»Und ich!« rief Service.
»Meinetwegen«, antwortete Gordon.
So eilig es Briant und Doniphan mit ihrer Reise hatten, so mußten sie diese noch vertagen, da sich am Himmel Regenwolken zusammenbrauten. Am nächsten Morgen schüttete es in Strömen, an einen Aufbruch war gar nicht zu denken. Gordon vertrieb sich die Zeit damit, herauszufinden, an welcher Stelle die Sloughi gestrandet war. Der Stielersche Atlas, er gehörte zur Bibliothek der Jacht, enthielt einige Karten vom Stillen Ozean. Verfolgte man die Strecke von Auckland bis zur Westküste Amerikas, so lagen nördlich davon und zugleich jenseits der Pomoru-Inseln nur die Osterinsel und die Insel Juan Fernandez, auf der Selkirk, ein wirklicher Robinson, einen Teil seines Lebens verbracht hatte. Südlich der Strecke lag nichts. Östlich stieß man auf die längs der chilenischen Küste verstreuten Chiloe- oder Madre-de-Dios-Inseln und tiefer unten auf die Magellanstraße und auf Feuerland, wo nachweislich die heftigsten Stürme auftreten.
Während der folgenden 14 Tage konnte die geplante Reise zur Erforschung der Wasser- und Landverhältnisse nicht ausgeführt werden; es regnete von morgens bis abends, und vom Meer her heulte ein fürchterlicher Sturm. Die Kinder konnten die Sloughi nicht verlassen, sie mußten vielmehr die jetzt beim Unwetter auftretenden Schäden unverzüglich ausbessern; sie hatten alle Hände voll zu tun, damit kein Regen durch die Luken und Ritzen drang. Jetzt sah man, wie wichtig es wurde, endlich ein geschützter gelegenes Obdach ausfindig zu machen, bevor der Winter hereinbrach. An eine Umsiedlung in den fernen Ostteil war augenblicklich nicht zu denken, aber lange hielt die Sloughi wohl nicht mehr stand. Da auch der Westabhang des Steilufers keinen Schutz bot, mußte man sehr bald auch nach anderen Richtungen wandern. Gordon hätte gerne das Reservesegel zur Umhüllung des ganzen Schiffsrumpfes gebraucht, aber er entschloß sich dann doch nach redlicher Überlegung, die Plane zu schonen, denn sicherlich mußte man einmal unter freiem Himmel nächtigen, und dann würden sich poröse Stellen tragisch auswirken. Mittlerweile war die gesamte Ladung in einzelne, handliche Ballen verteilt; in Gordons Notizbuch stand jeder Gegenstand genau verzeichnet, der im Notfall schleunigst an Land geschafft werden mußte.
Am 27. März gab es einen bedeutsamen Fang. Im Lauf des Nachmittags, als der Regen für kurze Zeit nachließ, angelten die Kleinen mit ihren Fanggeräten am Rio. Plötzlich hörte man laute Schreie. Gordon, Briant, Service und Moko, die an Bord der Jacht beschäftigt waren, eilten sofort zu Hilfe.
»Schnell hierher!« rief Jenkins. »Seht nur Costar mit seinem Renner.«
»Ich will herunter!« schrie Costar weinend.
Costar ritt auf einer großen Schildkröte, einer jener gewaltigen Chelonier, die man meist schlafend auf dem Meer treiben sieht. Die Kinder hatten sie am Strand überrascht, und jetzt versuchte sie, so schnell wie möglich wieder ins Meer zurückzukommen. Sie hatten eine Leine um den Hals des Tieres gelegt und versuchten so, sie aufzuhalten, aber sie war dermaßen kräftig, daß sie die ganze Kindergesellschaft hinter sich herzog. Aus Scherz hatte Jenkins den kleinen Costar auf den Rückenschild gesetzt.
»Nur Mut, Costar«, lächelte Gordon.
Briant konnte sich des Lachens nicht erwehren; die Szene war nicht gefährlich, sondern umwerfend komisch. Es war nur wichtig, das Tier zu fangen. Der Revolver, den Gordon und Briant vom Schoner mitgenommen hatten, war unnütz, denn so ein Rückenpanzer verträgt eine Kugel ohne jeden Schaden.
»Es gibt nur ein Mittel«, sagte Gordon, »wir müssen sie auf den Rücken drehen.«
»Aber wie?« fragte Service. »Das Vieh hat mindestens 300 Pfund.«
»Einen Spaten!« rief Briant.
Die Schildkröte war jetzt nur noch 30 Schritte vom Meer entfernt. Gordon holte Costar herunter, der noch immer auf dem Tier ritt; dann packten sie alle am Strick und zerrten aus Leibeskräften rückwärts. Das Tier war stärker. Glücklicherweise kamen Briant und Moko rechtzeitig mit dem Spaten an, mit Hilfe des Hebelarms konnte man sie ohne Anstrengung auf den Rücken wenden. Bevor sie den Kopf einziehen konnte, traf Briant mit einem gezielten Axthieb und tötete sie.
»Kann man sie denn wenigstens essen?«
»Schildkröten schmecken vorzüglich«, belehrte Moko die Kinder. Das Tier war zu schwer, um es ganz zur Jacht zurückzuschaffen, man mußte es also an Ort und Stelle ausnehmen. Das war eine widerwärtige Arbeit. Mit Hilfe des Meißels sprengte man den Panzer auf, holte das Fleisch heraus und schnitt es in Stücke. Noch am gleichen Abend konnten sich alle davon überzeugen, wie gut Schildkrötenbouillon schmeckt, ganz zu schweigen von den gerösteten Fleischhappen, die Moko auf glühenden Kohlen gegrillt hatte. Auch Phann bekam ein paar Fleischreste ab.
Am 1. April zeigte das Barometer an, daß das Wetter in den nächsten Tagen umschlagen würde. Der Wind schwächte sich ab, die Regenwolken lösten sich langsam auf. Die Großen begannen bereits mit den Vorbereitungen für jenen Ausflug, dessen Bedeutung keinem gleichgültig war.
»Ich denke, wir können schon morgen früh losgehen«, schlug Doniphan vor.
»Gut«, sagte Briant.
»Der Ausflug wird ja wohl nicht länger als 24 Stunden dauern, oder?« fragte Gordon.
»Kaum, wenn es uns möglich ist, direkt nach Osten vorzustoßen; hoffentlich finden wir einen Weg durch die Wälder.«
»Keine Schwierigkeit«, brummte Doniphan. »Aber es können auch Sümpfe oder Flüsse oder was weiß ich da sein, die uns aufhalten; in jedem Fall brauchen wir genügend Proviant.«
»Und Munition!« ergänzte Wilcox.
»Klar. Gordon, du mußt dich nicht ängstigen, wenn wir am Abend noch nicht zurück sind.«
»Überzeugt euch nicht nur, ob das im Osten vermutete Wasser das Meer ist, sondern erkundet auch das Land jenseits des Steilufers möglichst genau. Denkt daran, daß wir bald eine Grotte oder etwas Ähnliches finden müssen.«
»Wird gemacht«, sagte Briant zu Gordon.
»Das ist ja nur dringend, Wenn wir auf einer Insel sind, nicht aber, wenn wir auf dem Festland sitzen«, beharrte Doniphan auf seinem alten Streitpunkt.
Die Vorbereitungen waren schnell beendet. Für 4 Tage Lebensmittel, in Säcken verstaut, die man bequem am Gurt tragen konnte, 4 Flinten, 4 Revolver, 2 kleine Äxte, einen Taschenkompaß, ein gutes Fernrohr, um das Land im Umkreis von etwa 6 km genau absuchen zu können, dann Reisedecken, Lunten und Feuerstahl, Streichhölzer und andere Kleinigkeiten.
Gordon nahm kurz vor Aufbruch Briant noch einmal zur Seite und beschwor ihn, jeder Auseinandersetzung mit Doniphan aus dem Wege zu gehen.
7
Briant, Doniphan, Wilcox und Service hatten das Lager der Sloughi um 7 Uhr verlassen. Die am wolkenlosen Himmel aufsteigende Sonne versprach einen schönen Tag. Die Kinder zogen anfangs schräg über das Vorland, um zu den Felsen des Steilufers zu gelangen. Gordon hatte ihnen empfohlen, Phann mitzunehmen, dessen Spürnase ihnen vielleicht unvermutet von Nutzen sein könnte. Eine Viertelstunde nach Aufbruch hatten sie schon den Waldrand erreicht. Doniphan widerstand dem Wunsch, mit dem Revolver auf Vögel zu schießen. Man folgte dem Steilufer bis zu dem im Norden der Bai gelegenen Vorgebirge, danach wollte man auf die von Briant gemeldete Wasserfläche zumarschieren. Dieser Weg war zwar nicht der kürzeste, aber er war sicher. Man mußte, weil sich in der Kalkwand kein Durchbruch zeigte, bis zur Kette des Vorgebirges selbst gehen. Aber würde der Weg frei sein, oder hatte die Flut den Klippengürtel und Teile des Strandes bereits überspült?
»Beeilen wir uns«, sagte Briant.
»Bah«, erwiderte Wilcox, »wenn schon, da werden uns doch nur die Knöchel naß!«
»Die Knöchel, dann die Brust und schließlich die Ohren«, antwortete Briant ruhig. »Das Meer steigt hier gewaltig an, vielleicht wäre es doch besser gewesen, gerade auf das Vorgebirge loszugehen.«