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Briant schüttelte nur den Kopf, er glaubte nicht recht daran! Und wenn sie zurückkamen, waren dann die Schwierigkeiten aus der Welt geschafft? Die Streitereien würden sich vielleicht noch heftiger fortsetzen.

»Vor Winterbeginn sind sie wieder hier!« hatte Gordon gesagt. Rechnete er denn fest damit, noch einen weiteren Winter hier in dieser verdammten Einöde zu verbringen? Wollte er denn überhaupt nicht mehr zurück nach Neuseeland? Wann endlich kam ein Schiff vorbei und entdeckte das Ballonsignal am Gipfel des Auckland-hill?

Die Bemühungen, ein Boot zu entwerfen, mit dem man über das Meer hätte fahren können, scheiterten immer wieder. Da entschloß sich Briant, nach einigen Gesprächen mit Baxter, einen weithin sichtbaren Drachen zu konstruieren, der das Ballonsignal ablösen sollte.

»Wir haben Leinwand und Hanfschnüre, wenn wir ihn stabil bauen, können wir ihn sehr, sehr hoch steigen lassen. Das erhöht unsere Chancen auf Rettung!«

»Was ist, wenn einige Tage nicht genügend Wind weht?« »Das ist selten der Fall! Und wenn, dann ziehen wir ihn eben ein.«

»Gut, Briant, versuchen wir es wenigstens, wenn ich auch sehr skeptisch bin.«

»Tagsüber kann er 90 km weit sichtbar sein, nachts hängen wir einfach eine unserer Signallaternen dran!«

»Mal sehen, 90 km scheinen mir etwas hochgegriffen, aber egal!«

Als das Vorhaben Briants und Baxters publik wurde, freuten sich vor allem Iverson, Jenkins, Dole und Costar; sie wollten mit diesem Drachen spielen, was ja für sie eine schöne Abwechslung gewesen wäre. Leider mußte ihnen Briant diese Illusion rauben.

»Doniphan und die anderen werden staunen, wenn sie plötzlich unseren Drachen am Himmel sehen«, sagte Service und lachte laut heraus.

»Kann man ihn denn von allen Punkten der Insel aus sehen?« fragte Garnett.

»Natürlich, bis weit draußen vom Meer sogar!«

»Auch in Auckland?« fragte der kleine Costar aufgeregt.

»Das leider nicht. Wenn ihn aber Doniphan sieht, kommt er mit seinen Leuten vielleicht wieder zurück.«

Briant konnte sich von dem Gedanken nicht freimachen, daß es ihm gelingen müsse, die Spaltung der Kolonie wieder zu kitten.

Während der nächsten Tage bauten Baxter und Briant am Drachen. Das Gerippe wurde aus zähen Rohren hergestellt. Auf dieses elastische Gestell ließ Briant dann ein mit Kautschuk durchtränktes Segel spannen, das vorher einmal zur Abdeckung der Oberlichtluken auf der Sloughi gedient hatte. Als Leine wurde eine hart gedrehte Schnur aus Hanf und Leinwand verwendet, die genügend strapazierfähig war. Sie sollte aus Sicherheitsgründen über eine sogenannte Bratspille des Schoners gewickelt werden, damit sich genügend Widerstand ergab. Für die Kleinen wurde dem Drachen ein bunter Schwanz angehängt.

Am 15. war die Arbeit beendet. Aufsteigen sollte er am Nachmittag des nächsten Tages.

Doch während der nächsten Tage wehte ein derartiger Sturm, daß es unmöglich war, den Drachen zu erproben. Es war derselbe Sturm, den Doniphan und seine Kameraden am Ufer der Nordküste erlebten.

»Heute ist der 17. Oktober. Ich möchte jetzt nicht mehr länger warten, lassen wir den Drachen endlich steigen.«

Nach dem Frühstück gingen alle zur Sport- terrace, von dort sollte der Drachen gestartet werden. Es war jetzt 1.30 Uhr. Briant wollte gerade das Startzeichen geben, als er durch Phann abgelenkt wurde, der plötzlich mit lautem Gebell zum Wald hetzte.

»Was hat er?«

»Hat er ein Raubtier gewittert?«

»Nein, da würde er ganz anders anschlagen.«

»Sehen wir nach!«

»Halt! Erst die Waffen holen!«

Jacques und Service rannten nach French-den zurück und holten einige geladene Gewehre.

»Auf geht's!« befahl Briant.

Briant, Jacques, Gordon und Service gingen zum Rand der Traps-woods. Phann saß vor einem Baum und knurrte leise. Die Kinder kamen näher und sahen eine menschliche Gestalt zwischen den Baumwurzeln liegen. Es war eine Frau, die wie tot dalag. Ihr Gesicht ließ Spuren schwerer Strapazen erkennen.

»Sie atmet, sie atmet«, flüsterte Gordon erregt. Jacques rannte sofort nach French-den zurück, um etwas Schiffs-zwieback und eine Flasche Brandy zu holen. Briant beugte sich über die Frau und flößte ihr einige Tropfen Brandy ein. Die Frau machte eine leichte Bewegung, dann öffnete sie langsam die Augen. Sie nahm das ihr von Jacques angebotene Stück Zwieback und aß es. Dann setzte sie sich vorsichtig auf und sagte in einwandfreiem Englisch: »Ich danke euch, vielen Dank!«

Eine halbe Stunde später hatte man die Frau nach French-den geschafft und in der Halle auf eine Matratze gelegt. Nachdem sie sich etwas erholt hatte, erzählte sie den um sie herumstehenden Kindern ihr Geschichte.

Sie war Amerikanerin, hieß Katherine Ready, kurz Kate, seit 20 Jahren als Hausangestellte der Familie William R. Penfield in Albany, der Hauptstadt des Staates New York, tätig. Vor einem Monat war sie zusammen mit der Familie Penfield nach San Franzisko gefahren, um sich von dort nach Chile einzuschiffen. John F. Turner war der Kapitän des Kauffahrteischiffes Severn, dessen Ziel Valparaiso hieß. 8 Schurken, die sich als Matrosen hatten anheuern lassen, zettelten eine Meuterei an und töteten den Kapitän, den Obersteuermann und Mr. und Mrs. Penfield. Die Schurken wollten das Schiff in ihre Hand bekommen, um in den Sklavenhandel einsteigen zu können, der in einigen Ländern Südamerikas florierte. Nur 2 Personen an Bord wurden von Walston und seinen Spießgesellen Brandt, Rock, Henley, Cork, Forbes, Cope und Pike verschont, nämlich Kate, für die sich Forbes, einer der harmloseren Burschen, eingesetzt hatte und noch ein Steuermann der Severn, ein 30jähriger Mann namens Evans, den sie wegen der Steuerung des Schiffes nicht entbehren konnten. Diese so unheimlichen Szenen hatten sich am 7. und 8. Oktober abgespielt, 300 sm vor der chilenischen Küste. Unter Todesandrohung wurde Evans gezwungen, Kurs auf Kap Hoorn zu halten, um an die Westküste Afrikas zu gelangen. Einige Tage später brach aus bisher unbekannten Gründen an Bord ein Feuer aus. Walston und seine Genossen versuchten, den Brand einzudämmen, aber vergebens. Henley fand sogar den Tod. In einer Schaluppe verließen sie das Wrack der Severn. Da brach ein fürchterlicher Sturm los, der sie zuletzt an diese Insel spülte. Evans und Kate lagen neben dem geborstenen Boot am Strand und glaubten bereits, daß die Schurken allesamt ersoffen wären. Aber diese Freude war zu früh. Plötzlich hörten sie Schritte. Es waren Walston, Brandt und Rock, die sich hatten retten können. Etwas weiter entfernt fanden sie noch Pike und Forbes. Auch Cope und Cork tauchten nach einer Weile auf. In der allgemeinen Verwirrung konnte Kate sich am Strand verstecken. Sie hörte folgendes Gespräch mit an.

»Verdammt! Wo sind wir?« fragte Rock.

»Blöde Frage, wie soll ich das wissen?« gab Walston zurück. »Gehen wir erst mal nach Osten. Morgen werden wir schon sehen, wie wir uns aus dieser Schlinge befreien können.«

»Und die Waffen?« fragte Forbes.

»Gerettet, ebenso die Munition.«

»Viel zu wenig, um sich eine Weile über Wasser halten zu können«, brummte Rock.

»Wo ist denn Evans?«

»Wird bewacht!«

»Und dieses Weibsbild?«

»Kate?« sagte Walston. »Ich habe sie über Bord gehen sehen, die ruht zwischen Korallen und kleinen Tierchen auf dem Meeresboden.«

»Das beruhigt mich, sie wußte von uns doch ein bißchen zuviel!«

»Stände sie noch hier, ich würde sie gleich abknallen!«

Kate hatte all dies mitangehört. Sie durfte jetzt nicht entdeckt werden, sonst war sie verloren.

Schon nach wenigen Minuten entfernten sich die Schurken, um vor dem Wüten des Sturmes im Wald Deckung zu suchen.

»Ich bin dann vom Strand fortgeschlichen und schließlich vor Erschöpfung dort am Baum, wo ihr mich gefunden habt, zusammengebrochen«, schloß Kate ihren Bericht. Die Kinder schwiegen lange.