In einer Augustnacht, als die Ernte größtenteils eingebracht war und Old Pies Leute entlohnt und wieder in der Reservation waren, wachte ich von leisen Muhlauten auf. Ich habe das Melken verschlafen, dachte ich, aber als ich nach der Taschenuhr meines Vaters auf dem Nachttisch griff und einen Blick darauf warf, sah ich, dass es erst Viertel nach drei Uhr morgens war. Ich hielt sie an mein Ohr, um festzustellen, ob sie noch tickte, aber ein Blick aus dem Fenster ins mondlose Dunkel hätte denselben Zweck erfüllt. Und es war auch nicht das leicht unbehagliche Muhen einer Kuh, die gemolken werden wollte. Es waren die Laute eines Tieres, das Schmerzen litt. Manchmal sind sie von kalbenden
Ich stand auf, wollte zur Tür gehen und trat dann an den Kleiderschrank, um mein Kaliber.22 mitzunehmen. Hinter der geschlossenen Tür seines Zimmers sägte Henry Holz, als ich mit der Waffe in der einen und meinen Stiefeln in der anderen Hand vorbeihastete. Hoffentlich würde er nicht aufwachen und mich bei etwas begleiten wollen, das ein gefährliches Unternehmen sein konnte. In der Prärie gab es damals nur noch wenige Wölfe, aber Old Pie hatte mir erzählt, dass zwischen Platte River und Medicine Creek viele Füchse am Sommerfieber litten, wie die Schoschonen die Tollwut bezeichneten. Irgendein tollwütiges Raubwild im Stall war also vermutlich die Ursache dieser Laute.
Sobald ich aus dem Haus war, klang das schmerzliche Muhen überaus laut und irgendwie hohl. Hallend. Wie von einer Kuh in einem Brunnen, dachte ich. Bei diesem Gedanken bekam ich eine Gänsehaut auf den Armen und umklammerte mein Gewehr fester.
Als ich das zweiflüglige Stalltor erreichte und die rechte Hälfte mit der Schulter aufdrückte, konnte ich hören, wie die anderen Kühe mitfühlend zu muhen begannen, aber diese Laute waren ruhige Erkundigungen im Vergleich zu den schrillen Schmerzenslauten, die mich geweckt hatten … und auch Henry wecken würden, wenn ich nicht bald beendete, was sie verursachte. An einem Haken rechts neben dem Tor hing eine Kohlebogenlampe - wir benutzten hier möglichst keine Laterne mit offenem Feuer, vor allem nicht im Sommer, wenn der Heuboden vollgepackt und alle Maisspeicher bis obenhin gefüllt waren.
Ich tastete nach dem Zündknopf und drückte ihn. Grelles blauweißes Licht breitete sich ringförmig aus. Anfangs war ich zu geblendet, um irgendetwas zu erkennen; ich konnte nur die Schmerzenslaute und die Hufschläge hören,
Ich schlüpfte in meine Gummistiefel und trabte dann mit dem Gewehr unter dem Arm den Mittelgang entlang. Ich riss die Tür der Box auf und trat einen Schritt zur Seite. Achelois heißt »die den Schmerz vertreibt«, aber nun hatte Achelois selbst Schmerzen. Als sie auf den Gang hinauspolterte, sah ich, dass ihre Hinterbeine blutverschmiert waren. Sie bäumte sich auf wie ein Pferd (was mir bei einer Kuh noch nie untergekommen war), und als sie das tat, sah ich an einer ihrer Zitzen eine riesige Wanderratte hängen. Ihr Gewicht hatte den rosa Stummel zu einem straffen Knorpelschlauch gedehnt. Vor Überraschung (und Entsetzen) gelähmt, musste ich daran denken, wie Henry als kleiner Junge manchmal Kaugummi wie ein Band aus dem Mund gezogen hatte. Lass das!, hatte Arlette ihn dann angefahren. Kein Mensch will sehen, worauf du rumgekaut hast.
Ich hob das Gewehr, ließ es aber gleich wieder sinken. Wie hätte ich schießen können, wo die Ratte doch wie ein lebendes Pendel hin- und herschwang?
Draußen auf dem Gang senkte Achelois den Kopf und wiegte ihn von einer Seite zur anderen, als brächte das irgendwas. Sobald sie wieder auf vier Beinen stand, konnte die Ratte unter ihr aufgerichtet auf dem mit einer dünnen Heuschicht bedeckten Stallboden stehen. Sie glich einem seltsam missgebildeten Welpen mit von Blut gefärbten Milchtropfen in den Schnurrbarthaaren. Ich sah mich nach etwas um, mit dem ich auf sie einschlagen konnte, aber bevor ich Ich habe in all den Jahren immer fleißig Milch gegeben und dir nie Schwierigkeiten bereitet - im Gegensatz zu anderen, die ich benennen könnte -, wieso hast du also zugelassen, dass mir das passiert? Unter ihrem Euter sammelte sich Blut an und bildete eine kleine Lache. Sogar in meinem von Schock und Abscheu geprägten Zustand erkannte ich, dass diese Verletzung nicht tödlich war, aber ihr Anblick - und der der Ratte mit der schuldlosen Zitze in der Schnauze - erfüllte mich mit Zorn.
Trotzdem schoss ich nicht auf sie, teils weil ich Angst vor Feuer hatte, aber vor allem nicht, weil ich fürchtete, ich könnte sie mit der Kohlebogenlampe in einer Hand verfehlen. Stattdessen schlug ich mit dem Gewehrkolben zu, um diesen Eindringling so zu erledigen, wie Henry den Überlebenden aus dem Brunnen mit der Schaufel erschlagen hatte. Aber Henry war ein Junge mit guten Reflexen, und ich war ein Mann in mittleren Jahren, der aus tiefem Schlaf geweckt worden war. Die Ratte wich meinem Schlag mühelos aus und trippelte den Mittelgang hinunter. Die abgebissene Zitze wippte in ihrer Schnauze auf und ab, und ich erkannte, dass die Ratte sie auffraß - warm und bestimmt voller Milch -, während sie weglief. Ich jagte hinter ihr her und schlug noch zweimal nach ihr, verfehlte aber beide Male. Dann sah ich, wohin sie lief: zu dem Leitungsrohr, das in den ehemaligen Tränkbrunnen hinunterführte. Natürlich! ihr begraben.
Aber diese Bestie ist bestimmt zu groß für das Rohr, dachte ich. Sie muss von außerhalb kommen - vielleicht aus einem Nest im Misthaufen.
Sie sprang zur Öffnung hinauf, wobei ihr Körper sich auf höchst erstaunliche Weise verlängerte. Ich schwang das Gewehr ein letztes Mal und zerschmetterte den Kolben am Rand des Eisenrohrs. Die Ratte verfehlte ich ganz. Als ich mit der Kohlebogenlampe ins Rohr hineinleuchtete, sah ich gerade noch undeutlich ihren haarlosen Schwanz im Dunkel verschwinden und hörte ihre kleinen Krallen auf dem verzinkten Metall kratzen. Dann war sie weg. Mein Herz hämmerte so stark, dass mir weiße Punkte vor den Augen tanzten. Ich holte tief Luft, aber sie war so mit dem Gestank von Zersetzung und Verwesung geschwängert, dass ich mit zugehaltener Nase zurücksank. Das Bedürfnis, zu schreien, wurde durch das Bedürfnis erstickt, mich zu übergeben. Am anderen Ende des Rohrs konnte ich nämlich deutlich Arlette sehen, deren sich verflüssigendes Fleisch jetzt von Käfern und Maden wimmelte; ich konnte sehen, wie ihr Gesicht vom Schädel zu tropfen begann, wie das Grinsen ihrer Lippen dem länger andauernden Knochengrinsen darunter wich.
Ich kroch auf allen vieren rückwärts von diesem schrecklichen Rohr fort, versprühte Erbrochenes erst nach links, dann nach rechts, und nachdem ich mein ganzes Abendessen von mir gegeben hatte, würgte ich noch lange Stränge Gallenflüssigkeit hoch. Mit wässrigen Augen sah ich, dass Achelois in ihre Box zurückgegangen war. Das war gut. Wenigstens würde ich sie nicht durch den Mais verfolgen, ihr ein Halfter anlegen und sie in den Stall zurückführen müssen.
Als Erstes wollte ich das Rohr verstopfen - das wollte ich als Allererstes tun -, aber als mein Magen sich beruhigt hatte, konnte ich wieder klarer denken. Achelois hatte Vorrang. Sie war eine gute Milchkuh. Und vor allem war ich für sie verantwortlich. In dem kleinen Nebenraum, wo ich die Bücher führte, hing ein Medizinschränkchen, in dem ich eine große Büchse Rawleigh Antiseptic Salve fand. In einer Ecke lag ein kleiner Stapel Putztücher. Mit der Salbe und den meisten Putzlappen ging ich zu Achelois’ Box zurück, wo ich sofort die Tür schloss, um die Gefahr zu verringern, getreten zu werden (ohne sie natürlich ganz ausschalten zu können). Dann erst setzte ich mich auf den Melkschemel. Ich glaube, dass ich damals irgendwie fand, ich hätte es verdient, getreten zu werden. Aber die gute alte Achelois beruhigte sich, als ich ihr die Flanke tätschelte und »braves Mädchen, brav, so ist’s brav« flüsterte. Obwohl sie zitterte, als ich ihr verletztes Euter mit der Salbe bestrich, hielt sie still.