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Diesmal gab es kein Fingergewackel. Tuon wechselte einen Blick mit Selucia. Die größere Frau schüttelte den Kopf und verzog kurz und bedauernd den Mund. Tuon schüttelte ihren Kopf. Und sie hoben die Umhänge ein Stück an und gingen auf die eisenbeschlagenen Stadttore zu. Frauen! Er beeilte sich, zu ihnen aufzuschließen. Immerhin waren sie seine Gefangenen. Das waren sie, jawohl. Sie warfen lange Schatten voraus. Hatten diese anderen Leute Schatten geworfen, bevor sie verschwunden waren? Mat konnte sich auch nicht daran erinnern, dass einer von ihnen Nebelwölkchen ausgestoßen hatte. Es schien keine Rolle zu spielen. Sie waren verschwunden, und er würde nicht darüber nachdenken, wo sie hergekommen oder wohin sie verschwunden waren. Vermutlich hatte es damit zu tun, dass er ein Ta'veren war. Er würde einfach nicht mehr daran denken. Genau, das würde er tun. Die polternden Würfel ließen wenig Platz für anderes.

Die Torwächter schienen sich für Fremde nicht sonderlich zu interessieren, oder zumindest nicht für einen Mann und zwei Frauen, die zu Fuß gingen. Es waren hartgesichtige Burschen mit weißlackierten Brustpanzern und konischen Helmen, die Rosshaare als Busch hatten; sie betrachteten die vermummten Frauen unbeteiligt, aber aus irgendeinem Grund hefteten sich ihre Blicke einen Augenblick lang misstrauisch auf Mat, bevor sie sich wieder auf ihre Hellebarden stützten und gelangweilt auf die Straße starrten. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um Einheimische, auf jeden Fall waren es keine Seanchaner. Die Salzhändler und die örtliche Lady, Aethelaine, die anscheinend das sagte, was die Salzhändler ihr befahlen, hatten ohne zu zögern den Schwur der Wiederkehr geleistet und angeboten, eine Salzsteuer zu entrichten, noch bevor man sie überhaupt danach fragte. Zweifellos würden die Seanchaner hier irgendwann einen Repräsentanten einsetzen, nur um alles im Auge zu behalten, aber im Moment hatten sie Wichtigeres für ihre Soldaten zu tun. Bevor sich Mat mit diesem Ausflug einverstanden erklärt hatte, hatte er Thom und Juilin vorausgeschickt, um absolut sicherzugehen, dass sich in Jurador keine Seanchaner aufhielten. Ein Dummkopf konnte über sein eigenes Glück stolpern, wenn er nicht aufpasste.

Jurador war eine geschäftige Stadt mit gepflasterten Straßen, von denen die meisten breit waren und von mit roten Schindeln gedeckten Steinhäusern gesäumt wurden. Häuser und Gasthöfe standen Schulter an Schulter mit Ställen und Tavernen, hier lärmte der Hammer eines Schmieds auf seinem Amboss, und dort ratterte der Webstuhl eines Teppichwebers, und überall — so hatte es zumindest den Anschein — hämmerten Küfer Eisenringe auf Fässer, die für den Salztransport bestimmt waren. Straßenhändler priesen lautstark Nadeln und Schleifen an. Auf jeder Straße bewachten Männer und Frauen die auf schmalen Tischen vor ihren Läden ausgestellten Waren und brüllten Listen der Dinge heraus, die drinnen angeboten wurden.

Die Häuser der Salzhändler waren leicht zu erkennen, sie wiesen drei Stockwerke statt nur zwei auf, belegten achtmal so viel Platz wie alle anderen, und jedes von ihnen hatte zur Straße hin einen Säulengang und wurde von weißen Gusseisengittern zwischen den Säulen abgeschirmt. An den meisten Häusern wiesen auch die unteren Fenster solche Gitter auf, auch wenn sie nicht immer lackiert waren. Das erinnerte an Ebou Dar, aber abgesehen von der olivfarbenen Haut der Menschen war das auch schon so gut wie alles. Hier gab es keine tiefen Ausschnitte und auch keine hochgenähten Röcke, die farbige Unterröcke enthüllten. Die Frauen trugen bestickte Kleider mit hohen Kragen bis fast unters Kinn; für die normalen Leute gab es schlichtere Stickereien, für die reicheren wesentlich aufwändigere; deren Umhänge waren von oben bis unten bestickt, und ihre Gesichter wurden von durchsichtigen Schleiern verhüllt, die an goldenen oder aus Elfenbein geschnitzten Kämmen hingen, die in dunklen, aufgerollten Zöpfen steckten. Die kurzen Mäntel der Männer waren fast genauso reich verziert, die Farben waren fast ebenso hell, und ob arm oder reich, die meisten Männer trugen lange Gürtelmesser, deren Klingen nur unwesentlich weniger gekrümmt waren als jene in Ebou Dar. Ob reich oder arm, die Burschen hatten die Angewohnheit, ihre Messergriffe zu tätscheln, als würden sie ständig mit einem Angriff rechnen, also war es vielleicht doch das Gleiche wie in Ebou Dar.

Der Palast der Lady Aethelaine schien sich von außen nicht von den stattlichen Häusern der Salzhändler zu unterscheiden, aber er befand sich am Hauptplatz der Stadt, einer großen Fläche aus polierten Steinfliesen, auf der ein breiter runder Marmorspringbrunnen Wasser in die Luft spritzte. Allerdings füllten Leute an den Ecken des Platzes Eimer aus Steintrögen. Der Springbrunnen verbreitete einen Geruch von Salzlauge. Sie war ein Symbol von Juradors Reichtum, und sie wurde aus derselben Quelle wie die Salzteiche in den umgebenden Hügeln abgepumpt. Mat bekam eine Menge von der Stadt zu sehen, bevor die Sonne den halben Weg zum Zenit erklommen hatte.

Jedes Mal, wenn Tuon und Selucia einen Laden erspähten, der Seide ausstellte, blieben sie an dem langen schmalen Tisch stehen, um Tuchrollen zu betasten und mit zusammengesteckten Köpfen zu flüstern, wobei sie die Bemühungen der aufmerksamen Verkäufer abwehrten. Die waren sehr aufmerksam, bis sie bemerkten, dass Mat zu den beiden Frauen gehörte. Mit ihrer schlecht sitzenden, abgetragenen Wollkleidung sahen sie nicht wie Kunden aus, die sich Seide leisten konnten. Mat aber schon, der eine Seite seines Umhangs zurückgeschlagen hatte, um das Futter sehen zu lassen. Aber wann auch immer er Interesse zu zeigen versuchte — Frauen behaupteten stets, sie wollten, dass man Interesse zeigte! —, wann auch immer er nahe genug herankam, um zu hören, was sie sagten, verstummten die Frauen und blickten ihn aus den Tiefen ihrer Kapuzen mit kühlen schwarzen und kühlen blauen Augen an, bis er ein paar Schritte zurückwich. Dann beugte Selucia wieder den Kopf zu Tuon herunter, und sie fingen erneut an zu murmeln und die Seide zu betasten, rote Seide, blaue Seide, grüne Seide, glatt schimmernde Seide und verzierte Seide. Jurador war eine sehr reiche Stadt. Glücklicherweise hatte Mat einen fetten Geldbeutel voller Gold eingesteckt. Aber nichts schien passend zu sein. Tuon schüttelte unweigerlich den Kopf, und die beiden rauschten wieder in die Menge hinein, während Mat sich beeilte, mit ihnen bis zum nächsten Seidengeschäft mitzuhalten. Die Würfel prallten von der Innenseite seines Kopfes ab.

Sie waren nicht die Einzigen vom Zirkus, die in die Stadt gekommen waren. Er entdeckte Aludra, deren Gesicht von ihren perlengeschmückten Zöpfen umrahmt wurde und die an der Seite eines grauhaarigen Mannes durch die Menge ging, der dem Ausmaß der hellen Stickereien auf dem Seidenmantel nach zu urteilen ein Salzhändler sein musste. Was konnte eine Illuminatorin von einem Salzhändler wollen? Was auch immer sie zu ihm sagte, sein erfreutes Lächeln fügte seinem Gesicht noch ein paar zusätzliche Falten hinzu, und er nickte.

Tuon schüttelte den Kopf, und die beiden Frauen gingen zum nächsten Laden und ignorierten die tiefen Verbeugungen des Händlers. Nun ja, die meisten waren für Mat gedacht. Vielleicht glaubte der dürre Narr ja, er wollte die Seide für sich kaufen. Nicht, dass er einen oder auch mehrere Seidenmäntel ausgeschlagen hätte, aber wer konnte schon über Mäntel nachdenken, wenn er darauf wartete, dass diese verfluchten Würfel verstummten? Nur ein paar dezente Stickereien, auf den Ärmeln und an den Schultern.

Thom ging an ihm vorbei, den bronzefarbenen Umhang fest um den Körper geschlungen; er gähnte, als hätte er die Nacht nicht geschlafen. Vielleicht hatte er es auch nicht. Der Gaukler hatte nicht wieder angefangen zu trinken, aber Lopin und Nerim beschwerten sich darüber, dass er bis in die frühen Morgenstunden wach blieb und eine Lampe brennen ließ, damit er immer wieder seinen kostbaren Brief lesen konnte. Was konnte an einem Brief von einer toten Frau so faszinierend sein? Eine Tote. Beim Licht, vielleicht waren all die Leute auf der Straße...! Nein, er würde einfach nicht darüber nachdenken.