Dann wurde mir plötzlich klar, dass dieses Land jetzt mir gehörte, seit Arlette nicht mehr als vermisst galt, sondern offiziell tot war. Also überwand ich zwei Tage später meinen Stolz und stattete Harlan Cotterie einen Besuch ab.
Dem Mann, der auf mein Klopfen die Haustür öffnete, war es weit besser ergangen als mir, aber die Erschütterungen dieses Jahres hatten trotzdem ihren Tribut gefordert. Er hatte abgenommen, er hatte Haare verloren und sein Hemd war verknittert - allerdings nicht so verknittert wie sein Gesicht, und das Hemd ließ sich wenigstens glattbügeln. Statt wie fünfundvierzig sah er wie fünfundsechzig aus.
»Schlag mich nicht«, sagte ich, als ich sah, dass er die Fäuste ballte. »Hör mir erst zu.«
»Ich würde keinen Mann schlagen, der nur eine Hand hat«, sagte er, »aber ich wäre dir dankbar, wenn du es kurz
»Schon in Ordnung«, sagte ich. Ich hatte selbst reichlich abgenommen und zitterte vor Kälte, aber die kalte Luft tat meinem Armstumpf gut - wie auch der unsichtbaren Hand, die an seinem Ende weiterzuexistieren schien. »Ich möchte dir 40 Hektar gutes Land verkaufen, Harl. Die vierzig, die Arlette unbedingt der Farrington Company verkaufen wollte.«
Darüber musste er lächeln, und seine Augen glitzerten in ihren auf einmal tiefen Höhlen. »Du steckst in der Klemme, was? Dein halbes Haus und der halbe Stall sind eingestürzt. Hermie Gordon sagt, dass du jetzt mit einer Kuh zusammenlebst.« Hermie Gordon war der Landbriefträger und ein berüchtigtes Klatschmaul.
Ich nannte einen so niedrigen Preis, dass Harl mich mit offenem Mund und hochgezogenen Augenbrauen anstarrte. Dabei fiel mir ein aus dem sauberen, gut eingerichteten Farmhaus der Cotteries wabernder Geruch auf, der überhaupt nicht herzupassen schien: der Geruch von angebranntem Essen. Offenbar kochte hier nicht Sallie Cotterie. Früher hätte mich so etwas vielleicht interessiert, aber diese Zeiten waren vorbei. Jetzt ging es mir allein darum, die 40 Hektar loszuwerden. Es erschien mir nur angemessen, sie billig zu verkaufen, nachdem sie mich so teuer zu stehen gekommen waren.
»Das sind Cent statt Dollar«, sagte er. Dann unüberhörbar befriedigt: »Arlette würde im Grab rotieren.«
Sie hat mehr getan, als bloß darin zu rotieren, dachte ich.
»Worüber lächelst du, Wilf?«
»Nichts. Abgesehen von einem Punkt mache ich mir nichts mehr aus diesem Land. Aber ich will verhindern, dass die
»Auch wenn du dabei deine Farm verlierst?« Er nickte, als hätte ich eine Frage gestellt. »Ich weiß, dass du eine Hypothek aufgenommen hast. In einer Kleinstadt gibt’s keine Geheimnisse.«
»Auch dann«, bestätigte ich. »Nimm mein Angebot an, Harl. Es wäre verrückt, das nicht zu tun. Dieser Bach, den sie mit Blut und Borsten und Schweinedärmen verunreinigen würden … der ist auch dein Bach.«
»Nein«, sagte er.
Ich starrte ihn an und war zu verblüfft, um ein Wort herauszubringen. Aber er nickte wieder, als hätte ich eine Frage gestellt.
»Du glaubst zu wissen, was du mir angetan hast, aber du weißt nicht alles. Sallie hat mich verlassen. Sie ist zu ihrer Familie drunten in McCook gezogen. Sie sagt, dass sie vielleicht zurückkommt, dass sie sich die Sache überlegen will, aber ich glaube nicht, dass sie das tut. Also sitzen wir beide in demselben kaputten alten Boot, nicht wahr? Wir sind zwei Männer, die das Jahr mit Ehefrauen begonnen haben und nun keine mehr haben. Wir sind zwei Männer, die das Jahr mit lebenden Kindern begonnen haben und nun keine mehr haben. Der einzig erkennbare Unterschied ist, dass ich nicht mein halbes Haus und die halbe Scheune eingebüßt habe.« Er dachte darüber nach. »Und dass ich noch beide Hände habe. Das ist immerhin etwas. Beim Wichsen - sollte ich jemals den Drang danach verspüren - könnte ich mir aussuchen, welche Hand ich nehmen will.«
»Was … wieso ist sie …«
»Oh, das kannst du dir doch denken! Sie macht nicht nur dich, sondern auch mich für Shannons Tod verantwortlich. Sie sagt, wenn ich mich nicht aufs hohe Ross
Ich wollte ihm meine verbliebene Hand auf den Arm legen. Er schlug sie weg.
»Fass mich nicht an, Wilf. Ich warne dich nur einmal!«
Ich ließ die Hand wieder sinken.
»Eines weiß ich bestimmt«, sagte er. »Würde ich dein Angebot annehmen, so verlockend es auch ist, würde ich das später bereuen. Weil auf diesem Land ein Fluch liegt. Wir stimmen vielleicht nicht in allem überein, aber ich wette, dass wir uns darin einig wären. Wenn du es loswerden willst, verkauf’s doch der Bank. So kannst du deine Hypothek tilgen und bekommst noch etwas Geld auf die Hand.«
»Die Bank würde sich nur umdrehen und es Farrington verkaufen!«
»Tja, blöd gelaufen«, war sein letztes Wort, bevor er mir die Tür vor der Nase zumachte.
Am letzten Tag des Jahres fuhr ich nach Hemingford Home und suchte Mr. Stoppenhauser in der Bank auf. Ich sagte, ich sei zu dem Schluss gekommen, die Farm nicht länger bewirtschaften zu können. Ich sagte, ich wolle der Bank Arlettes Land verkaufen und davon meine Hypothek tilgen. Wie Harlan Cotterie sagte er Nein. Ich saß sekundenlang wie betäubt auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und wollte meinen Ohren nicht trauen.
»Wieso nicht? Das ist gutes Land!«
Er erklärte mir, er arbeite bei einer Bank und eine Bank sei kein Immobilienmakler. Er sprach mich als Mr. James
»Das ist einfach …« Lächerlich war das Wort, das mir einfiel, aber ich wollte ihn nicht verärgern, solange auch nur die kleinste Chance bestand, dass er einlenken würde. Seit ich den Entschluss gefasst hatte, das Land zu verkaufen (und die Kuh; ich würde auch einen Käufer für Achelois finden müssen, möglicherweise einen Fremden, der mir ein Säckchen Zauberbohnen für sie geben würde), war ich von diesem Gedanken wie besessen. Also sprach ich leise und ruhig.
»Das stimmt nicht ganz, Mr. Stoppenhauser. Ihre Bank hat die Rideout-Farm gekauft, als sie letzten Sommer versteigert wurde. Und die Triple M auch.«
»Dort war die Sachlage anders. Unsere Hypothek ist auf Ihre ursprünglichen 30 eingetragen. Damit sind wir zufrieden. Was Sie mit diesen 40 Hektar Weideland machen, interessiert uns nicht.«
»Wer ist bei Ihnen gewesen?«, fragte ich, dann erkannte ich, dass diese Frage überflüssig war. »Lester, nicht wahr? Cole Farringtons Mädchen für alles.«
»Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden«, sagte Stoppenhauser, aber ich sah das Flackern in seinem Blick. »Ich glaube, Sie können wegen Ihres Kummers und Ihrer … Ihrer Verletzung … vorübergehend nicht mehr klar denken.«
»O nein«, sagte ich und begann zu lachen. Das war ein gefährlich gestörter Laut, selbst in meinen Ohren. »Ich habe nie im Leben klarer gedacht, Sir. Er hat Sie aufgesucht - er oder irgendein anderer, Cole Farrington kann sich bestimmt so viele Rechtsverdreher leisten, wie er will -, und Sie haben einen Handel mit ihm abgeschlossen. Sie haben k-k-kassiert!« Ich lachte noch lauter.
»Mr. James, ich muss Sie leider bitten, mein Büro zu verlassen.«
»Vielleicht hatten Sie alles im Voraus geplant«, sagte ich. »Vielleicht haben Sie mir diese gottverdammte Hypothek nur deshalb aufgeschwatzt. Oder vielleicht hat Lester, als er von meinem Sohn gehört hat, eine einmalige Gelegenheit erkannt, von meinem Unglück zu profitieren, und ist eiligst zu Ihnen gekommen. Vielleicht hat er hier auf diesem Stuhl gesessen und gesagt: ›Davon haben wir beide unseren Vorteil, Stoppie - Sie bekommen die Farm, meine Mandanten bekommen das Land am Bach, und Wilf James kann zum Teufel oder nach Omaha gehen, je nachdem was ihm besser passt.‹ War’s nicht ziemlich genau so?«