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»Eine Entscheidung muss der Saal treffen. Sagt mir, Tochter: Würdet Ihr den Tod wählen, wenn Ihr leben und weiterhin der Burg dienen könntet?«

Die Grüne Schwester und die Blaue tauschten Blicke aus, dann wurde ihnen bewusst, was sie getan hatten, und ignorierten einander ruckartig. Keine von ihnen antwortete, aber Egwene vermochte förmlich die Gedanken zu lesen, die sich hinter ihrer Stirn jagten. Nach ein paar Augenblikken stand sie auf und stellte den Hocker wieder richtig hin.

Selbst das entlockte ihnen kaum mehr als gemurmelte Entschuldigungen, dass Egwene gezwungen gewesen war, es selbst zu tun. Dann versanken sie in stumme Nachdenklichkeit.

Egwene versuchte sich wieder auf die Berichte in Siuans Mappe zu konzentrieren — das Patt im Stein von Tear zog sich hin, und keiner hatte auch nur die leiseste Ahnung, wie es weitergehen sollte —, aber nicht lange nach Romandas Abgang traf Lelaine ein.

Im Gegensatz zu Romanda kam die schlanke Blaue Sitzende allein, und sie schenkte sich auch selbst Tee ein. Sie nahm auf dem freien Hocker Platz und warf sich den pelzgefütterten Umhang, der von einer silbernen Umhangspange mit großen Saphiren zusammengehalten wurde, zurück über die Schultern. Auch sie trug ihre Stola; das taten Sitzende für gewöhnlich. Lelaine war direkter als Romanda.

Zumindest hatte es den Anschein. In ihren Augen lag ein scharfes Funkeln.

»Kairens Tod hat die Aussicht, mit der Schwarzen Burg zu irgendeiner Art von Einigung zu kommen, weiter zurückgeworfen«, murmelte sie über ihrer Teetasse und inhalierte den Dampf. »Und da ist der arme Llyw, um den man sich kümmern muss. Vielleicht wird Myrelle ihn ja nehmen. Zwei ihrer drei Behüter gehörten erst anderen Schwestern. Sonst hat noch nie jemand zwei Behüter gerettet, deren Aes Sedai gestorben sind.«

Egwene war nicht die Einzige, die einen feinen Unterton heraushörte. Myrelles Gesicht war definitiv blass geworden. Sie hatte zwei Geheimnisse, die sie verbergen musste, und eines davon war, dass sie vier Behüter hatte. Die Weitergabe von Lan Mandragorans Bund von Moiraine an sie war etwas gewesen, das seit hundert Jahren nicht mehr geschehen war. Heutzutage betrachtete man so etwas, als hätte man einem Mann den Bund gegen seinen Willen aufgezwungen. Etwas, das seit Hunderten von Jahren nicht mehr vorgekommen war. »Drei reichen mir, Mutter«, sagte sie atemlos. »Mutter, wenn Ihr mich entschuldigt?«

Maigan lachte leise, als Myrelle mit schnellen Schritten das Zelt verließ. Nicht schnell genug, dass sie Saidar nicht umarmte, bevor die Eingangsplane hinter ihr zufiel.

»Natürlich«, sagte Lelaine und wechselte einen amüsierten Blick mit der anderen Blauen, »es heißt, sie würde ihre Behüter heiraten. Sie alle. Vielleicht eignet sich der arme Llyw nicht als Ehemann.«

»Er ist so breit wie ein Pferd«, meinte Maigan. Trotz ihrer Heiterkeit wegen Myrelles Flucht lag keine Bosheit in ihrer Stimme. Sie stellte lediglich eine Tatsache fest. Llyw war ein ausgesprochen großer Mann. »Ich glaube, ich kenne eine junge Blaue, die ihn nehmen könnte. Sie ist nicht auf diese Art an Männern interessiert.«

Lelaine nickte auf eine Weise, die besagte, dass die junge Blaue ihren Behüter gefunden hatte. »Grüne können sehr merkwürdig sein. Nehmt zum Beispiel Elayne Trakand. Ich hätte nie damit gerechnet, dass Elayne Grün wählen würde. Ich hatte sie als Blaue eingeschätzt. Das Mädchen hat ein gutes Gespür für politische Strömungen. Auch wenn sie ebenfalls die Neigung hat, in tieferen Gewässern zu wandern, als gut für sie ist. Würdet Ihr das nicht auch sagen, Mutter?« Lächelnd trank sie ihren Tee.

Das war ganz und gar nicht wie Romandas behutsames Vortasten. Hier folgte ein Schlag auf den nächsten, und die Klinge kam aus dem Nichts. Wusste Lelaine über Myrelle und Lan Bescheid? Hatte sie jemanden nach Caemlyn geschickt, und wenn ja, was hatte sie erfahren? Egwene fragte sich, ob sich Romanda auch so schwindlig gefühlt hatte.

»Glaubt Ihr, der Mord an Kairen reicht aus, um eine Vereinbarung zu verhindern?«, fragte sie. »Schließlich könnte es Logain gewesen sein, der für irgendeine verrückte Rache zurückgekehrt ist.« Warum beim Licht hatte sie das gesagt? Sie musste ihre Zunge zügeln und ihren Verstand benutzen. »Oder, was eher wahrscheinlich ist, irgendein armer Narr von einem der umliegenden Bauernhöfe oder aus einer der Brückenstädte.« Lelaines Lächeln wurde breiter, und es war spöttisch, nicht amüsiert. Beim Licht, die Frau hatte schon seit Monaten nicht mehr so viel Respektlosigkeit gezeigt.

»Wenn Logain sich rächen wollte, Mutter, dann wäre er wohl in der Weißen Burg und würde versuchen, Rote umzubringen.« Trotz des Lächelns war ihre Stimme glatt und unbeteiligt. Ein beunruhigender Kontrast. Womöglich war das ihre Absicht. »Vielleicht ist es schade, dass er das nicht tut. Er könnte Elaida beseitigen. Aber das wäre einfacher, als sie es verdient hat. Nein, Kairens Tod wird eine Vereinbarung genauso wenig aufhalten wie der von Anaiya, aber die Schwestern werden sich noch mehr Sorgen um Sicherheiten und scharfe Kritik machen. Wir mögen diese Männer brauchen, aber wir müssen sicher sein, dass wir die Kontrolle haben. Die absolute Kontrolle.«

Egwene nickte. Ein kleines Nicken. Sie stimmte zu, aber... »Es könnte schwierig sein, sie dazu zu bringen, das zu akzeptieren«, sagte sie. Schwierig sein? Heute zeigte sie definitiv ein Talent für Untertreibung.

»Der Behüterbund könnte leicht verändert werden«, sagte Maigan. »Man kann jetzt schon einen Mann dazu bringen, das zu tun, was man will, wenn man ihn etwas zwickt. Aber die Notwendigkeit zum Zwicken könnte man durchaus entfernen.«

»Das klingt zu sehr nach Zwang«, sagte Egwene energisch. Sie hatte dieses Gewebe von Moghedien gelernt, aber nur, damit sie sich dessen erwehren konnte. Das Gewebe war übler Dreck, der Diebstahl freien Willens, des ganzen Ichs. Jemand, dem der Zwang auferlegt worden war, tat alles, was man ihm befahl. Alles. Und glaubte, es sei seine eigene Idee gewesen. Allein schon der Gedanke daran ließ sie sich schmutzig fühlen.

Aber Maigan erwiderte ihren Blick fast so offen wie Lelaine, und ihre Stimme war so glatt wie ihr Gesicht. Sie fand es nicht schmutzig. »In Cairhien wurde Schwestern der Zwang auferlegt. Das scheint mittlerweile festzustehen.

Aber ich sprach vom Behüterbund, einer ganz anderen Sache.«

»Ihr glaubt, man könnte die Asha'man dazu überreden, den Bund einzugehen?« Egwene konnte ihre Ungläubigkeit nicht verbergen. »Davon abgesehen, wer sollte diesen Bund eingehen? Selbst wenn jede Schwester, die behüterlos ist, einen Asha'man übernimmt und jede Grüne zwei oder drei nehmen sollte, gibt es dazu nicht genug Schwestern. Immer unter der Voraussetzung, dass man jemanden findet, dem es gleichgültig ist, mit einem Mann verbunden zu sein, der den Verstand verlieren wird.«

Maigan nickte bei jedem Punkt, als würde sie ihn akzeptieren, und richtete ihre Röcke dabei, als würde sie nicht richtig zuhören. »Wenn der Bund in einer bestimmten Weise verändert werden kann«, sagte sie, sobald Egwene geendet hatte, »dann sollte es möglich sein, ihn auch anderweitig zu ändern. Möglicherweise kann man dafür sorgen, dass man die Gefühle des anderen nicht länger wahrnimmt, dass sich beide einander nicht mehr bewusst sind. Dann würde der Wahnsinn vielleicht kein Problem mehr darstellen. Es wäre eine andere Art von Bund, nicht so wie der Behüterbund. Ich bin sicher, jedermann würde zustimmen, dass es gar nicht so wäre, als hätte man einen Behüter. Jede Schwester könnte mit so vielen Asha'man wie nötig den Bund eingehen.«

Plötzlich wurde sich Egwene bewusst, was hier gerade geschah. Lelaine saß scheinbar unbeteiligt da und schaute in ihre Teetasse, aber sie studierte Egwene durch die Wimpern. Und benutzte Maigan als Köder. Egwene unterdrückte ihren Zorn und musste ihre Stimme nicht kalt klingen lassen. Sie war zu Eis erstarrt.

»Das klingt exakt wie der Zwang, Lelaine. Es ist Zwang, und keine Wortklauberei wird es zu etwas anderem machen. Das werde ich jedem klarmachen, der das vorschlägt. Und ich werde für jeden, der mehr tut, als es nur vorzuschlagen, die Prügelstrafe anordnen. Der Zwang ist verboten, und er wird auch verboten bleiben.«