»Ich habe ihn nicht reingelassen, weil er mir nicht sympathisch war«, sagte ich. »Allerdings muss ich ehrlicherweise sagen, dass ich vermutlich auch gegen den Apostel Johannes voreingenommen gewesen wäre, wenn er hier für Cole Farrington angetreten wäre.«
Darüber musste Sheriff Jones schallend laut lachen: Ha, ha, ha! Nur dass seine Augen nicht lachten.
Ich stand auf. Es war eine Erleichterung, auf den Beinen zu sein. Stehend war ich eine Handbreit größer als Jones. »Sie können sich umsehen, so viel Sie wollen.«
»Das weiß ich zu schätzen. Es erleichtert mir das Leben nämlich ungemein, nicht wahr? Wenn ich zurückkehre, muss ich Richter Cripps aushalten, und das ist schon schwierig genug. Keiner von Farringtons Anwälten soll mich ankläffen, nicht wenn ich’s vermeiden kann.«
Wir gingen ins Haus, ich voraus, Henry als Nachhut. Nach einigen anerkennenden Bemerkungen darüber, wie aufgeräumt das Wohnzimmer und wie blitzsauber die Küche sei, gingen wir durch den Flur. Sheriff Jones warf einen flüchtigen Blick in Henrys Zimmer, dann kam die Hauptattraktion. Ich stieß unsere Schlafzimmertür mit der verrückten Gewissheit auf, dass das Blut wieder da sein würde. Es würde in Lachen auf dem Boden stehen, an die Wände gespritzt sein, die Matratze getränkt haben. Sheriff Jones wurde sich das alles ansehen. Dann würde er sich mir zuwenden, die Handschellen von der fleischigen Hüfte gegenüber dem Revolver loshaken und sagen: Ich verhafte Sie wegen Mordes an Arlette James, nicht wahr?
Es gab kein Blut, auch keinen Blutgeruch, weil das Zimmer tagelang gelüftet worden war. Das Bett war gemacht, jedoch nicht so, wie Arlette es gemacht hätte; meine Art war eher der Militärstil, obwohl meine Füße mich vor dem Krieg bewahrt hatten, in dem der Sohn des Sheriffs gefallen war. Mit Plattfüßen kann man nicht losziehen und Krauts umlegen. Männer mit Plattfüßen können nur ihre Frauen umbringen.
»Hübsches Zimmer«, bemerkte Sheriff Jones. »Bekommt Morgensonne, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich. »Und bleibt auch im Sommer nachmittags kühl, weil die Sonne drüben auf der anderen Seite steht.« Ich trat an den Kleiderschrank und öffnete ihn. Die vorige Gewissheit kehrte noch stärker zurück. Wo ist der Quilt?, würde er fragen. Der eine, der hier in die Mitte des obersten Fachs gehört.
Das tat er natürlich nicht, aber er trat gleich vor, als ich ihn dazu aufforderte. Seine scharfen Augen - leuchtend grün, fast katzenartig - sahen hierhin, dorthin, überallhin. »Reichlich viele Klamotten«, sagte er.
»Ja«, gab ich zu. »Arlette mag Kleider gern, und sie mag Versandhauskataloge. Aber weil sie nur einen Koffer mitgenommen hat - wir haben zwei, und der andere ist noch hier, sehen Sie ihn dort hinten in der Ecke? -, würde ich sagen, dass sie nur ihre liebsten Sachen mitgenommen hat. Und solche, die praktisch waren, denke ich. Sie hat zwei Gabardinehosen und eine Jeans, und die sind alle drei weg, obwohl sie sich nichts aus Hosen gemacht hat.«
»Hosen taugen fürs Reisen, nicht wahr? Ob Mann oder Frau, Hosen sind praktische Reisekleidung.«
»Das stimmt wohl.«
»Sie hat auch ihren guten Schmuck und ihr Photo von Oma und Opa mitgenommen«, sagte Henry hinter uns. Ich
»Hat sie das? Na, das war wohl zu erwarten.«
Er schob ein paar Kleiderbügel hin und her, dann schloss er die Schranktür. »Hübsches Zimmer«, sagte er, als er sich mit dem Stetson in der Hand abwandte. »Hübsches Haus. Eine Frau, die ein hübsches Zimmer und so ein hübsches Haus wie das hier verlässt, muss verrückt sein.«
»Mama hat viel von der Stadt geredet«, sagte Henry und seufzte. »Sie wollte da irgendein Geschäft aufmachen.«
»Wollte sie das?« Sheriff Jones betrachtete ihn mit grün funkelnden Katzenaugen. »Aha! Aber dafür braucht man etwas Geld, nicht wahr?«
»Sie hat doch Land von ihrem Vater geerbt.«
»Ja, ja.« Er sagte das mit einem verlegenen Lächeln, als hätte er das Land kurzfristig vergessen. »Und vielleicht ist es auch besser so. ›Es ist besser, wohnen in wüstem Lande denn bei einem zänkischen und zornigen Weibe.‹ Sprüche Salomos. Bist du froh, dass sie fort ist, Sohn?«
»Nein«, sagte Henry und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Ich segnete jede einzelne davon.
»Na, komm!«, sagte Sheriff Jones. Nach diesem oberflächlichen Trost bückte er sich, indem er sich mit beiden Händen auf den pummeligen Knien abstützte, und sah unters Bett. »Dort scheint ein Paar Damenschuhe zu stehen. Gut eingelaufen. Genau richtig, wenn man weit zu gehen hat. Sie glauben wohl nicht, dass sie barfuß weggelaufen ist, stimmt’s?«
»Sie hat ihre Leinenschuhe getragen«, sagte ich. »Die sind jedenfalls nicht mehr da.«
»Aha!«, sagte er. »Ein weiteres Rätsel gelöst.« Er zog eine versilberte Uhr aus der Westentasche und warf einen Blick darauf. »Tja, ich muss leider weiter. Tempus fugitiert wieder mal.«
Wir gingen durchs Haus zurück. Henry bildete wieder die Nachhut, vielleicht damit er sich unbeobachtet die Tränen aus den Augen wischen konnte. Wir begleiteten den Sheriff zu seinem viertürigen Maxwell mit dem Stern auf der Tür. Ich wollte ihn gerade fragen, ob er auch den Brunnen sehen wolle - ich wusste sogar, wie ich ihn bezeichnen würde -, da machte er halt und bedachte meinen Sohn mit einem erschreckend freundlichen Blick.
»Ich bin bei den Cotteries vorbeigefahren«, sagte er.
»Oh?«, sagte Henry. »Wirklich?«
»Hab euch ja erzählt, dass ich ungefähr jeden Busch bewässern muss, aber ich benutze lieber einen Abort, wenn gerade einer in der Nähe ist und die Leute ihn sauber halten. Da brauche ich mir keine Sorgen wegen Wespen zu machen, während ich darauf warte, dass aus meinem Dings ein bisschen Wasser tröpfelt. Und die Cotteries sind saubere Leute. Mit’ner hübschen Tochter. Ziemlich genau in deinem Alter, nicht wahr?«
»Ja, Sir«, sagte Henry und hob die Stimme bei dem Sir ganz leicht zu einer angedeuteten Frage.
»Du hast sie gern, nicht wahr? Und sie dich auch, wie ihre Mama sagt.«
»Hat sie das gesagt?«, fragte Henry überrascht, aber auch erfreut.
»Ja. Mrs. Cotterie hat gesagt, dass du dir Sorgen wegen deiner Mama machst und Shannon ihr etwas erzählt hat, was du zu diesem Thema gesagt hast. Als ich wissen wollte, was das war, hat sie gesagt, darüber darf sie nicht sprechen, aber ich könnte Shannon selbst fragen. Also hab ich’s getan.«
Henry starrte seine Stiefel an. »Ich hab sie gebeten, das für sich zu behalten.«
»Du wirst ihr’s doch nicht verübeln, oder?«, sagte Sheriff Jones. »Ich meine, wenn ein großer Kerl wie ich mit muss praktisch auspacken, hab ich recht?«
»Weiß ich nicht«, sagte Henry, der noch immer den Kopf gesenkt hielt. »Wahrscheinlich.« Er spielte den Unglücklichen nicht nur; er war unglücklich. Obwohl alles so lief, wie wir gehofft hatten.
»Shannon sagt, dass deine Ma und dein Paps einen Riesenkrach wegen dem Verkauf von diesen 70 Hektar hatten, und als du dich auf die Seite deines Papas geschlagen hast, hat Missus James dir ordentlich eine geknallt.«
»Stimmt«, sagte Henry ausdruckslos. »Sie hatte zu viel getrunken.«
Sheriff Jones wandte sich an mich. »War sie betrunken oder nur beschwipst?«
»Irgendwo zwischendrin«, sagte ich. »Wenn sie richtig betrunken gewesen wäre, hätte sie die ganze Nacht geschlafen, statt aufzustehen, den Koffer zu packen und sich wie ein Dieb aus dem Haus zu schleichen.«
»Sie dachten, sie würde zurückkommen, sobald sie wieder nüchtern war, nicht wahr?«
»Genau. Bis zur Asphaltstraße sind es vier Meilen. Ich hab damit gerechnet, dass sie zurückkommt. Aber jemand muss angehalten und sie mitgenommen haben, bevor sie wieder bei klarem Verstand war. Ich tippe auf einen Fernfahrer auf der Fahrt von Lincoln nach Omaha.«