ihr Gepäck bekommen hat. Ihr Flugzeug aus München sollte schon vor über einer Stunde landen, vielleicht hat man da noch pünktlich ausgegeben. Ich habe schon versucht, sie auf dem Handy zu erreichen, aber natürlich herrscht auch auf der anderen Seite der Glasscheibe ein solches Durcheinander, dass sie mich nicht hören kann. Ihr Telefon hat mehrmals geklingelt, aber sie geht nicht ran. Die verängstigten Schafe blöken und schließen sich mir an, in der Hoffnung, dass ich sie zu ihren Besitzern bringe. Nachdem ich endlich den Zoll passiert habe, stelle ich fest, dass es hier auch nicht besser aussieht. Trotz der Carabinieri und Polizisten in Schutzanzügen ist es einem Demonstrationszug von Hunderten Milchbauern gelungen, die gesamte Halle zu besetzen. Schafe grasen an den Ausgängen, wo es zu den Taxis und Bussen geht, oder laufen orientierungslos umher. Hier nach Jutta zu fahnden wäre, wie nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen zu suchen. Zwischen Spruchbändern und Sprechchören mit Slogans und höhnischen Devisen wie »1 EURO FÜR DEN LITER oder wir melken nicht mehr« schreie auch ich, so laut ich kann: »Juuttaaa! Juuttaaa!«

Die Schafe sind durstig. Ihre Besitzer haben Mühe, sie zusammenzuhalten. Einer von ihnen ruft seine Tiere und rennt ihnen hinterher. Aber die fliehen verstört und verirren sich in die umliegenden Toiletten. Ich beschließe, auf Zeit zu spielen, dränge mich zum Leihwagencounter zwischen einem Grüppchen Hirten durch, die sich erregt unterhalten: Mann, sind die wütend! Jutta wartet sicher schon irgendwo auf mich, und früher oder später werden wir uns in die Arme schließen. Der Verleih, bei dem ich den Wagen abholen muss, hat rund um die Uhr geöffnet, und da ich bereits online reserviert habe, muss ich nur meinen Voucher vorzeigen, das Auto abholen, meine Liebste einladen und dann auf nach Gesturi! Das mit den Koffern ist doch kein Drama. Wenn wir sie jetzt nicht kriegen, lassen wir sie uns eben direkt an Maurizios Adresse schicken. Heute Abend oder spätestens morgen früh wird sich alles wieder einrenken.

Die Angestellte am Schalter des Autovermieters hat gerade einen Nervenzusammenbruch. Auch sie können vorübergehend nicht weiterarbeiten, weil das Parkhaus gegenüber dem Eingang blockiert ist.

»Mein Gott, sind dort etwa auch Schafe?«, rufe ich entsetzt.

»Nein, Signore, aber da sind jetzt die Viehzüchter. Sie haben mit ihren Traktoren alle Ausfahrten besetzt, und die Autos kommen nicht raus. Hier sind jedenfalls Ihre Schlüssel. Vielleicht ziehen die ja in einer halben Stunde wieder ab.«

Also ist auch das mehrstöckige Parkhaus zum Spielball des Konflikts geworden. Die endlose Reihe von Lastwagen reicht bis an die Sperren, ebenso lang ist die Menschenschlange. Alle wollen zu ihren Autos. Ich schließe mich an. Und komme nicht weiter. Gerade hat man eine Kuh mit einer Glocke um den Hals von einem Wagen abgeladen. Der Viehhalter hat sie absichtlich vor den Haupteingang zum Parkplatz gestellt. Die Kuh heißt Ercolina und kommt aus Oristano. Sie steht symbolisch für alle Viehzüchter. Wie auf Kommando holen jetzt alle Fähnchen heraus, auf denen ihre Lieblingskuh abgebildet ist, und schwenken sie.

»WIR BLEIBEN HIER«, skandiert einer. »Sollen sie uns doch anzeigen, aber wir bewegen uns keinen Zentimeter von hier weg!«

Na, das war’s dann wohl mit dem Leihwagen! Wenn man dem Mann Glauben schenken darf, haben die Bauern vor, den Parkplatz komplett zu blockieren. Sie protestieren, weil die Regierung ihnen verbietet, Milch zu produzieren, und stattdessen Milchpulver aus dem Ausland importiert. Sie sind mit ihren Traktoren aus Oristano, Cagliari, Alghero gekommen und aus vielen anderen Teilen der Insel. Sie haben ihre Frauen und Kinder mitgebracht – und Miss Ercolina. Ja, eine echte Miss! Denn Ercolina hat vor kurzem den traditionellen Wettbewerb auf der hiesigen Viehmesse gewonnen. Eine friesische Schwarzbunte, erst sechs Jahre alt, die bis zu sechzig Liter Milch am Tag gibt. Aus der Nähe betrachtet sieht sie ziemlich rührend aus.

Ich bin erschöpft, die Situation grenzt so ans Absurde, dass ich am liebsten weinen würde. Ercolina steht da vor mir mit ihren großen Samtaugen und einem feuchten Maul. Aber wo ist bloß Jutta?