Am Abend des 28. April war alles, was von der Sloughi noch übriggeblieben war, am Lagerplatz gestapelt. Damit war vorerst das Allerschlimmste überstanden, denn ab jetzt konnte man sich zum Transport des natürlichen Wasserlaufes bedienen, der ja direkt an der Höhle vorbeiführte.
»Morgen beginnen wir mit dem Bau unseres Floßes«, sagte Gordon.
»Ja, und um uns das Zuwasserlassen des Floßes zu erleichtern, schlag ich vor, es gleich auf dem Rio selbst zu bauen«, überlegte Baxter.
»Das dürfte nicht gerade bequem sein«, sagte Doniphan.
»Egal, wir versuchen es, dann brauchen wir es nicht kompliziert vom Stapel laufen zu lassen.«
Die vom Schoner losgelösten Planken, der in 2 Stücke zerbrochene Kiel, der Fockmast, das Bodenstück des Großmastes, die Kreuzhölzer und das sogenannte Eselshaupt, der Bugspriet, die Großraa des Focksegels und verschiedene andere Teile waren von den Kindern an eine Stelle des Ufers geschafft worden, die von der Flut zur Zeit des höchsten Wasserstandes erreicht wurde. Man wartete diesen Zeitpunkt ab, um nach Eintritt der Flut die größten Stücke neben und auf die zuvor bereits zurechtgelegten Grundbalken des Floßes, das ziemlich groß bemessen werden mußte, um alles aufnehmen zu können, zu zimmern. So erhielt man eine Grundlage von etwa 3 m Länge und 1,5 m Breite. Den ganzen Tag über wurde eifrig gearbeitet, noch vor Einbruch der Dunkelheit war das Floß fertig. Briant vertäute es aus Vorsicht noch an einigen Uferbäumen, denn mit der zurückflutenden Ebbe hätte es leicht ins Meer getrieben werden können. Erschöpft von dieser schweren Arbeit aßen die Jungen zur Nacht und legten sich sofort schlafen.
Am Morgen des 30. April ging die Arbeit in vollem Tempo weiter. Jetzt mußte auf der Floßgrundlage eine Plattform errichtet werden, hierzu dienten die Planken der Bordwand und der Schanzkleidung der Sloughi. Obwohl keine Stunde vergeudet wurde, dauerte das drei volle Tage. Schon zeigten sich auf den Wassertümpeln einzelne Kristallisationen, der Schutz des von einem Lagerfeuer erwärmten Zeltes begann langsam unzureichend zu werden, Gordon und seine Kameraden mußten sich, obwohl in wollene Decken gehüllt, nachts eng aneinander-schmiegen. Das trieb sie erst recht zur Eile, so schnell wie möglich nach French-den zu kommen, wo sie besser geschützt waren gegen den hereinbrechenden Winter.
»Wir dürfen mit der Abfahrt nicht länger als bis zum 6. Mai warten«, sagte Briant.
»Und warum?« fragte Gordon.
»Übermorgen ist Neumond, die Gezeiten treten also stärker auf als gewöhnlich; je größer die Flutwellen, um so mehr Chancen, schneller und bequemer nach French-den zu kommen. Denk doch, Gordon, wir haben Bergfahrt vor uns, mit Schlepptauen und ohne Unterstützung der Strömung ist das kaum zu schaffen.«
»Du hast recht, in 3 Tagen müssen wir spätestens aufbrechen.«
Am 3. Mai wurde das Floß beladen, am Nachmittag des 5. Mai war jeder Gegenstand an seinem Platz verstaut. Die Ballen waren so geschickt verteilt, daß das Floß genau im Gleichgewicht lag. Jetzt brauchten also nur noch die Taue gelöst werden, wenn der Eintritt der Flut sich an der Riomündung bemerkbar machte.
Schon wollten sich die Kinder, erschöpft und kalt gefroren, schlafen legen, da machte Gordon noch einen Vorschlag.
»Liebe Freunde, wir entfernen uns jetzt etwas vom Meer, wir werden es nicht mehr so gut überwachen können wie bisher; sollte sich ein Schiff nähern, wären wir nicht imstande, Signale abzufeuern. Es erscheint mir deshalb ratsam, jetzt noch einen Mast auf dem Steilufer zu errichten und dort für immer eine unserer Flaggen auf zuziehen.«
Dieser Vorschlag wurde einstimmig gutgeheißen. Die zur Herstellung des Floßes nicht verwendete Fockmaststenge des Schoners wurde zum Steilufer geschleppt und oben tief in den Boden gerammt. Baxter hißte an einer Zugleine die Flagge Großbritanniens, Doniphan schoß mit der Flinte Salut.
»Aha«, sagte Gordon zu Briant, »Doniphan nimmt im Namen Englands von dieser Insel Besitz.«
»Sollte mich nicht wundern, wenn sie ihm schon gehörte.«
Am folgenden Morgen waren alle Kinder schon früh auf den Beinen. Sie beeilten sich, das Zelt abzubrechen und das Bettzeug auf das Floß zu schaffen. Von der Witterung brauchten sie augenblicklich nichts zu befürchten.
Um sieben Uhr waren die Vorbereitungen beendet. Die Plattform war so eingerichtet, daß sie nötigenfalls für 3 Tage als Aufenthaltsort dienen konnte. Was an Nahrungsmitteln gebraucht wurde, hatte Moko gesondert verstaut. Um 8 Uhr waren alle Kinder auf dem Floß. Die Großen hielten Bootshaken und Stangen bereit, um eventuell wirkungsvolle Steuermanöver durchführen zu können. Kurz vor 9 Uhr machte sich die Flut bemerkbar.
»Achtung, aufgepaßt!« riefen Briant und Baxter. Beide standen an den Tauen.
»Wir sind fertig!« rief Doniphan, der mit Wilcox auf dem vorderen Floßteil stand.
»Loslassen!« rief Briant.
Das Floß trieb langsam und sicher zwischen den beiden Ufern hin, im Schlepptau schaukelte die Jolle.
Gegen 11 Uhr setzte schon wieder die Ebbe ein, das Floß wurde schnell verankert, damit es nicht wieder dem Meere zugetrieben werden konnte. Es wäre zwar theoretisch möglich gewesen, die nächste Flutwelle wieder auszunützen, aber man hätte dann in der Dunkelheit fahren müssen, und das war den Kindern zu gefährlich.
»Ich meine, es wäre unklug; wir würden uns nur unnötig Gefahren aussetzen, die unser Floß und alles darauf befindliche Material zerstören könnten. Warten wir bis morgen!« Gordons Vorschlag wurde gebilligt. Zwar brauchte man so 24 Stunden länger, aber die Sicherheit ging vor. Die Kinder blieben also den halben Tag und die Nacht über an dieser Stelle am rechten Rioufer. Doniphan und seine Jagdbegleiter gingen an Land und schössen 4 junge fette Trappen und einige Tinamus.
»Das gibt unser erstes Essen in French-den«, erklärte Moko. Während seines Jagdausfluges hatte Doniphan nichts bemerkt, was auf menschliche Anwesenheit auf dieser Insel hätte schließen lassen; von Tieren erkannte er nur Vögel.
Der Tag verstrich ohne besondere Ereignisse. Baxter, Wilcox und Croß standen die Nacht über auf Wache. Am folgenden Morgen wurde die Floßfahrt bei steigender Flut wieder fortgesetzt. Die Nacht war kalt gewesen und der Tag kaum weniger; es war höchste Zeit, daß sie bald nach French-den kamen. Wenn erst Eisschollen zur Sloughi-Bai hin abtrieben, wie sollten sie dann noch weiterkommen? Und doch war es ganz ausgeschlossen, schneller als die Flut zu fahren. Gegen Mittag wurde auf der Höhe der Schlammlache haltgemacht. Die mit Moko, Doniphan und Wilcox besetzte Jolle fuhr noch etwas weiter und hielt erst an, als nicht mehr genügend Wasser vorhanden war. Diese Schlammlache bildete gewissermaßen die Fortsetzung des Sumpfes, der sich jenseits des linken Ufers ausdehnte, sie schien reich an Niederwild zu sein. Doniphan erlegte einige Bekassinen; die Einstandsmahlzeit in der Höhle würde ein Leckerbissen werden.
Es folgte eine ruhige, sehr kalte Nacht mit einer rauhen Brise vom Meer. Auf dem Rio bildete sich bereits eine dünne Eisschicht, die sich jedoch beim geringsten Stoß auflöste. Die Kleinen wurden langsam ungeduldig, besonders Jenkins und Iver- son maulten herum, daß sie viel lieber auf der Sloughi geblieben wären als hier auf dem Floß herumzusitzen und zu frieren. Am Nachmittag des nächsten Tages war es dann endlich soweit. Das Floß legte gegen 15.30 Uhr vor French-den an.
11
Für die Kleinen wurde jede Abwechslung zum Spiel. Kaum an Land, tollten sie wie wild in der Gegend herum. Briant befahl ihnen, sich nicht allzu weit weg zu wagen.
»Willst du nicht auch mit den anderen spielen?« fragte er seinen Bruder.
»Nein, ich bleibe lieber hier«, antwortete Jacques.
»Etwas Bewegung könnte dir nichts schaden. Lieber Jacques, ich bin mit dir unzufrieden; du bist seit der Abfahrt aus Auckland nicht mehr der alte, irgend etwas verheimlichst du mir. Bist du krank?«