Ich nahm meinen Staubmantel vom Haken im Vorraum für Gummistiefel und Arbeitskleidung (mehr schaffte ich nicht), schlüpfte hinein und ging wieder hinaus, diesmal in den Stall. Ich beschmierte die verletzte Hand mit Rawleigh. Sie hatte verhindert, dass Achelois’ Euter sich entzündete, und konnte vielleicht dasselbe bei meiner Hand bewirken. Als ich schon gehen wollte, fiel mir ein, wie die Ratte das letzte Mal entkommen war. Das Rohr! Ich trat davor, bückte mich und erwartete, dass der Mörtelpfropfen teilweise demoliert war oder ganz fehlte, aber er war intakt. Natürlich war er das. Selbst derartige Ratten mit übergroßen Zähnen können sich nicht durch Zement nagen, sobald er abgebunden hat. Dass ich das überhaupt in Erwägung gezogen hatte, zeigt den Geisteszustand, in dem ich mich befand. Einen Augenblick lang schien ich mich wie von außen zu betrachten: ein bis auf einen offenen Staubmantel nackter Mann, seine Körperbehaarung bis zum Schritt hinunter mit Blut verklebt, die linke Hand von einer schleimigen Schicht Eutersalbe glänzend, die Augen aus den Höhlen quellend. Wie die Augen der Ratte hervorgequollen waren, als ich sie zerstampft hatte.
Es war nicht dieselbe Ratte, sagte ich mir. Die eine, die Achelois verstümmelt hat, liegt tot in dem Rohr oder in Arlettes Schoß.
Aber ich wusste, dass sie es gewesen war. Ich wusste es damals, und ich weiß es heute.
Sie war es.
Wieder im Haus, wieder im Schlafzimmer, kniete ich mich hin und sammelte das blutbefleckte Geld ein. Mit nur einer Hand ging die Arbeit langsam voran. Einmal stieß ich mit der verletzten Hand ans Bett und heulte vor Schmerzen auf. Ich konnte sehen, wie frisches Blut die Salbe färbte, sie rosa werden ließ. Ich warf das Geld auf die Kommode und machte mir nicht einmal die Mühe, es mit einem Buch oder einem von Arlettes verdammten Ziertellern zu bedecken. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, weshalb es mir ursprünglich so wichtig gewesen war, die Scheine zu verstecken. Die Schachtel mit dem roten Hut beförderte ich mit
Wer jemals eine Farm besessen oder auf einer gearbeitet hat, kann bestätigen, dass Arbeitsunfälle häufig passieren und entsprechende Vorsorgemaßnahmen erfordern. In dem Erste-Hilfe-Schränkchen neben der Küchenpumpe - den Arlette immer den »Schmerzensschrank« genannt hatte - lag auch eine dicke Mullbinde. Als ich sie herausnehmen wollte, fiel mein Blick auf den großen Wassertopf, der auf dem Herd dampfte. Das Wasser hatte ich für ein Bad aufgesetzt, als ich noch heil gewesen war und solch monströse Schmerzen, die mich jetzt zu verzehren schienen, nur theoretisch denkbar gewesen waren. Mir kam der Gedanke, heißes Seifenwasser könnte das beste Mittel für meine Hand sein. Die Wunde konnte nicht noch mehr schmerzen, sagte ich mir, und ein heißes Seifenbad würde sie reinigen. Beide Annahmen waren falsch, aber woher hätte ich das wissen sollen? Auch nach so vielen Jahren erscheint mir diese Idee vernünftig. Vielleicht hätte es sogar funktioniert, wenn ich von einer gewöhnlichen Ratte gebissen worden wäre.
Mit der unverletzten Rechten schöpfte ich Wasser in einen Eimer (den Topf mit zwei Händen zu kippen, um etwas Wasser abzugießen, kam nicht infrage), dann warf ich ein Stück von Arlettes grober brauner Waschseife hinein. Das letzte Stück, wie sich zeigte; es gibt so viele Vorräte, die ein Mann zu besorgen vergisst, wenn er darin keine Erfahrung hat. Ich warf einen Putzlappen dazu, dann ging ich damit ins Schlafzimmer, kniete mich wieder hin und machte mich daran, das Blut und die Eingeweide aufzuwischen. Dabei musste ich (verständlicherweise) die ganze Zeit an das letzte Mal denken, als ich Blut vom Fußboden dieses verdammten Schlafzimmers aufgewischt hatte. Damals war wenigstens Henry bei mir gewesen, um das Grausen Der Glöckner von Notre Dame denken.
Als ich mit der Arbeit fast fertig war, hielt ich inne und legte den Kopf schräg: mit angehaltenem Atem, die Augen weit aufgerissen, mein Herz scheinbar in der verletzten Hand pochend. Ich hörte ein trippelndes Geräusch, das aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Das Geräusch laufender Ratten. In diesem Augenblick war ich mir meiner Sache ganz sicher. Die Ratten aus dem Brunnen. Ihre treuen Gefolgsleute. Sie hatten einen anderen Weg nach draußen gefunden. Die eine auf der Hutschachtel war nur die erste und kühnste gewesen. Sie waren ins Haus eingesickert, sie waren in den Wänden und würden bald herauskommen und mich überwältigen. Arlette würde ihre Rache bekommen. Ich würde sie lachen hören, während sie mich in Stücke rissen.
Ein jäher Windstoß ließ das Haus erzittern und heulte um die Giebel. Das Trippeln wurde lauter, dann klang es etwas ab, als der Wind nachließ. Die Erleichterung, die mich erfüllte, war so intensiv, dass sie die Schmerzen übertönte (zumindest einige Sekunden lang). Das waren keine Ratten; das war Schneeregen. Mit Einbruch der Dunkelheit war es kälter geworden, und die Regentropfen waren halb gefroren. Ich machte mich wieder daran, die Spuren wegzuschrubben.
Als ich fertig war, kippte ich das blutige Putzwasser übers Verandageländer und ging dann in den Stall zurück, um frische Salbe auf meine Hand aufzutragen. Da die Wunde jetzt völlig sauber war, konnte ich sehen, dass das Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger drei offene Schlitze aufwies, die wie die Streifen eines Sergeanten aussahen. Der Daumen hing kraftlos herab, als hätten die Rattenzähne Sie tut weh, aber sie ist wenigstens sauber. Achelois hat sich bald erholt; du wirst dich auch bald erholen. Alles in bester Ordnung. Ich versuchte mir vorzustellen, wie die Abwehrmechanismen meines Körpers mobilmachten und wie winzige Feuerwehrleute mit roten Helmen und in langen Schutzmänteln an der Bissstelle eintrafen.
Unten im Schmerzensschrank fand ich in einen Fetzen Seide eingewickelt, der früher Teil eines Damenschlüpfers gewesen sein mochte, ein Fläschchen mit Pillen aus dem Drugstore in Hemingford Home. Jemand hatte das Etikett mit einem Füller in sauberen Großbuchstaben beschriftet: ARLETTE JAMES - Jeweils 1-2 vor dem Schlafengehen gegen Monatsbeschwerden. Ich nahm drei davon und spülte sie mit einem großen Whiskey hinunter. Ich weiß nicht, was die Pillen enthielten - Morphium, nehme ich an -, aber sie wirkten. Der Schmerz war noch da, aber er schien einem Wilfred James zu gehören, der auf irgendeiner anderen Lebensebene zu existieren schien. Ich fühlte mich benommen; die Zimmerdecke über mir schien sich langsam zu drehen; das Bild von den winzigen Feuerwehrleuten, die eintrafen, um das Feuer der Infektion zu löschen, bevor es sich ausbreiten konnte, wurde deutlicher. Der Wind frischte auf, und für meinen benommenen Verstand klang das ständige halblaute Prasseln des Schneeregens auf dem Haus rattenähnlicher als je zuvor, aber ich wusste es besser. Ich glaube, ich sagte sogar laut: »Ich kenne mich aus, Arlette, mich kannst du nicht täuschen.«
Als ich allmählich das Bewusstsein verlor und wegzudämmern begann, wurde mir klar, dass dies endgültig sein könnte: dass die Kombination aus Schock, Alkohol und Morphium mein Leben beenden könnte. Ich würde in
Während ich schlief, wurde der Schneeregen zu Schnee.
Als ich am folgenden Morgen bei Tagesanbruch aufwachte, war das Haus grabeskühl, und meine Hand war aufs Doppelte ihrer gewöhnlichen Größe angeschwollen. Das Fleisch um die Bisse herum war aschgrau, aber Daumen und Zeigefinger hatten sich mattrosa verfärbt und würden bis zum Abend dunkelrot werden. Jede Berührung der Hand außer dem kleinen Finger verursachte Marterqualen. Trotzdem bandagierte ich sie, so eng ich konnte, was immerhin das schmerzhafte Pochen verringerte. Ich machte im Küchenherd Feuer - mit nur einer Hand war das nicht einfach, aber ich schaffte es - und kroch dann fast in ihn hinein, damit mir warm wurde. Das heißt, bis auf die verletzte Hand; dieser Teil meines Körpers war schon warm. Warm und pulsierend, als trüge ich einen Handschuh mit einer darin versteckten Ratte.