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Der Papierblüte folgte eine aus blauen Leinen genähte Blume, und zwei Tage später eine rosafarbene Seidenblume von der Größe einer Frauenhand. Beide wurden Selucia übergeben. Ihre blauen Augen verengten sich einen Augenblick lang misstrauisch, als sie auf ihm ruhten, aber Tuon meinte nur, sie könnte die Blumen behalten, und sie verstaute sie sorgfältig, eingeschlagen in ein Leinentuch. Er ließ drei Tage vergehen, ohne ein Geschenk mitzubringen, dann brachte er einen kleinen Strauß roter Rosen aus Seide, komplett mit kurzen Stängeln und glänzenden Blättern, die so real wie die Natur selbst aussahen, nur eben noch perfekter. An dem Tag, an dem er die erste Papierblume gekauft hatte, hatte er die Näherin gebeten, sie anzufertigen.

Selucia machte einen Schritt auf ihn zu und streckte die Hände aus, um die Rosen mit spöttisch verzogener Unterlippe entgegenzunehmen, aber er setzte sich und legte die Blumen neben das Spielbrett, in Tuons Nähe. Er sagte nichts, ließ sie einfach dort liegen. Sie schenkte ihnen nicht mal einen Blick. Er griff in die kleinen Lederbeutel, in denen die Steine aufbewahrt wurden, nahm je einen heraus und mischte sie in den Händen, bis selbst er nicht mehr genau wusste, welche sich wo befanden, dann streckte er ihr die geschlossenen Fäuste entgegen. Tuon zögerte kurz, studierte ausdruckslos sein Gesicht, dann tippte sie auf seine linke Hand. Er öffnete sie und enthüllte den funkelnden weißen Stein.

»Ich habe meine Meinung geändert, Spielzeug«, murmelte sie und platzierte den Stein sorgfältig auf den Schnittpunkt zweier Linien in der Nähe des Zentrums des Spielbretts. »Ihr spielt sehr gut.«

Mat blinzelte. Konnte sie wissen, was er plante? Selucia stand hinter Tuon, scheinbar völlig in den Anblick des fast leeren Bretts versunken. Setalle blätterte eine Seite in ihrem Buch um und rutschte etwas herum, um besseres Licht zu bekommen. Natürlich nicht. Sie sprach von den Partien Steinen. Hätte sie einen Verdacht gehabt, was sein wahres Spiel war, hätte sie ihn rausgeschmissen. Das hätte jede Frau. Es mussten die Steine sein.

Das war der Abend, an dem sie bis zum Unentschieden spielten und ein jeder von ihnen die Hälfte des Bretts mit unregelmäßigen Feldern kontrollierte. In Wahrheit hatte sie einen Sieg errungen.

»Ich habe mein Wort gehalten, Spielzeug«, sagte sie, als er die Steine zurück in den Beutel packte. »Keine Fluchtversuche, keinen Verrat. Das ist bedrückend.« Sie deutete auf das Wageninnere. »Ich möchte Spaziergänge machen. Nach Einbruch der Dunkelheit reicht aus. Ihr dürft mich begleiten.« Ihr Blick fiel auf die Rosen, dann schaute sie ihm ins Gesicht. »Damit Ihr dafür sorgen könnt, dass ich nicht weglaufe.«

Setalle markierte die Stelle, an der sie war, mit einem Finger und sah ihn an. Selucia stand hinter Tuon und sah ihn an. Die Frau hatte ihr Wort gehalten, so verrückt das auch erschien. Spaziergänge nach Einbruch der Dunkelheit, wenn die meisten Zirkusleute bereits in den Betten lagen, würden keinen Schaden anrichten, nicht, wenn er dabei war. Warum hatte er dann das Gefühl, die Kontrolle über die Situation zu verlieren?

Tuon willigte ein, einen Umhang mit hochgeschlagener Kapuze zu tragen, was eine gewisse Erleichterung darstellte. Das schwarze Haar wuchs wieder auf ihrem rasierten Kopf, aber bis jetzt war es kaum mehr als ein dichter Flaum, und im Gegensatz zu Selucia, die vermutlich mit ihrem Kopftuch schlief, hatte Tuon keine Anstalten gemacht, ihr Haupt zu bedecken. Eine kindgroße Frau, die ihr Haar kürzer als jeder Mann trug, der nicht gerade eine Glatze bekam, wäre selbst in der Nacht aufgefallen. Setalle und Selucia folgten immer ein kleines Stück hinter ihnen in der Dunkelheit, die Zofe der Lady, um ihre Herrin beschützend im Auge zu halten, und Setalle, um die Zofe im Auge zu behalten. Zumindest glaubte Mat, dass es sich so verhielt. Für Wächterin und Gefangene waren die beiden schrecklich freundlich zueinander. Er hatte gehört, wie Setalle Selucia davor gewarnt hatte, er sei bei Frauen ein richtiger Schurke, was aus ihrem Mund unerhört war! Und Selucia hatte seelenruhig erwidert, dass ihre Lady ihm beide Arme brechen würde, wenn er auch nur die geringste Respektlosigkeit zeigte, so als wären sie gar keine Gefangenen.

Er glaubte, diese Spaziergänge dazu nutzen zu können, etwas mehr über Tuon zu erfahren — sie sprach nicht viel, wenn sie über das Steine-Spielbrett gebeugt saß —, aber sie hatte so ihre Art, seine Fragen zu ignorieren oder das Thema zu ändern, für gewöhnlich kam sie auf ihn.

»Das Gebiet der Zwei Flüsse besteht hauptsächlich aus Wäldern und Bauernhöfen«, sagte er, als sie die Hauptstraße des Wanderzirkus entlangschlenderten. Wolken verbargen den Mond, die bunten Wagen stellten dunkle Umrisse dar, die man nicht voneinander unterscheiden konnte, und die Plattformen der Artisten, die die Straße säumten, waren bloße Schatten. »Jeder baut Tabak an und züchtet Schafe. Mein Vater züchtet auch Rinder und handelt mit Pferden, aber hauptsächlich sind es Tabak und Schafe, von einem Ende zum anderen.«

»Euer Vater ist Pferdehändler«, murmelte Tuon. »Und was tut Ihr, Spielzeug?«

Er warf einen Blick über die Schulter zu den beiden Frauen, die zehn Schritte hinter ihnen wie Geister daherglitten. Setalle war vermutlich nicht nahe genug, um etwas zu verstehen, wenn er seine Stimme gesenkt hielt, aber er entschied sich, ehrlich zu sein. Davon abgesehen war der Zirkus in der Dunkelheit totenstill. Sie hörte es vielleicht doch, und sie wusste, was er in Ebou Dar gemacht hatte.

»Ich bin ein Spieler«, sagte er.

»Mein Vater bezeichnete sich selbst als einen Spieler«, sagte Tuon leise. »Er starb wegen einer schlechten Wette.«

Und wie sollte man bitte schön herausfinden, was das wieder zu bedeuten hatte?

In einer anderen Nacht, in der sie an einer Reihe von Tierkäfigen vorbeigingen, sagte er: »Was macht Ihr, um Euch zu vergnügen, Tuon? Einfach nur, weil Ihr Spaß daran habt. Mal abgesehen von einer Partie Steine.« Er konnte förmlich fühlen, wie sich Selucia dreißig Schritte entfernt aufregte, weil er sie beim Namen nannte, aber Tuon schien es nicht zu stören. Das glaubte er zumindest.

»Ich richte Pferde und Damane ab«, sagte sie und schaute in einen Käfig, in dem ein schlafender Löwe lag.

Das Tier war nur ein großer Schatten, der hinter dicken Gitterstäben im Stroh lag. »Hat er wirklich eine schwarze Mähne? In Seanchan gibt es keine Löwen mit schwarzen Mähnen.«

Sie richtete Damane ab? Zum Vergnügen? Beim Licht!

»Pferde? Was für Pferde?« Vermutlich waren es Streitrösser, wenn sie verfluchte Damane abrichtete. Zum Vergnügen.

»Frau Anan sagte mir, Ihr seid ein Schurke, Spielzeug.« Ihr Tonfall war kühl, nicht kalt. Beherrscht. Sie wandte sich ihm zu, das Gesicht in den Schatten ihrer Kapuze verborgen. »Wie viele Frauen habt Ihr geküsst?« Der Löwe erwachte und röchelte, ein tiefer Laut, bei dem sich garantiert bei jedermann die Haare sträubten. Tuon zuckte nicht einmal zusammen.

»Sieht aus, als würde es bald wieder regnen«, erwiderte er schwach. »Selucia wird mir die Haut abziehen, wenn ich Euch durchnässt zurückbringe.« Er hörte, wie sie leise lachte. Was hatte er denn bloß so Komisches gesagt?

Natürlich musste ein Preis entrichtet werden. Vielleicht liefen die Dinge ja so, wie er wollte, vielleicht auch nicht, aber wenn man glaubte, dass sie es taten, war da immer ein Preisschild dran.

»Ein Haufen schnatternder Elstern«, beschwerte er sich bei Egeanin. Die nachmittägliche Sonne stand am Horizont, eine rotgoldene, halb von den Wolken verborgene Scheibe, die den Wanderzirkus in lange Schatten tauchte. Ausnahmsweise regnete es einmal nicht, und trotz der Kälte saßen sie zusammengekauert unter dem grünen Wagen, den sie sich teilten, und spielten eine Partie Steine, und jeder, der vorbeiging, konnte sie sehen. Und das taten viele, Männer, die noch eine Arbeit in letzter Minute zu erledigen hatten, Kinder, die vor Einbruch der Dunkelheit die letzte Gelegenheit ergriffen, Reifen durch die matschigen Pfützen zu rollen und Bälle zu werden. Frauen, die ihre Röcke schürzten, warfen dem Wagen im Vorbeigehen einen Blick zu, und selbst wenn sie die Kapuzen hochgeschlagen hatten, wusste Mat ganz genau, was ihre Mienen ausdrückten. Kaum eine Frau des Zirkus würde mit Mat Cauthon sprechen. Gereizt ließ er die schwarzen Steine scheppern, die er in der linken Hand hielt. »Sie bekommen ihr Gold, wenn wir Lugard erreichen. Das ist alles, was sie zu interessieren hat. Sie sollten ihre Nase nicht in meine Angelegenheiten stecken.«