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Sie seufzte. »Ich weiß.«

»An die Kennzeichen des Suburban bei Amesbury konnte sich niemand erinnern, aber hätte jemand darauf geachtet, wären sie wohl aus Massachusetts gewesen. Oder aus Pennsylvania. Oder sonst woher, nur nicht aus Maine.«

Er beugte sich wieder vor.

»Beadie hat Mitteilungen beigelegt, wenn er uns die Ausweise seiner Opfer geschickt hat. Hat uns verspottet, wissen Sie - hat uns herausgefordert, ihn zu erwischen. Vielleicht wollte er irgendwie sogar geschnappt werden.«

»Vielleicht«, sagte Darcy, obwohl sie das in Wirklichkeit nicht glaubte.

»Seine Mitteilungen waren in Druckbuchstaben geschrieben. Leute, die das tun, glauben, Druckschrift lasse sich nicht identifizieren, aber meistens ist das doch möglich. Die Ähnlichkeiten treten hervor. Sie haben wahrscheinlich keine Akten Ihres Mannes mehr im Haus?«

»Die nicht an seine Firma zurückgegangen sind, habe ich entsorgt. Aber ich vermute, dass es dort reichlich Schriftproben gibt. Wirtschaftsprüfer werfen nie etwas weg.«

Er seufzte. »Genau, aber solche Firmen rücken ohne richterliche Anordnung nichts heraus, und um die zu bekommen, müsste ich meinen Verdacht begründen können. Was ich einfach nicht kann. Ich habe eine Menge Zufälle - die meiner Überzeugung nach allerdings keine Zufälle sind. Und ich habe eine Anzahl von … nun, Annäherungen, so könnte man sie nennen, aber nicht entfernt so viele, dass sie als Indizienbeweise gelten könnten. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, Darcy. Ich dachte erst, Sie würden mich sofort rausschmeißen, aber Sie waren sehr freundlich.«

Sie sagte nichts.

Er beugte sich noch weiter vor und kauerte jetzt fast über dem Tisch. Wie ein Raubvogel. Aber in der Eiseskälte seiner Augen war noch etwas anderes sichtbar. Sie glaubte, es könnte Güte sein. Sie betete darum, dass es Güte war.

»Darcy, war Ihr Mann Beadie?«

Sie war sich darüber im Klaren, dass er ihr Gespräch möglicherweise aufzeichnete; das war immerhin denkbar.

»Sie haben sehr lange nichts geahnt, nicht wahr?«

Sie sagte nichts. Sah ihn nur an. Sah in ihn hinein, wie man es manchmal bei Leuten tat, die man gut kannte. Nur musste man dabei vorsichtig sein, weil man nicht immer das sah, was man zu sehen glaubte. Das wusste sie inzwischen.

»Und dann haben Sie’s gewusst? Eines Tages haben Sie’s gewusst?«

»Möchten Sie noch eine Tasse Kaffee, Holt?«

»Eine halbe«, sagte er. Dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. »Von mehr bekäme ich Sodbrennen, und ich habe vergessen, heute Morgen mein Zantac einzunehmen.«

»Ich glaube, dass ich oben im Medizinschränkchen ein paar Prilosec habe«, sagte sie. »Die haben Bob gehört. Soll ich sie holen?«

»Ich würde nichts von ihm einnehmen, auch wenn ich innerlich in Flammen stünde.«

»Wie Sie wollen«, sagte sie mild und schenkte ihm etwas Kaffee nach.

»Entschuldigung«, sagte er. »Aber manchmal gehen meine Gefühle mit mir durch. Diese Frauen … all diese Frauen … und der Junge, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Das war das Schlimmste.«

»Ja«, sagte sie und gab ihm die Tasse. Sie sah, wie seine Hand zitterte, und vermutete, dass dies sein letztes Rodeo war, ganz gleich, wie clever er war - und er war erschreckend clever.

»Eine Frau, die erst sehr spät im Spiel rausbekommt, was ihr Mann ist, befände sich in einer schwierigen Lage«, sagte Ramsey.

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte Darcy.

»Wer würde ihr glauben, wenn sie behauptet, sie habe all diese Jahre mit einem Mann zusammengelebt und nie geahnt, was er war? Nun, dann wäre sie ein Wie-heißt-er-gleichwieder, dieser Vogel, der im Maul eines Krokodils lebt?«

»Angeblich«, sagte Darcy, »lässt das Krokodil den Vogel leben, weil der ihm die Zähne säubert. Pickt die Körner in den Zwischenräumen heraus.« Mit den Fingern der rechten Hand machte sie Pickbewegungen. »Das stimmt vermutlich nicht … wahr dagegen ist, dass ich Bobby häufig zum Zahnarzt gefahren habe. Hätte ich’s nicht getan, hätte er seine Termine oft absichtlich ›vergessen‹. In Bezug auf Schmerzen war er schrecklich wehleidig.« Ihre Augen füllten sich unerwartet mit Tränen. Sie verwünschte sich und wischte sie mit den Handballen weg. Dieser Mann würde keine um Robert Anderson vergossenen Tränen respektieren.

Vielleicht täuschte sie sich da aber auch. Ramsey nickte ihr lächelnd zu. »Und ihre Kinder. Die würden unter die Räder geraten, wenn die Welt erführe, dass ihr Vater reihenweise Frauen gefoltert und ermordet hat. Und dann zum zweiten Mal, wenn die Welt glauben müsste, ihre Mutter habe ihn viele Jahre lang gedeckt. Ihm vielleicht sogar geholfen, wie Myra Hindley diesem Ian Brady geholfen hat. Wissen Sie, wer die beiden waren?«

»Nein.«

»Schön, lassen wir das. Aber stellen Sie sich folgende Frage: Was würde eine Frau in einer solch schwierigen Situation tun?«

»Was würden Sie tun, Holt?«

»Das weiß ich nicht. Meine Situation liegt etwas anders. Ich bin vielleicht nur ein alter Klepper - das älteste Pferd im Feuerwehrstall -, aber ich trage eine Verantwortung gegenüber den Angehörigen der ermordeten Frauen. Sie haben ein Recht darauf, dass diese Fälle abgeschlossen werden.«

»Das verdienen sie, gewiss … aber brauchen sie’s auch?«

»Robert Shaverstones Penis war abgebissen, wussten Sie das?«

Das wusste sie nicht. Natürlich nicht. Sie schloss die Augen und spürte heiße Tränen durch die Wimpern quellen. Er musste nicht »leiden«, von wegen!, dachte sie, und wäre Bob jetzt mit bittend erhobenen Händen vor ihr erschienen, hätte sie ihn wieder umgebracht.

»Sein Vater weiß es«, sagte Ramsey. Er sprach leise. »Und er muss tagaus, tagein mit diesem Wissen über sein geliebtes Kind leben.«

»Das tut mir leid«, flüsterte sie. »Das tut mir schrecklich leid.«

Sie spürte, wie er über den Tisch hinweg ihre Hand ergriff. »Wollte Sie nicht aufregen.«

Darcy schüttelte die Hand ab. »Natürlich wollten Sie das! Aber glauben Sie, dass ich das nicht war? Glauben Sie, dass ich das nicht längst war, Sie … Sie neugieriger alter Schnüffler?«

Er lachte glucksend und ließ dabei seine glänzenden falschen Zähne sehen. »O nein, das glaube ich keineswegs. Ich hab’s gleich gesehen, als Sie die Tür geöffnet haben.« Er machte eine Pause, dann fügte er bedächtig hinzu: »Ich habe alles gesehen.«

»Und was sehen Sie jetzt?«

Er stand auf, schwankte leicht, fand sein Gleichgewicht wieder. »Ich sehe eine tapfere Frau, die in Ruhe gelassen werden sollte, damit sie ihre Hausarbeit erledigen kann. Und für den Rest ihres Lebens sowieso.«

Sie stand ebenfalls auf. »Und die Familien der Opfer? Die ein Recht darauf haben, dass die Fälle abgeschlossen werden?« Sie zögerte, weil sie den Rest nicht sagen wollte. Aber das musste sie. Dieser Mann war trotz starker Schmerzen - vielleicht fast unerträglicher Schmerzen - hergekommen,

»Der Junge ist tot, und sein Vater ist’s praktisch auch.« Ramsey sprach in einem ruhigen, nüchtern urteilenden Ton, den Darcy wiedererkannte. So hatte Bob gesprochen, wenn klar gewesen war, dass ein Mandant seiner Firma vom Finanzamt vorgeladen werden würde und sich auf unangenehme Fragen gefasst machen musste. »Hängt von morgens bis abends an der Whiskeyflasche. Würde sich daran etwas ändern, wenn er wüsste, dass der Mörder seines Sohns - der Verstümmler seines Sohns - tot ist? Das glaube ich nicht. Würde auch nur eines der Opfer dadurch wieder lebendig? Nein. Brennt der Mörder jetzt wegen seiner Schandtaten im Fegefeuer und leidet selbst unter Verstümmelungen, die bis in alle Ewigkeit bluten werden? Das sagt die Bibel. Zumindest im Alten Testament, und nachdem unsere Gesetze von dort stammen, genügt mir das. Danke für den Kaffee. Auf der Rückfahrt werde ich an jedem Rastplatz zwischen hier und Augusta anhalten müssen, aber das ist’s mir wert. Sie kochen guten Kaffee.«