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Als er zum zweiten Mal aufkreuzte, wirkte er nicht nur frustriert, sondern regelrecht verzweifelt und rückte sofort mit der Sprache heraus: Hatte meine Frau hier auf der Farm einen Unfall gehabt? War es so gewesen? War sie deshalb nirgends tot oder lebendig aufgetaucht?

»Mr. Lester«, sagte ich, »wenn Sie mich fragen, ob ich meine Frau ermordet habe, lautet die Antwort nein.«

»Tja, was sollten Sie schon groß anderes sagen.«

»Das war Ihre letzte Frage an mich, Sir. Steigen Sie in Ihren Wagen dort drüben, fahren Sie weg und kommen Sie nie wieder. Andernfalls jage ich Sie mit einem Axtstiel vom Hof.«

»Dann kämen Sie wegen tätlichen Angriffs hinter Gitter!« Er trug an diesem Tag einen Zelluloidkragen, der ganz verrutscht war. Man konnte fast Mitleid mit ihm haben, wie er so dastand, während eine Kragenecke sich von unten in sein Kinn bohrte, Schweißbäche weiße Linien durch den Staub auf seinem pausbäckigen Gesicht zogen, seine Lippen zuckten und seine Augen aus den Höhlen zu quellen drohten.

»Keineswegs«, sagte ich. »Ich habe Sie meiner Farm verwiesen, was mein gutes Recht ist, und werde Ihrer Firma werde Gewalt anwenden. Seien Sie gewarnt, Sir!« Lars Olsen, der Lester wieder mit seinem Red Baby hergefahren hatte, war kurz davor, die Hände hinter die Ohren zu legen, um besser hören zu können.

Als Lester die türlose rechte Seite des Lieferwagens erreichte, warf er sich mit ausgestrecktem Arm und anklagend erhobenem Zeigefinger herum wie ein vor Gericht plädierender Anwalt mit einer Ader fürs Theatralische. »Ich glaube, dass Sie sie ermordet haben! Und Mord kommt früher oder später ans Licht der Sonne!«

Henry - oder Hank, wie er jetzt genannt werden wollte -, kam aus der Scheune. Er hatte auf dem Heuboden gearbeitet und hielt die Heugabel jetzt schräg vor der Brust wie ein Wachposten sein Gewehr. »Und ich glaube, Sie sollten von hier verschwinden, bevor Sie zu bluten anfangen«, sagte er. Der freundliche und ziemlich schüchterne Junge, den ich bis zum Sommer 1922 gekannt hatte, hätte so was nie gesagt, aber der hier tat es, und Lester merkte, dass das sein Ernst war. Er stieg ein. Weil er keine Tür zuknallen konnte, musste er sich damit begnügen, die Arme zu verschränken.

»Du bist immer willkommen, Lars«, sagte ich freundlich, »aber bring ihn nicht mit, so viel er dir auch dafür bietet, dass du seinen wertlosen Arsch herkarrst.«

»Nein, Sir, Mr. James«, sagte Lars und fuhr mit ihm davon.

Ich wandte mich Henry zu. »Hättest du ihn wirklich mit der Heugabel aufgespießt?«

»Jawohl. Dass er gequietscht hätte.« Dann ging er ohne ein Lächeln in die Scheune zurück.

Aber er war in diesem Sommer nicht immer ernst, und Shannon Cotterie war der Grund dafür. Er war oft mit ihr

Üppig war das Wort für Shannon: Hüften, Busen, Herz, alles üppig. Zu Harry war sie überaus sanft, und sie hatte ihn gern. Deshalb hatte auch ich sie gern … aber das ist zu schwach ausgedrückt, lieber Leser. Ich liebte sie, und wir beide liebten Henry. Nach jenen Abendessen am Dienstag und am Donnerstag bestand ich jeweils darauf, das Geschirr zu spülen, und schickte die beiden auf die Veranda hinaus. Manchmal hörte ich sie miteinander tuscheln; wenn ich dann kurz hinausspähte, sah ich sie nebeneinander in den Schaukelstühlen sitzen, übers Westfeld hinausblicken und wie ein altes Ehepaar Händchen halten. Bei anderen Gelegenheiten beobachtete ich heimlich, wie sie sich küssten,

An einem heißen Donnerstagnachmittag kam sie früher als sonst. Ihr Vater war mit seinem Mähdrescher auf unserem Nordfeld, Henry fuhr bei ihm mit, eine kleine Kolonne Indianer aus der Schoschonen-Reservation in Lyme Biska klaubte hinter ihnen auf … und hinter allen anderen fuhr Old Pie den Sammelwagen. Shannon bat um einen Schöpflöffel kaltes Wasser, den ich ihr gern gab. Auf der schattigen Seite des Hauses wirkte sie in ihrem weiten Kleid, das sie fast wie ein Quäkergewand von der Kehle bis zu den Schienbeinen, von den Schultern bis zu den Handgelenken bedeckte, unglaublich kühl. Ihr Benehmen war ernst, vielleicht sogar ängstlich, und ich war einen Augenblick lang selbst ängstlich. Er hat’s ihr gesagt, dachte ich. Was sich als Irrtum erweisen sollte. Nur dass es eigentlich doch keiner war.

»Mr. James, ist Henry krank?«

»Krank? Nein, nein. Kerngesund, würde ich sagen. Und er isst wie ein Scheunendrescher, wie du ja selbst weißt. Obwohl ich glaube, dass selbst ein Kranker Mühe hätte, sich deinen Kochkünsten zu verweigern, Shannon.«

Das brachte mir ein Lächeln ein, aber eines von der geistesabwesenden Art. »In diesem Sommer ist er anders. Ich hab immer gewusst, was er denkt, aber jetzt nicht mehr. Er brütet

»Tut er das?«, fragte ich (zu herzlich).

»Sie haben nichts gemerkt?«

»Nein, Ma’am.« (Ich hatte es gemerkt.) »Er kommt mir vor wie immer. Aber er hat dich schrecklich gern, Shan. Was dir als Brüten erscheint, kommt ihm vielleicht wie liebeskrank vor.«

Ich dachte, das würde mir ein richtiges Lächeln einbringen, aber nein. Sogar das kleine, das sie sich zuvor abgerungen hatte, verschwand. Sie berührte mich am Handgelenk. Vom Schöpferstiel war die Hand noch ganz kühl. »Das hab ich mir auch schon überlegt, aber …« Der Rest brach aus ihr heraus. »Mr. James, wenn er in eine andere verschossen wäre - in eines der Mädchen aus der Schule -, würden Sie’s mir doch sagen, oder? Sie würden nicht versuchen, meine … meine Gefühle zu schonen …?«

Als ich darüber lachen musste, konnte ich sehen, wie ihr unscheinbares, aber freundliches Gesicht sich erleichtert aufhellte. »Shan, hör mir zu. Weil ich wirklich dein Freund bin. Im Sommer gibt es immer viel Arbeit, und seit Arlette fort ist, haben Hank und ich mehr geschuftet als einarmige Tapezierer. Wenn wir abends reinkommen, essen wir - sehr gut sogar, wenn du gerade da bist - und lesen danach noch eine Stunde. Das heißt, wenn wir die Augen offen halten können. Dann gehen wir zu Bett, und am nächsten Tag stehen wir auf, und alles geht von vorn los. Er hat also kaum Zeit, dir den Hof zu machen - von anderen Mädchen ganz zu schweigen.«

»Mir hat er den Hof gemacht, das stimmt«, sagte Shannon und sah zum Mähdrescher hinüber, mit dem ihr Vater und Henry am Horizont entlangtuckerten.

»Na … das hört sich doch prima an.«

»Ich dachte nur … er ist jetzt so still … so trübsinnig … manchmal starrt er in die Ferne, und ich muss seinen Namen zwei- oder dreimal sagen, bevor er mich hört und mir antwortet.« Sie errötete heftig. »Sogar seine Küsse sind irgendwie anders. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber sie sind anders. Aber wenn Sie ihm jemals sagen, dass ich das gesagt habe, sterbe ich. Ich sterbe einfach.«

»Das täte ich nie«, sagte ich. »Freunde verpetzen einander nicht.«

»Wahrscheinlich bin ich ein Dummerchen. Aber viele von den Mädchen in der Schule sind hübscher als ich … eigentlich sogar alle …«

Ich hob ihr Kinn mit zwei Fingern hoch, so dass sie mir in die Augen schauen musste. »Shannon Cotterie, wenn mein Junge dich ansieht, sieht er das schönste Mädchen der Welt. Und er hat recht damit. Also, wenn ich in seinem Alter wär, würde ich dir auch den Hof machen.«

»Danke«, sagte sie. In ihren Augenwinkeln standen wie winzige Diamanten ein paar Tränen.

»Deine einzige Sorge muss ein, ihn auf seinen Platz zu verweisen, falls er ihn mal verlässt. Burschen können nämlich mächtig in Fahrt kommen. Und wenn ich mal aus der Reihe tanze, musst du’s einfach sagen. Auch das ist in Ordnung, wenn’s unter Freunden passiert.«

Daraufhin umarmte sie mich, und auch ich drückte sie an mich. Eine gute, kräftige Umarmung, aber für Shannon vermutlich angenehmer als für mich. Weil Arlette zwischen uns stand. In jenem Sommer des Jahres 1922 stand sie zwischen mir und jedermann sonst, und Henry erging es nicht anders. Nichts anderes hatte Shannon mir gerade mitgeteilt.