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»Na, na, das hat nichts miteinander zu tun.«

Es hatte etwas miteinander zu tun, wie wir beide wussten, aber es gab keinen Grund, dieses Thema weiterzuverfolgen. Auch wenn meine 30 Hektar im Vergleich zu Harlan Cotteries 160 vielleicht unbedeutend waren, würde ich mich als Grundbesitzer und Steuerzahler nicht einschüchtern lassen. Das hatte ich sagen wollen, und Sheriff Jones hatte es sehr gut verstanden.

»Mein Sohn ist kein Räuber, und er bedroht keine Frauen. So was tut er nicht, und so ist er auch nicht erzogen worden.«

Zumindest bis vor kurzem nicht, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.

»Möglicherweise war’s auch nur ein Landstreicher, der schnell Kasse machen wollte«, sagte Jones. »Aber ich hatte das Gefühl, die Sache ansprechen zu müssen, also hab ich’s getan. Und wir wissen nicht, was die Leute sagen werden, nicht wahr? Gerüchte machen gern die Runde. Alle reden, nicht wahr? Reden ist wohlfeil. Was mich betrifft, ist der Fall erledigt - um Lyme Biska soll sich der Sheriff von Lyme County kümmern, das ist mein Motto -, aber Sie sollten wissen, dass die Polizei in Omaha das Heim, in dem Shannon Cotterie ist, im Auge behält. Das sage ich nur für den Fall, dass Ihr Sohn von sich hören lässt, nicht wahr?«

Er strich sich das Haar zurück und setzte seinen Hut dann zum letzten Mal gerade auf.

»Vielleicht kommt er von selbst zurück, ohne etwas angestellt zu haben, und wir können das Ganze abschreiben wie … ich weiß nicht recht … wie einen faulen Kredit.«

»Einverstanden. Aber Sie dürfen ihn nicht einen schlechten Sohn nennen, wenn Sie nicht bereit sind, Shannon Cotterie eine schlechte Tochter zu nennen.«

Die Art, wie seine Nasenlöcher sich weiteten, zeigte mir, dass ihm das nicht sehr gefiel, aber er äußerte sich nicht

»Das tue ich natürlich.«

Er nickte und ging zu seinem Wagen zurück. Lars hatte sich hinters Lenkrad gesetzt. Jones scheuchte ihn auf den Beifahrersitz - der Sheriff gehörte zu den Männern, die immer selbst fuhren. Ich stand da und sah ihm nach, als er in Richtung Stadt davonbrauste. Ich musste an den jungen Mann denken, der den Laden überfallen hatte, und redete mir ein, dass mein Henry so etwas niemals täte, und selbst wenn er sich dazu gezwungen sähe, wäre er nicht raffiniert genug, Kleidung zu tragen, die er aus irgendjemands Scheune oder Schlafbaracke gestohlen hatte. Aber Henry war jetzt anders, und Mörder lernen, raffiniert zu sein, oder? Nur so können sie überleben. Ich dachte, vielleicht …

Aber nein. So will ich es nicht ausdrücken. Das wäre zu schwach. Dies ist mein Geständnis, mein letztes Wort zu allem, und welchen Zweck hätte es, wenn ich nicht die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen würde? Welchen Zweck hätte da irgendetwas sonst?

Er war es gewesen. Henry war es gewesen. In Sheriff Jones’ Blick hatte ich gelesen, dass er den Raubüberfall am Stadtrand nur erwähnt hatte, weil ich nicht wie erwartet vor ihm gekrochen war, aber ich glaubte es dennoch. Weil ich mehr wusste als Sheriff Jones. Was bedeutete es, ein paar Klamotten zu stehlen und vor dem Gesicht einer alten Frau ein Brecheisen zu schwenken, nachdem man seinem Vater geholfen hatte, die eigene Mutter zu ermorden? Nicht sonderlich viel. Und da er es einmal ausprobiert hatte, würde er es noch einmal tun, sobald die 23 Dollar

Ich stieg zur Veranda hinauf, setzte mich und verbarg das Gesicht in den Händen.

Die Tage vergingen. Ich weiß nicht, wie viele, sondern nur, dass sie regnerisch waren. Hat der Herbstregen erst einmal eingesetzt, müssen die Arbeiten im Freien warten, und ich hatte nicht genug Vieh oder Nebengebäude, um mich mit sinnvollen Arbeiten unter Überdachung zu beschäftigen. Ich versuchte zu lesen, aber die Wörter schienen keine Sätze bilden zu wollen, obwohl mir ab und zu einzelne kreischend ins Auge sprangen. Mord. Schuld. Verrat. Solche Wörter.

Tagsüber saß ich, gegen die feuchte Kälte in meinen Lammfellmantel gehüllt, mit einem Buch auf den Knien auf der Veranda und sah zu, wie das Regenwasser vom Dachüberhang tropfte. Nachts lag ich bis in die Morgenstunden hinein wach und horchte auf den Regen auf dem Dach. Sein leises Trommeln klang, als begehrte jemand mit zaghaftem Klopfen Einlass. Ich verbrachte zu viel Zeit damit, an Arlette im Brunnen zu denken, wie sie mit ihrem seitlich verschobenen Gesicht dasaß. Ich begann mir einzubilden, sie sei weiter … zwar nicht lebendig (ich stand unter Anspannung, war aber nicht verrückt), aber sich der Ereignisse irgendwie bewusst. Irgendwie verfolgte sie die weitere Entwicklung aus dem improvisierten Grab, das sie sich mit Elpis teilte, und fand Vergnügen daran.

Gefällt es dir, wie die Dinge sich entwickelt haben, Wilf?, hätte sie gefragt, wenn sie gekonnt hätte (wozu sie in meiner Phantasie imstande war). Hat es sich gelohnt?

Und während ich zusah, wie das Regenwasser vom Dachüberhang tropfte, oder darauf horchte, wie der Regen nachts Nein, natürlich nicht. Aber umkehren kann ich auch nicht mehr.

Als ich etwa eine Woche nach Sheriff Jones’ Besuch im Wohnzimmer saß und Nathaniel Hawthornes Das Haus mit den sieben Giebeln zu lesen versuchte, schlich Arlette sich von hinten an mich heran, griff an meinem Kopf vorbei und tippte mir mit einem kalten, nassen Finger auf den Nasensattel.

Ich ließ das Buch auf den Flickenteppich fallen, schrie laut auf und sprang in die Höhe. Dabei zerfloss die kalte Fingerspitze und lief zu einem der Mundwinkel hinunter. Dann berührte sie mich nochmals oben am Kopf dort, wo mein Haar schütter zu werden begann. Diesmal lachte ich - ein zittriges, ärgerliches Lachen - und bückte mich, um das Buch aufzuheben. Dabei tippte der Finger mich zum dritten Mal an, diesmal im Nacken, als wollte meine tote Frau sagen: Beachtest du mich jetzt endlich, Wilf? Ich trat zur Seite - damit das vierte Tippen nicht ins Auge gehen würde - und sah hinauf. Die Zimmerdecke war an einer Stelle tropfnass und verfärbt. Der Putz war noch nicht aufgewölbt, aber wenn es so weiterregnete, konnte er sogar abplatzen und in Stücken herunterfallen. Die undichte Stelle befand sich genau über meinem Lesesessel. Wie denn auch anders. Das restliche Dach schien in Ordnung zu sein, zumindest fürs Erste.

Ich dachte daran, wie Stoppenhauser gesagt hatte: Wollen Sie mir erzählen, auf der Farm gäbe es nichts zu verbessern? Ein Dach, das repariert werden müsste? Und dieser schlaue Blick! Als hätte er’s gewusst. Als steckten Arlette und er irgendwie unter einer Decke.

Setz dir nicht solche Flausen in den Kopf, ermahnte ich mich selbst. Schlimm genug, dass du an sie denkst, wie sie dort unten hockt. Ob die Würmer schon ihre Augen gefressen

Ich trat an den Tisch in der Ecke gegenüber, griff nach der dort stehenden Flasche und schenkte mir einen großen braunen Whiskey ein. Meine Hand zitterte, aber nur ein wenig. Den Whiskey stürzte ich mit zwei Schlucken hinunter. Ich wusste, dass es gefährlich gewesen wäre, solche Trinkerei zur Gewohnheit werden zu lassen, aber es passiert nicht jeden Abend, dass man spürt, wie einem die tote Frau an die Nase tippt. Danach fühlte ich mich besser, mehr Herr meiner selbst. Ich brauchte keine 750-Dollar-Hypothek, um mein Dach zu reparieren; ich konnte es mit ein paar alten Brettern flicken, sobald der Regen nachließ. Allerdings würde das eine hässliche Reparatur werden; damit würde das Haus heruntergekommen arm aussehen, wie meine Mutter gesagt hätte. Das war auch nicht der springende Punkt. Die Dachreparatur würde nur ein, zwei Tage dauern. Ich brauchte etwas, was mich den ganzen Winter über beschäftigte. Harte Arbeit würde die Gedanken an Arlette auf ihrem Thron aus Erde, Arlette mit ihrem Haarnetz aus Sackrupfen aus meinem Kopf vertreiben. Ich brauchte Renovierungsprojekte, die mich so müde ins Bett kriechen ließen, dass ich sofort einschlief, statt wachzuliegen, auf den Regen zu horchen und mich zu fragen, ob Henry ihm schutzlos ausgesetzt war - vielleicht hustend vor Grippe. Manchmal ist Arbeit das einzig Vernünftige, die einzige Lösung.