»Aufpassen, daß sich keiner zu weit von hier weg entfernt! Macht keine zu argen Faxen auf dem Eis, denn wie leicht hat man sich das Bein oder den Arm gebrochen. Gordon und ich erwarten euch an dieser Stelle, wenn ich ein Signal mit dem Horn gegeben habe.«
Danach schweiften die Schlittschuhläufer in langen Bögen hinaus auf den See.
»He, Croß, da draußen sehe ich ein paar Enten«, rief Doniphan.
»Ja, ich erkenne sie!«
»Hast du deine Flinte, wir jagen sie!«
»Briant hat aber untersagt. .. «
»Laß mich doch zufrieden! Vorwärts!«
»Wohin wollen sie?« fragte der am Ufer stehende Briant Gordon.
»Sie werden da draußen Enten jagen, das hättest du dir ja denken können.«
»Immer dieser Doniphan, der nicht hören kann, was man ihm sagt!«
»Aber laß doch, dabei passiert schon nichts.«
»Wer weiß, Gordon! Sich zu weit hinauszuwagen, ist immer gefährlich!«
Doniphan und Croß waren jetzt nur noch 2 sich schnell entfernende Punkte am Horizont.
»So ein Dreck!« fluchte Briant plötzlich. »Jetzt zieht auch noch Nebel auf.«
Sehr schnell war der See von einer dichten Nebelwand verhüllt.
»Das habe ich befürchtet, als ich sie ermahnte, nicht von hier wegzufahren!«
»Gib doch ein Hornsignal, damit sie zurückkommen!«
Dreimal blies Briant in sein Horn. Aber kein Flintenschuß gab Antwort. Der Nebel hatte sich merklich verdichtet. Wer sich in Sichtweite befand, wurde an Land gerufen.
»Was nun?« fragte Gordon.
»Wir müssen alles versuchen, um sie so schnell wie möglich zurückzuholen. In diesem englischen Nebel kann man sich ja kaum noch zurechtfinden, und sie haben ja keinen Kompaß dabei.«
»Ich werde sie suchen!« meldete sich Baxter.
»Kommt nicht in Frage, ich werde selbst hinausfahren«, erwiderte Briant.
»Nein, Bruder, laß mich fahren«, sagte Jacques ruhig, »ich finde sie sicher sofort.«
»Also gut! Und achte darauf, ob du einen Schuß hörst. Hier, nimm das Signalhorn mit!«
Einen Augenblick später war Jacques mit weiten Zügen im Nebel verschwunden. Eine halbe Stunde später war weder von Jacques noch von den beiden anderen etwas zu sehen.
»Wenn wir nur Waffen da hätten, dann könnten wir Zeichen geben«, klagte Service.
»Schußwaffen? Wir haben doch welche in French-den. Los, laßt uns keine Minute verlieren!«
Briant, Gordon und die anderen rannten zur Höhle und kamen nach 30 Minuten mit einigen Flinten und Revolvern wieder zum See. Wilcox und Baxter luden durch und schossen zweimal in die Luft.
Keine Antwort! Kein Schuß vom See her!
»Holt die Kanone!« rief Briant aufgeregt.
Die kleine Bordkanone der Sloughi wurde zur Sport-terrace geschleppt und nach Nordosten gerichtet. Man lud sie mit einer Platzpatrone und wollte schon abfeuern, als Moko einen Vorschlag machte :
»Stopfen wir etwas eingefettetes Gras ins Rohr, das erhöht den Knall!«
Der Schuß krachte hinaus in den Nebel. Dann spitzten alle die Ohren. Aber wieder kam keine Reaktion aus dem dichten Nebel über dem Family- lake.
»Weiter feuern, bis sich die 3 melden!« befahl Briant. Endlich, kurz vor 17 Uhr, es war mittlerweile schon recht duster geworden, hörten die Kinder 2 Flintenschüsse.
»Das sind sie!« rief Service freudestrahlend. Sofort antwortete Baxter mit einem neuen Schuß, der weithin hallte. Einige Minuten später wurden 2 Schattengestalten im Nebel erkenntlich, die schnell näher kamen. Es waren Doniphan und Croß. Jacques blieb verschwunden. Briants Bruder hatte die beiden nicht finden können, sie hatten auch keine Hornsignale gehört. Als Jacques nach Osten gefahren war, befanden sich die beiden Jäger bereits im südlichen Teil des Sees. Briant machte sich jetzt bittere Vorwürfe, nicht selbst hinausgefahren zu sein.
»So lange weiter feuern, bis Jacques auftaucht!« befahl er. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Über dem See lag undurchdringliche Finsternis.
»Entzünden wir ein großes Feuer, vielleicht hilft das!«
Das Fernrohr vor den Augen, starrte Gordon unbeweglich hinaus. Plötzlich zuckte er zusammen.
Er glaubt, einen Punkt wahrgenommen zu haben. Jetzt griff Briant nach dem Fernrohr.
»Ja, das muß er sein!« Der Punkt bewegte sich rasch dem Ufer zu.
»Was ist das?« fragte Briant aufgeregt.
»Hinter ihm bewegt sich etwas. Wird er etwa verfolgt?«
»Ja, es sieht tatsächlich aus, als käme er nicht allein.«
»Könnt ihr erkennen, ob es Menschen sind?« fragte Baxter Gordon und Briant.
»Ich würde die Punkte eher für Tiere halten.«
»Raubtiere?« fragte Doniphan.
Sofort zog er seine Schlittschuhe wieder an und eilte Jacques mit der Flinte im Anschlag entgegen. Niemand konnte ihn zurückhalten. Die am Ufer stehenden Kinder hörten kurz darauf 2 Schüsse. Einige Zeit später tauchten Doniphan und Jacques auf.
»2 Bären«, sagte Doniphan trocken und nicht ohne Stolz. »Das ist ja ganz neu! Komisch, daß wir von ihnen bisher keine Spuren entdecken konnten!«
»Jedenfalls zeigt das mal wieder, wie wenig wir doch über unsere Insel wissen. Sicher gibt es hier noch ganz andere Geheimnisse«, orakelte Doniphan.
20
Es war wieder Frühling. Eine leichte Brise kräuselte den See, über dem die letzten schwachen Sonnenstrahlen lagen.
6 Wochen nach jenen Ereignissen, am 10. Oktober gegen 17 Uhr, erreichten 4 der Jungen die südliche Spitze des Family-lake. Doniphan, Croß, Webb und Wilcox, die sich im Streit von ihren Kameraden getrennt hatten, saßen um ein kleines Lagerfeuer herum und grillten ein paar Enten zum Abendessen. Dann hüllten sie sich in ihre Decken und schliefen ein.
Während der ersten Wochen ihres zweiten arktischen Winters auf der Insel Chairman waren die Beziehungen zwischen Briant und Doniphan zusehends gespannter geworden. Die Streitereien häuften sich, weil Doniphan, ohnehin sauer über den Wahlausgang, sich den Befehlen und Anordnungen des jetzigen Oberhauptes nicht beugen wollte. Seit der Schlittschuhpartie auf dem zugefrorenen See, wo Doniphan die Ermahnung Briants in den Wind geschlagen hatte, wuchs dessen Verärgerung.
Bisher hatte Gordon von Briant verlangt, er solle sich so gut wie möglich zurückhalten und jedem Streit aus dem Weg gehen. Aber Briants Geduld war zu Ende. Sollte nicht die gesamte Kolonie von French-den darunter leiden, so mußten Doniphan und seine Gruppe entschiedener als je zuvor zur Ordnung gerufen werden. Vergebens hatte Gordon auch versucht, Doniphan ins Gewissen zu reden. Sein früherer Einfluß auf ihn war gänzlich geschwunden. Doniphan konnte ihm nicht verzeihen, daß er immer die Partei seines Gegners ergriffen hatte. Seine Interventionen waren zwecklos. Das Miteinander in French-den wurde immer peinlicher und gedrückter, natürlich merkten auch die anderen, was da vorging bzw. sich zusammenbraute.
Nur zu den Mahlzeiten trafen Doniphan und seine Leute mit der übrigen Truppe zusammen, sonst hielten sie sich abseits. War das Wetter zu schlecht für die Jagd, dann saßen sie in irgendeiner Ecke der Halle zusammen und tuschelten leise miteinander.
»Ohne Zweifel hecken sie einen Plan aus«, sagte Briant eines Tages zu Gordon.