»Nur für die ganze Insel haben wir noch keinen Namen gefunden.«
»Ich weiß, wie man sie nennen könnte«, meldete sich Costar.
»Du weißt das, nicht möglich!?« erwiderte Doniphan.
»Wahrscheinlich will er sie Baby-Insel nennen«, scherzte Service.
»Laß deine Witze, Service und hören wir seine Idee.«
Aber Costar hatte jetzt den Mut verloren, seine Idee vorzutragen.
»Sag nur, Costar, ich bin überzeugt, daß dein Vorschlag gut ist«, besänftigte ihn Briant.
»Da wir alle Zöglinge der Pension Chairman sind, könnte man die Insel vielleicht Chairman-Insel nennen!«
Chairman-Insel. Dieser Name war genial, er Verband persönliche Erinnerungen und klang zudem noch richtig geographisch.
»Das geht in die Atlanten der Zukunft ein!« Jetzt verlangte noch einmal Briant das Wort. »Liebe Freunde, wir haben nun der Insel und den wichtigsten Orten einen Namen gegeben, wäre es da nicht gut, auch gleich ein Oberhaupt zu ernennen, das die Insel und ihre Bewohner regiert?«
»So ein Quatsch!« brummte Doniphan.
»Vielleicht geht dann alles etwas besser, wenn einer bestimmt, den die anderen zu ihrem Oberhaupt gewählt haben.«
»Wählen wir ein Oberhaupt!« riefen alle.
»Wenn es unbedingt sein muß«, stöhnte Doniphan verärgert, »aber nur für eine bestimmte Zeit, sagen wir für 1 Jahr.«
»Das aber dann wieder neu wählbar wäre.«
»Einverstanden!«
»Ich schlage Gordon vor«, sagte Briant.
Die Jungen brachen in ein Freudengeschrei aus. Gordon wollte zuerst ablehnen, mußte dann aber unter dem Druck seiner Kameraden die Berufung zum Oberhaupt der Kolonie auf der Chairman-Insel annehmen.
13
Der Winter würde, lag diese Insel etwa auf gleicher Breite wie Neuseeland, mindestens 5 Monate dauern. Gordon traf deshalb alle nur erdenklichen Vorkehrungen, um gegen die schlimmsten Überraschungen gewappnet zu sein. Unter seinen meteorologischen Beobachtungen hatte er folgendes errechnet: Winterbeginn Monat Mai, also 2 Monate vor dem Juli der südlichen Hemisphäre, der dem Januar der nördlichen Erdhälfte entspricht. Daraus war zu schließen, daß er 2 Monate danach, also September, beendet sein würde. Doch bekanntlich mußte man auch nachher noch mit heftigen Stürmen rechnen, die zur Zeit der Tagundnachtgleiche so häufig und so verheerend auftreten.
Um das tägliche Leben in French-den zu regeln, arbeitete Gordon sein Programm weiter aus. Seine Bemühungen zielten darauf ab, auch die Kleinsten daran zu gewöhnen, sich wie erwachsene Männer zu verhalten, sie sollten also nicht, wie es in der Pension Chairman üblich war, verpflichtet sein, die Größeren zu bedienen. Sonst aber richtete sich Gordon traditionsgemäß nach den Ausführungen des Buches »Collegleben in England«, einem Schinken über die »höhere Gewalt an englischen Schulen«. Da die Bibliothek von French-den außer Reisebeschreibungen nur wenige Bücher enthielt, konnten die Größeren ihre Studien kaum fortsetzen; sie mußten vor allem den Unterricht der Kleinen gestalten und überwachen. Besonderen Wert sollte dabei auf den Turn- und Sportunterricht gelegt werden. Gordon entwarf sein Programm nach den Grundsätzen der englischen Erziehungsmethode :
1. Beherrsche und überwinde deine Angst.
2. Versäume niemals die Gelegenheit zu einer Anstrengung, die dich über dich selbst hinauswachsen läßt.
3. Verachte keine Arbeit, denn jede Arbeit ist zu etwas nutze.
Das sah in der Praxis folgendermaßen aus : Vormittags und nachmittags je 2 Stunden allgemeine Arbeiten in der Halle; abwechselnd sollten Briant, Doniphan, Croß und Baxter aus der 5. und Wilcox und Webb aus der 4. Abteilung des Pensionats ihren Kameraden aus der 3., 2. und 1. Abteilung Mathematik-, Erdkunde- und Geschichtsunterricht geben; die Kleinen sollten vor allem nicht wieder vergessen, was sie schon einmal gelernt hatten. Zweimal die Woche, sonntags und mittwochs, sollte eine Versammlung abgehalten werden, d. h. in freier Unterhaltung sollte ein Thema aus der Geschichte oder der Gegenwart diskutiert werden. Gordon hatte darüber zu wachen, daß dieses Programm streng eingehalten wurde. Damit man das Zeitgefühl nicht vollständig verlor, wurde Wilcox beauftragt, jeden Tag die von der Sloughi geretteten Uhren aufzuziehen, Baxter hatte die Tage im Kalender abzustreichen. Webb erhielt den Auftrag, den Barometer- und Thermometerstand abzulesen und täglich in einem Heft zu notieren. Außerdem beschloß man, ein Tagebuch über alles, was sich auf der Chairman- Insel zugetragen hatte und noch zutragen würde, zu führen. Baxter meldete sich für diese Aufgabe freiwillig. Moko schließlich übernahm die Reinigung der Kleider und Bettwäsche.
Der nächste Tag war zufällig ein Sonntag. Die jungen Kolonisten machten gemeinsam einen langen Ausflug zum Family-lake. Anschließend veranstaltete Gordon für alle einen Wettlauf auf der Sport-terrace, wo sich besonders die Kleinsten bis zum Umfallen austoben konnten. Nach dem Abendessen spielte Garnett einige englische Volkslieder auf seiner Ziehharmonika, die anderen sangen mehr oder weniger falsch dazu. Jacques hatte von allen Anwesenden die schönste, reinste Stimme, aber er lehnte es kategorisch ab, einige Lieder zum besten zu geben. Gegen 22 Uhr lagen die Kinder auf ihren Matratzen, Phann saß hinter der Eingangstür und bewachte French-den und seine Bewohner. Im Lauf des Juni nahm die Kälte gewaltig zu. Webb teilte mit, daß das hundertteilige Thermometer 10 bis 12 Grad unter dem Gefrierpunkt anzeigte. Wenn der aus Süden kommende Wind nach Westen umsprang, hob sich die Temperatur ein wenig; es fiel dann meistens Schnee.
»Machen wir eine Schneeballschlacht«, riefen die Jungen und stürmten ins Freie.
Während des wilden Gefummels verirrte sich ein harter Schneeball und traf Jacques, der dem Treiben lediglich zuschaute, ziemlich fest. Er schrie auf.
»Ich habe es nicht mit Absicht getan«, entschuldigte sich Croß.
»Glaube ich«, sagte Briant, der herbeigeeilt war, »aber warum wirfst du auch so fest!«
»Wenn Jacques nicht mitspielt, braucht er auch nicht dazustehen!«
»Mach doch keine Witze, Briant«, mischte sich Doniphan ein, »das ist doch alles halb so schlimm!«
»Schon gut, aber deshalb kann ich trotzdem Croß ermahnen, nicht noch einmal so fest zu werfen.«
»Komm, komm, er hat es ja nicht mit Absicht getan!« »Warum mischt du dich denn überhaupt in eine Sache, die dich gar nichts angeht?«
»Das ist meine Sache! Dein Ton gefällt mir nicht!«
»Du suchst Streit!?«
»Mach halblang!«
»Wie du willst und wann du willst!« schrie Briant und kreuzte die Arme.
»Gut, dann aber sofort«, reagierte Doniphan. Da trat, gerade noch rechtzeitig, um eine Schlägerei zwischen den beiden Streithähnen zu verhindern, Gordon dazwischen. »Halte dich zurück, Doniphan. Diese Sache ging nur Briant und Croß was an, du hast dich da nicht hineinzumischen, merk dir das!«
Doniphan ließ den Kopf hängen und trottete verärgert zur Höhle zurück. Jeder wußte, daß er sich bei der nächsten Gelegenheit rächen würde.
48 Stunden schneite es ununterbrochen. Zum Vergnügen der Kleinsten bauten Service und Garnett einen riesigen Schneemann, den sie dann als Zielscheibe für ihre Schneebälle benutzten.
Gegen Ende Juni mußte man auf derlei Vergnügungen verzichten. Der Schnee lag mittlerweile so hoch, daß man kaum noch vor die Höhle treten konnte. Wäre jemand auch nur 100 Schritte von French-den weggegangen, er hätte wahrscheinlich nicht wieder zurückgefunden, denn die Landschaft hatte sich vollkommen verändert und die verschiedenen Erkennungspunkte lagen unter einer dicken Schneedecke versteckt. Die Jungen blieben also in der Höhle und forcierten den Unterricht. Das tägliche Programm wurde peinlich genau eingehalten, besonderen Spaß machten die Diskussionsabende, wo sich allen voran Doniphan mit seiner überdurchschnittlichen Redegewandtheit auszeichnete. Warum trug er nur immer einen solchen Stolz zur Schau? Fuchste es ihn, daß er nicht zum ersten Oberhaupt der Kolonie ernannt worden war?