Am folgenden Morgen war die ganze Gesellschaft bereits sehr früh wieder munter; Baxter und Doniphan krochen wieder in den Stollen, aber kein Geräusch war hörbar. Auch Phann hatte sich beruhigt.
An die Arbeit! « befahl Briant.
»Man kann immer noch aufhören, wenn sich das Geräusch vernehmen läßt«, sagte Baxter.
»Könnte das Geräusch nicht von einer Quelle herrühren«, überlegte Doniphan.
»Dann müßte man es ja immer hören, aber das ist nicht der Fall«, erwiderte Wilcox richtig.
»Ich würde es eher vom Wind herleiten, der sich in einer Spalte der Anhöhe fängt«, sagte Gordon.
»Steigen wir doch hinauf und untersuchen den Boden«, schlug Service vor.
50 Schritte in Richtung Ufergelände fanden sie einen Weg, der zum oberen Teil der Felsen führte. Auf dem Kamm des Höhenrückens aber fand sich kein Spalt, durch den Luft oder Wasser hätte eindringen können. Die Arbeit wurde also bis zum Abend ohne Unterbrechung fortgesetzt. Da sagte Gordon plötzlich:
»Phann ist weg!«
Man rief nach ihm, aber er tauchte nicht auf, man hörte auch kein Bellen.
Gordon trat nach draußen und rief — alles still! Doniphan und Wilcox liefen zum Rio und zum Seeufer — keine Spur von Phann. Man suchte die ganze Umgebung von French-den nach Phann ab, aber der Hund blieb verschwunden. Offenbar war Phann nicht in Hörweite, denn auf Gordons Stimme hätte er sofort reagiert. Daß er sich verirrt haben könnte, schien wenig plausibel. War er von einem Raubtier verschleppt worden?
Es war jetzt etwa 21 Uhr. Über dem Steilufer und dem See lag tiefe Dunkelheit. Die Kinder mußten sich wohl oder übel entschließen, die Suche nach Phann für heute aufzugeben, wollte man sich nicht selbst noch verirren. Alle gingen sehr bedrückt über das Verschwinden ihres Hundes zurück nach French-den. Die einen legten sich auf die Matratzen, die anderen setztest sich um den Tisch, jeder fühlte sich einsamer, jeder entmutigt.
Plötzlich hörten sie dumpfe Laute. Briant eilte sofort zum Stolllen.
»Das kommt von hier!«
Alle hatten sich erhoben, keiner sprach ein Wort.
Briant kam wieder aus dem engen Stollengang heraus. »Dort muß eine Höhle sein, deren Eingang sich wohl am Fuß der Gesteinsmasse befindet.«
»Wahrscheinlich ein Unterschlupf für Tiere!«
»Vielleicht! Das werden wir morgen früh klären!«
Da hörten sie ein lautes Gebell aus dem Innern des Felsens.
»Ist Phann womöglich da drin?!«
Briant ging also noch einmal in den Gang, legte das Ohr lange an den Stein, aber umsonst. Kein Geräusch war zu hören. Hinter der Wand mußte sich eine Höhle befinden, aber wo war Phann?
Die Nacht verging, ohne daß die Kinder ein Geheul oder Gebell geweckt hätte.
Mit Tagesgrauen untersuchten die Kinder das Gestrüpp an der See- und Uferseite, ohne etwas zu finden. Phann hatte, obwohl Gordon ihn mehrmals angerufen hatte, keinen Laut von sich gegeben. Briant und Baxter nahmen abwechselnd die Arbeit am Stollen wieder auf. Von Zeit zu Zeit hielten sie inne, aber nichts war zu hören.
»Wir werden bald die Wand durchschlagen, führt deshalb die Kleinen zum Ufer, vielleicht befindet sich ein Raubtier in der Höhle. Ladet auch die Flinten und Revolver durch, damit wir uns wehren können, falls es nötig sein sollte.«
Briant dachte an alles, das reizte Doniphan zur Wut.
Gegen 14 Uhr stieß Briant einen lauten Schrei aus. Seine Spitzhacke hatte die gleich weiter nachstürzende Kalkwand durchbrochen. Briant trat einige Schritte zurück und stellte sich neben Doniphan, Wilcox und Webb.
Noch bevor sie sich umschauen konnten, hörten sie etwas an der Stollenwand hinstreifen und mit einem gewaltigen Satz sprang ein Tier durch die Öffnung. Es war Phann!
Nach dem ersten Schrecken und der anschließenden Freude, Phann wieder bei sich zu haben, kletterte Briant, gefolgt von Gordon, Baxter, Wilcox und Moko, mit einer Laterne durch die Felsöffnung. Hier war also eine zweite Höhle, ebenso hoch und breit wie French-den, allerdings wesentlich tiefer. Da stieß Wilcox mit dem Fuß an einen schweren, kalten Körper. Briant kam sofort mit der Laterne. »Ein toter Schakal!«
»Den muß Phann erlegt haben!«
»Das also ist die Erklärung für die Geräusche in der Wand.«
Nachdem man wieder nach French-den zurückgeklettert war, untersuchte Briant das Steilufer an der Seeseite. Gleichzeitig gab er laute Schreie von sich, worauf andere Rufe aus dem Innern der Höhle antworteten. So gelang es Briant, zwischen dem Gestrüpp dicht am Boden eine enge Öffnung zu entdecken, durch die Phann und der Schakal eingedrungen waren. Phann hatte den Kindern eine schwere Arbeit erspart. Da lag fix und fertig eine zweite Höhle neben French-den, von der Frangois Baudoin nichts geahnt hatte. Man mußte nur den zweiten Eingang weiter öffnen und den engen Stollen zu einem begehbaren Gang ausbauen, dann war dieses Problem gelöst. Die zweite Höhle wurde »Halle« getauft, sie sollte als Schlaf- und Arbeitsraum dienen, während French- den als Küche, Speisekammer und Eßzimmer benützt wurde. Die Einrichtung der zweiten Höhle dauerte fast 14 Tage, 2 Schießscharten und eine Tür wurden angebracht, die Schlafplätze symmetrisch angeordnet, Sofas, Lehnstühle, Tische und Schränke hinübergeschafft. Für den eingefangenen Nandu richtete man im Winkel der Vorratskammer ein Plätzchen ein, bis man ihm im Freien ein Gehege bauen konnte. Gordon ging jetzt, nachdem man sich jetzt vollends eingerichtet hatte, an die weitere Ausarbeitung eines Programms.
Am Abend des 10. Juni saßen alle Kinder am Tisch neben dem knisternden Ofen. Wie zufällig kam man darauf, die verschiedenen Punkte der Insel mit Namen zu versehen, damit man sich rascher verständigen konnte.
»Wir wollen aber nur schöne Namen aussuchen!«
»Wie es die wirklichen und erfundenen Robinsons tun.«
»Ja, wir sind ja augenblicklich selbst welche.«
»Ein großes Pensionat von Robinsons.«
»Ich denke, wir sollten den Namen Sloughi-Bai beibehalten«, schlug Briant vor. »Einverstanden.«
»Auch den Namen French-den sollten wir nicht ändern, das gebietet uns das Andenken an den armen Schiffbrüchigen, dessen Stelle wir nun eingenommen haben.«
»Wie nennen wir den Rio, der in der Sloughi-Bai mündet?«
»Rio Sealand«, schlug Baxter vor, »dieser Name wird uns immer an unsere Heimat erinnern.«
»Angenommen!«
»Da der Rio den Namen Neuseelands erhalten hat«, meinte Doniphan, »so geben wir doch dem See einen Namen, der uns an unsere Familien erinnert, nennen wir ihn Family-Lake.«
Auch das fand große Zustimmung.
So ging es bis tief in die Nacht. Das Steilufer wurde Auckland-Hill getauft, das Kap, von dessen Gipfel aus Briant im Osten das Meer erkannt zu haben glaubte, nannte man auf seinen Vorschlag hin False-Sea-Point, Spitze des falschen Meeres. Die anderen Bezeichnungen lauteten wie folgt: Traps-woods nannte man den Waldteil, wo man die Trappen angetroffen hatte; Bog-woods den anderen Teil mit der Schlammlache; South-moores den Sumpf auf der südlichen Inselhälfte; Dike-creek den Bach, über den der Plattensteg gelegt worden war; Wrack-coast jene Küste, an der die Jacht gestrandet war; Sportterrace den von den Ufern des Rio und des Sees eingeschlossenen Platz, der vor der Halle zum Rasen wurde, wo, laut Gordons Programm Leibesübungen stattfinden sollten. Alle anderen Punkte auf der Insel sollten je nach den Vorfällen, die sich dort ereigneten, benannt werden.
»Geben wir auch noch den Vorgebirgen, die auf Baudoins Karte eingezeichnet sind, Namen«, schlug Briant vor. Man entschied sich für North- cape im Norden und für South-cape im Süden der Insel; den 3 Spitzen, die im Westen liegen, gab man die Namen: French-cape, British-cape und American-cape, zu Ehren der 3 in dieser JungenKolonie vertretenen Nationen.