»Bisher war hier alles still und friedlich«, sagte Briant nach einer langen Pause, »aber von jetzt an ist höchste Vorsicht geboten. 7 schwerbewaffnete Verbrecher sind auf der Insel Chairman. Sie werden nicht zögern, uns alle umzulegen, wenn sie uns erst entdecken. Irgendwann wird es zu einem Kampf zwischen ihnen und uns kommen, machen wir uns auf das Schlimmste gefaßt.«
»Und gerade jetzt sind Doniphan, Wilcox, Webb und Croß nicht da«, sagte Gordon. »Sie wissen nichts von diesen Schurken und werden ihnen geradewegs in die Hände laufen, dann allerdings kommen sie auch sehr rasch hierher nach French- den.«
»Ein Flintenschuß genügt, um sie auf uns aufmerksam zu machen!«
»Diese Burschen werden kein Mitleid mit uns haben, das ist nach Kates Bericht klar!«
»Wir müssen Doniphan und den anderen zu Hilfe eilen, bevor alles zu spät ist«, schlug Briant vor.
»Ja, wir müssen jetzt eine Einheit bilden!«
»Ich hole sie«, sagte Briant.
»Du, Briant?« »Ich, Gordon!«
»Und wie?«
»Ich werde mich mit Moko auf der Jolle einschiffen und den East-river runtersegeln. Doniphan sagte ja, daß sie sich an der dortigen Küste ansiedeln wollten.«
»Wann willst du abfahren?«
»Noch heute abend, während der Dunkelheit ist es ungefährlicher, über den See zu setzen.«
»Soll ich dich begleiten, Bruder?« fragte Jacques.
»Nein, es ist ja kein Platz da, wenn wir die anderen mitbringen wollen.«
»Noch eins: den Drachen dürfen wir jetzt unter keinen Umständen steigen lassen, das würde unsere Höhle sofort verraten.«
»Da fällt mir ein«, beeilte sich Gordon hinzuzufügen, »auch den Signalballon müssen wir einholen, auch der ist ein Zeichen, daß hier Menschen leben.«
Bis zum Abend hielten sich alle in der Halle auf. Die Türen waren fest verriegelt. Kate hörte nun die Geschichte ihrer Abenteuer. Sie staunte nicht schlecht, wie gemütlich die Jungen sich in dieser Einöde eingerichtet hatten. Fortan wollte sie bei ihnen bleiben und für sie sorgen.
»Nennen wir Kate Freitagine«, schlug Service vor, der sofort an seine Lieblingslektüre denken mußte. »Jene Schurken entsprechen völlig den Wilden der Robinsone. Aber wir werden sie ebenso erledigen wie damals Robinson.«
»Hoffentlich täuschst du dich nicht ebenso wie seinerzeit mit deinem flotten Renner!«
Um 20 Uhr waren die Vorbereitungen für die schwierige Expedition beendet. Moko und Briant schifften sich ein. Jeder hatte einen Revolver und ein Jagdmesser bei sich. Mit Sonnenuntergang hatte sich eine steife Brise erhoben, die die Fahrt wesentlich erleichterte. Nach 2 Stunden landete die Jolle an der gleichen Stelle wie damals, man mußte jetzt nur noch an der Seeküste entlangrudern, um zur Riomündung zu kommen. Plötzlich packte Briant Moko am Arm. Wenige 100 Schritte vom rechten Ufer des East-river schimmerte ein Feuer durch die Dunkelheit. War das Walston oder Doniphan? »Setze mich aus, Moko«, sagte Briant leise. »Soll ich dich nicht begleiten, Briant?« »Laß nur, ich gehe allein!«
Die Jolle legte am Ufer an, Briant sprang an Land. Das Jagdmesser in der Hand, den Revolver im Gürtel, schlich er vorsichtig über die Uferböschung in den Wald. Da hörte er plötzlich ein Geräusch, im gleichen Augenblick brüllte ein ausgewachsener Jaguar. »Zu Hilfe! Hierher!«
Briant erkannte Doniphans Stimme. Die anderen waren am Lagerfeuer geblieben. Doniphan wurde von dem Raubtier umgeworfen. Da tauchte Wilcox im Dickicht auf, das Gewehr im Anschlag und bereit, Feuer zu geben.
»Nicht schießen!« schrie Briant.
Noch ehe Wilcox ihn richtig erkennen konnte, stürzte sich Briant auf die Bestie und hieb mit aller Kraft sein Messer hinein. Der Jaguar stürzte zu Boden und verendete in seinem Blut. Jetzt waren auch Croß und Webb am Tatort erschienen. Sie erkannten Briant, der von einem Tatzenschlag an der Schulter verletzt war.
»Wie kommst du denn hierher?« fragte Wilcox.
»Erzähl ich euch später. Kommt!«
»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Doniphan und schüttelte Briant die Hand.
»Nicht der Rede wert, du hättest an meiner Stelle ebenso gehandelt!«
Während Wilcox die Schulterwunde mit einem Taschentuch provisorisch verband, berichtete Briant seinen Kameraden, was in French-den vorgefallen war.
»Also sind jene Männer, die wir für Leichen hielten, noch am Leben und irren jetzt auf der Insel herum«, sagte Doniphan.
»Aus mit unserer Sicherheit!« brummte Wilcox.
»Aah, jetzt verstehe ich erst: deshalb hast du Wilcox befohlen, nicht zu schießen, den Schuß hätte man hören können!«
»Ja, ich mußte wohl oder übel mein Jagdmesser benutzen, sonst hätten wir die Schurken der Severn auf dem Hals.«
»Ach, Briant, du bist so viel besser als ich«, sagte Doniphan aufrichtig und mit Tränen in den Augen.
»Bitte, Doniphan, versprich mir, wieder mit zurück nach French-den zu kommen, wir brauchen jetzt dich und alle anderen!«
»Rechne auf mich. In Zukunft werde ich mich keinem deiner Befehle mehr widersetzen.«
»Wann gehen wir zurück?«
»Sofort«, schlug Briant vor, »wir müssen unbedingt die Dunkelheit ausnützen.«
»Aber wie denn?«
»Moko wartet am Ufer mit der Jolle. Wir wollten gerade den East-river hinunterfahren, als ich den schwachen Schein eures Feuers wahrnahm. Aber da wußte ich noch nicht, ob Walston oder Doniphan.«
»Du kamst gerade zur rechten Zeit!«
»Richtig, um dich und die anderen nach French- den zurückzuholen, denn ab jetzt herrscht höchste Alarmstufe. Walston und seine Kumpane schrecken vor nichts zurück, das haben wir von Kate gehört. Sie machen gnadenlos von ihren Schußwaffen Gebrauch.«
»Na, Gott sei Dank schieße ich auch nicht schlecht. Soll mir einer nur vor die Kanone laufen.«
»Sag, Doniphan, warum habt ihr eigentlich hier und nicht an der Mündung des East-river übernachtet?«
»Nachdem wir an den Severn-shores übernachtet hatten, waren wir zum Hafen des Bear- rock zurückgegangen. Am nächsten Morgen sind wir dann, wie abgemacht, zum See hinaufmarschiert, von wo wir dann zu euch zurückkommen wollten.«
»Auf gehts, fahren wir mit der Jolle über den See, damit wir zu Hause sind, bevor etwas passiert.«
23
Die Kolonie war also wieder vollzählig, ja sogar um ein Mitglied gewachsen. Von jetzt an herrschte unter den Kindern wieder volles Einverständnis. Doniphan hatte den Ärger verwunden, nicht Oberhaupt von French-den zu sein, aber was bedeutete ein solcher Posten angesichts der drohenden Gefahr! Auch Wilcox, Webb und Croß ordneten sich willig der Gemeinschaft unter. Da sich Doniphan mit Briant ausgesöhnt hatte, sahen auch sie keinen Grund zum Widerstand gegen die Kameraden mehr. French-den war ernstlich bedroht!
Walston und Konsorten würden die Insel nach Spuren menschlicher Behausung absuchen. Wußten sie erst, daß sich hier nur einige Jungen aufhielten, die sich nach und nach alles Lebensnotwendige erarbeitet hatten, sie würden keinen Moment zögern, die Kolonie auszurotten. Ihnen mußte natürlich daran gelegen sein, Mittel und Wege zu finden, die Insel so rasch wie irgend möglich zu verlassen.
Die Kolonisten mußten sich jetzt radikalen Vorsichtsmaßregeln unterwerfen, sie durften sich nicht mehr vom Rio Sealand entfernen und auf dem Family-lake nicht mehr rudern.
»Habt ihr auf eurem Rückweg von den Severn- shores zum Bear-rock nichts Verdächtiges bemerkt, was auf die Anwesenheit der Schurken schließen läßt?«
»Nichts«, antwortete Doniphan.
»Dann scheint es sicher, daß Walston nach Osten gezogen ist«, bemerkte Gordon.