Sie senkte den Blick. Das war Antwort genug.
»Danke, dass Sie herausgekommen sind, Mrs. McReady. Darf ich Sie bitten, das alles für sich zu behalten?«
»Ja, natürlich … aber die Kinder tuscheln schon. Seien Sie also gewarnt.«
Ja. Natürlich taten sie das.
»Haben Sie einen Telephonapparat, Mr. James?« Sie sah sich nach einer Leitung um. »Wie ich sehe, haben Sie keinen. Macht nichts. Wenn ich etwas höre, komme ich vorbei und sage es Ihnen.«
»Wenn Sie irgendwas früher als Harlan Cotterie oder Sheriff Jones hören, meinen Sie.«
»Gott wird für Ihren Sohn sorgen. Auch für Shannon. Was waren die beiden doch für ein reizendes Paar; das haben alle gesagt. Manchmal reift die Frucht zu früh, und ein Frost lässt sie welken. Wirklich ein Jammer. Traurig und jammerschade.«
Sie schüttelte mir die Hand - mit einem kräftigen Druck wie dem eines Mannes -, und fuhr dann mit ihrem billigen kleinen Auto davon. Ich glaube nicht, dass ihr bewusst gewesen war, dass sie von Shannon und meinem Sohn zuletzt in der Vergangenheitsform gesprochen hatte.
Am Freitag kam Sheriff Jones in seinem Maxwell mit dem goldenen Stern auf der Tür heraus. Und er war nicht allein. Hinter ihm fuhr mein Lastwagen her. Bei diesem Anblick schlug mein Herz höher, sank aber sofort wieder, als ich sah, wer am Steuer saß: Lars Olsen.
Ich bemühte mich, ruhig zu warten, während Jones sein Ankunftsritual zelebrierte: Gürtel ruckartig hochziehen, Stirn abwischen (obwohl der Tag kühl und bewölkt war), sich übers Haar fahren. Aber ich schaffte es nicht. »Alles in Ordnung mit ihm? Haben Sie ihn gefunden?«
»Nein, können wir leider nicht behaupten.« Er kam die Verandatreppe herauf. »Ein Störungssucher für die Überlandleitungen
»Ich habe gehofft, er würde von selbst zurückkommen«, sagte ich bedrückt. »Er ist nach Omaha unterwegs. Ich weiß nicht, wie viel ich Ihnen erzählen muss, Sheriff …«
Lars Olsen, der interessiert die Ohren spitzte, war unauffällig auf Hörweite herangeschlendert. »Gehen Sie schon mal zu meinem Wagen, Olsen«, sagte Jones. »Das hier ist ein Privatgespräch.«
Lars, eine sanftmütige Seele, huschte davon, ohne Einwände zu erheben. Jones wandte sich wieder an mich. Er war weit weniger freundlich als beim ersten Besuch und hatte auch alle scheinbare Unbeholfenheit abgelegt.
»Ich weiß längst genug, nicht wahr? Dass Ihr Junge dafür gesorgt hat, dass Harl Cotteries Tochter in anderen Umständen ist, und vermutlich nach Omaha abgehauen ist. Als er gemerkt hat, dass der Tank bald leer sein würde, hat er den Wagen in ein Feld mit hohem Gras gefahren. Das war clever. Hat er diese Cleverness von Ihnen? Oder von Arlette?«
Ich sagte nichts, aber er hatte mich auf eine Idee gebracht. Nur eine kleine, die sich aber als nützlich erweisen konnte.
»Ich will Ihnen das Einzige erzählen, wofür wir ihm dankbar sind«, sagte Jones. »Was sogar dazu führen kann, dass er nicht hinter Gitter kommt. Bevor er weitergezogen ist, hat er alles Gras unter dem Truck ausgerissen. Damit der Auspuff es nicht in Brand setzt, nicht wahr? Ein großer Präriebrand, der ein paar Tausend Hektar erfasst, könnte ein Gericht ziemlich aufbringen, nicht wahr? Selbst wenn der Verursacher erst fünfzehn oder so wäre.«
»Das ist ja nun nicht passiert, Sheriff - er hat das Richtige getan -, was führt Sie also zu mir?« Die Antwort darauf wusste ich natürlich. Sheriff Jones waren Leute wie Andrew Lester, Rechtsanwalt, vermutlich scheißegal, aber er war gut mit Harl Cotterie befreundet. Beide gehörten der neu gegründeten »Elks Lodge« an, und Harl hatte es auf meinen Sohn abgesehen.
»Bisschen empfindlich, nicht wahr?« Er fuhr sich nochmals über die Stirn und setzte dann den Stetson wieder auf. »Tja, ich wäre vielleicht auch empfindlich, wenn er mein Sohn wäre. Und wissen Sie was? Wäre er mein Sohn und Harl Cotterie mein Nachbar - mein guter Nachbar -, wäre ich vielleicht zu ihm rübergefahren und hätte gesagt: ›Harl? Weißt du was? Ich glaube, mein Sohn könnte versuchen, an deine Tochter ranzukommen. Willst du nicht jemand auffordern, auf ihn zu achten?‹ Aber auch das haben Sie nicht getan, nicht wahr?«
Die Idee, auf die er mich gebracht hatte, sah immer besser aus, und es wurde allmählich Zeit, ihn damit zu überraschen.
»Er ist nicht aufgetaucht, wo immer sie ist, oder?«
»Noch nicht, nein, vielleicht sucht er noch.«
»Ich glaube nicht, dass er weggelaufen ist, um Shannon zu besuchen«, sagte ich.
»Wozu sonst? Gibt’s drüben in Omaha etwa bessere Eiscreme? Dorthin war er nämlich unterwegs, jede Wette.«
»Ich vermute, dass er auf der Suche nach seiner Mutter ist. Ich glaube, dass sie sich mit ihm in Verbindung gesetzt hat.«
Das machte ihn gut zehn Sekunden lang sprachlos - lange genug, um sich die Stirn abzuwischen und sich übers Haar zu fahren. Dann fragte er: »Wie hätte sie das anstellen sollen?«
»Ich tippe auf einen Brief.« Das Lebensmittelgeschäft in Hemingford Home diente auch als unser Postamt, wo man
»Sie sollten sich schämen, so über ein nettes Mädchen zu reden!«
»Vielleicht ja, vielleicht nein, aber das Ganze hat mich ebenso überrascht wie die Cotteries, und nun ist mein Junge fort. Die wissen wenigstens, wo ihre Tochter ist.«
Wieder war er ratlos. Dann zog er ein kleines Notizbuch aus der Hüfttasche und kritzelte etwas hinein. Er steckte es wieder weg und fragte: »Aber Sie wissen nicht bestimmt, dass Ihre Frau sich mit dem Jungen in Verbindung gesetzt hat - wollen Sie das sagen? Dass alles nur eine Vermutung ist?«
»Ich weiß, dass er nach dem Weggang seiner Mutter oft von ihr gesprochen hat, bis damit plötzlich Schluss war. Und ich weiß, dass er nicht in diesem Heim, in das Harlan und seine Frau Shannon gesteckt haben, aufgekreuzt ist.« Darüber war ich ebenso verblüfft wie Sheriff Jones … aber schrecklich dankbar. »Was kommt heraus, wenn man diese Tatsachen kombiniert?«
»Weiß ich nicht«, sagte Jones stirnrunzelnd. »Weiß ich ehrlich nicht. Ich dachte, ich hätte den Durchblick, aber ich hab mich gelegentlich schon geirrt, nicht wahr? Ja, und das kann auch in Zukunft passieren. Wir sind alle im Irrtum befangen, so steht’s in der Bibel. Aber, großer Gott, die jungen Leute machen mir das Leben schwer! Wenn Sie von Ihrem Sohn hören, Wilfred, sagen Sie ihm, er soll zusehen, dass er seinen mageren Hintern nach Hause bewegt und von Shannon Cotterie wegbleibt, falls er weiß, wo sie ist.
»Nein«, sagte ich grimmig, »von mir bekämen Sie nie eine Anzeige.«
»Aber.« Er hob den Zeigefinger, was mich an Mr. Stoppenhauser in der Bank erinnerte. »Vor drei Tagen hat jemand in Lyme Biska - nicht allzu weit von der Stelle entfernt, an der Ihr Lastwagen aufgefunden wurde - den Lebensmittelmarkt mit Äthyltankstelle am Stadtrand überfallen. Den mit dem Blue Bonnet Girl auf dem Dach, nicht wahr? Hat 23 Dollar erbeutet. Die Meldung liegt auf meinem Schreibtisch. Der Täter war ein junger Mann in alten Cowboysachen, der das Halstuch bis zur Nase hochgezogen und seinen Trapperhut tief in die Stirn gedrückt hatte. Die Mutter des Besitzers, die hinter dem Ladentisch gestanden hat, ist von dem Burschen mit irgendeinem Werkzeug bedroht worden. Vielleicht mit einer Brechstange oder einem Brecheisen, aber wer weiß? Sie geht auf die achtzig zu und ist halb blind.«
Diesmal war ich mit Schweigen an der Reihe. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Schließlich sagte ich: »Henry ist von der Schule aus weggefahren, Sheriff, und wie ich mich erinnere, hat er an diesem Tag ein Flanellhemd und eine Cordhose getragen. Er hat keine Kleidung mitgenommen … und besitzt gar keine Cowboysachen, wenn Sie damit Stiefel und alles meinen. Er besitzt auch keinen Trapperhut.«
»Auch diese Dinge könnte er gestohlen haben, nicht wahr?«
»Wenn Sie nicht mehr wissen, als Sie eben gesagt haben, sollten Sie lieber schweigen. Ich weiß, dass Sie mit Harlan befreundet sind …«