»Trink erst noch ein Glas Wein«, sagte der Hinterhältige.
Sie trank sogar zwei weitere, dann war die Flasche leer. (Die erste Flasche.) Inzwischen sang sie mit ihrer besten Minstrel-Stimme »Avalon« und gab ihr bestes Minstrel-Augenrollen. Es war schmerzlich anzusehen und noch schmerzlicher anzuhören.
Ich ging in die Küche, um eine weitere Flasche Wein zu holen, und hielt den Zeitpunkt für gekommen, Henry zu rufen. Obwohl ich mir, wie schon gesagt, keine großen Hoffnungen machte. Ich konnte es nur tun, wenn er mein williger Komplize war, und war im Grunde meines Herzens davon überzeugt, dass er vor der Tat zurückschrecken würde, wenn nicht mehr geredet, sondern gehandelt werden musste. In diesem Fall würden wir sie einfach zu Bett bringen. Am Morgen würde ich ihr sagen, dass ich das Land meines Vaters nun doch nicht verkaufen wolle.
Henry kam herbei, und nichts auf seinem blassen, kummervollen Gesicht machte mir Hoffnung auf Erfolg. »Papa, ich glaub nicht, dass ich das kann«, flüsterte er. »Es geht um Mama.«
»Wenn du nicht kannst, dann eben nicht«, sagte ich, und damit hatte der Hinterhältige nichts zu schaffen. Ich musste mich damit abfinden; es kommt eben, wie’s kommt. »Jedenfalls ist sie das erste Mal seit Monaten glücklich. Betrunken, aber glücklich.«
»Nicht nur beschwipst? Sie ist betrunken?«
»Sei nicht überrascht; ihren Willen zu bekommen ist das Einzige, was sie jemals glücklich macht. Das hätten deine 14 Jahre mit ihr dir längst zeigen müssen.«
Er horchte stirnrunzelnd auf die Veranda hinaus, weil die Frau, die ihn geboren hatte, gerade zu einer dissonanten, aber wortgetreuen Wiedergabe von »Dirty McGee« ansetzte. Henry runzelte über diese Barrelhouse-Ballade vielleicht wegen des Refrains (»She was willin’ to help him stick it in/For it was Dirty McGee again«) die Stirn, eher jedoch darüber, wie undeutlich sie die Wörter aussprach. Letztes Jahr am ersten Wochenende im September hatte Henry in einem Jugendlager der Methodisten das Gelöbnis abgelegt. Ich genoss seinen Schock weidlich. Drehen Jugendliche sich nicht wie Wetterfahnen in böigem Wind, sind sie steif wie Puritaner.
»Sie will, dass du uns Gesellschaft leistest und ein Glas Wein trinkst.«
»Papa, du weißt, dass ich dem Herrn versprochen habe, nie zu trinken.«
»Das musst du mit ihr ausmachen. Sie will heute feiern. Wir verkaufen und ziehen nach Omaha.«
»Nein!«
»Na … wir werden sehen. Eigentlich hängt das von dir ab, mein Sohn. Komm mit auf die Veranda.«
Seine Mutter stand schwankend auf, als sie ihn sah, umschlang ihn an den Hüften, drückte sich viel zu fest an ihn und bedeckte sein Gesicht übertrieben mit Küssen. Mit unangenehm riechenden, wie seine Grimasse zeigte. Der
»Endlich sind wir alle zusammen! Meine Männer haben Vernunft angenommen!« Sie hob ihr Glas zu einem Trinkspruch, kippte sich dabei aber einen guten Schuss Wein über den Busen. Sie blinzelte mir zu und lachte. »Wenn du brav bist, Wilf, darfst du ihn später aus dem Stoff saugen.«
Henry beobachtete sie mit verwirrtem Abscheu, als sie sich wieder in den Schaukelstuhl fallen ließ, den Rock etwas hochzog und ihn sich zwischen die Beine steckte. Sie sah seinen Blick und lachte.
»Sei bloß nicht so zimperlich. Ich hab dich mit Shannon Cotterie gesehen. Ein kleines Flittchen, aber sie hat schönes Haar und eine nette kleine Figur.« Sie kippte den Rest ihres Weins und rülpste. »Wenn du nichts davon abkriegst, bist du ein Dummkopf. Aber sei bloß vorsichtig! Mit vierzehn ist man nicht zu jung zum Heiraten. Hier draußen in der Mitte ist man mit vierzehn noch nicht mal zu jung, um die eigene Cousine zu heiraten.« Sie lachte nochmals und hielt mir ihr Glas hin. Ich schenkte aus der zweiten Flasche nach.
»Papa, sie hat genug«, sagte Henry so missbilligend wie ein Pastor. Über uns erschienen die ersten flimmernden Sterne über der ebenen weiten Leere, die ich mein Leben lang geliebt habe.
»Ach, ich weiß nicht«, sagte ich. »In vino veritas, das sagt Plinius der Ältere … in einem dieser Bücher, über die deine Mutter immer spottet.«
»Hand den ganzen Tag am Pflug, Nase die ganze Nacht in einem Buch«, sagte Arlette. »Außer wenn er was anderes in mir hat.«
»Mama!«
»Mama!«, äffte sie ihn nach, dann hob sie ihr Glas in Richtung Harlan Cotteries Farm, die jedoch zu weit entfernt war, als dass wir ihre Lichter hätten sehen können.
Mein Sohn gab keine Antwort, aber was ich im Halbdunkel von seinem Gesicht ablesen konnte, ließ den Hinterhältigen frohlocken.
Sie wandte sich Henry zu, packte ihn am Arm und verschüttete dabei etwas Wein auf sein Handgelenk. Ohne auf sein angewidertes Maunzen zu achten, starrte sie ihn mit plötzlich grimmiger Miene an und sagte: »Aber wenn du mit ihr im Mais oder hinter der Scheune liegst, pass bloß auf, dass du kein Frühzünder bist.« Sie ballte die freie Hand zur Faust, reckte den Mittelfinger vor und benutzte ihn dazu, rasch einen Kreis um ihren Schritt zu steppen: linker Oberschenkel, rechter Oberschenkel, Bauch rechts, Nabel, Bauch links, dann zum linken Oberschenkel zurück. »Du darfst alles erforschen und mit deinem Johnny Mac daran herumreiben, bis er sich gut fühlt und spuckt, aber bleib vom Mittelpunkt weg, sonst findest du dich eines Tages lebenslänglich gefangen - genau wie deine Mama und dein Daddy.«
Er stand auf und ging, weiterhin wortlos, was ich ihm nicht verübeln konnte. Selbst für Arlette war das eine höchst ordinäre Vorstellung gewesen. Er musste gesehen haben, wie sie sich vor seinen Augen von seiner Mutter - eine schwierige, aber manchmal liebevolle Frau - in eine nach Fusel riechende Puffmutter verwandelte, die einem Freier, der noch grün hinter den Ohren war, Anweisungen gab. Alles schlimm genug, aber er liebte die kleine Cotterie, und das machte die Sache noch schlimmer. Sehr junge Männer müssen ihre erste Liebe einfach auf einen Sockel stellen,
Ich hörte, wie er seine Tür zuknallte. Und leises, aber unverkennbares Schluchzen.
»Du hast seine Gefühle verletzt«, sagte ich.
Sie äußerte die Ansicht, Gefühle seien wie Gefälligkeit ein letzter Ausweg von Feiglingen. Dann streckte sie mir ihr Glas hin. Ich schenkte ihr nach und wusste dabei, dass sie am Morgen (immer vorausgesetzt, dass sie noch da war, um den Morgen zu begrüßen) nicht mehr wissen würde, was sie gesagt hatte, und es vehement leugnen würde, wenn ich es ihr erzählte. Ich hatte sie schon früher betrunken erlebt, wenn auch seit Jahren nicht mehr so sehr.
Wir leerten die zweite Flasche (sie allein) und die Hälfte der dritten, bevor ihr das Kinn auf den weinfleckigen Busen sank und sie zu schnarchen begann. Die aus ihrer eingeengten Kehle kommenden Schnarchlaute klangen wie das Knurren eines gereizten Hundes.
Ich legte ihr einen Arm um die Schultern, hakte eine Hand unter ihre Achsel und zog sie hoch. Sie murmelte protestierend und schlug mit einer stinkenden Hand schwach nach mir. »La’ mich’n Ruh. Will jetz’ schlaf’m.«
»Das sollst du auch«, sagte ich. »Aber in deinem Bett, nicht auf der Veranda.«
Ich führte sie - wobei sie torkelte und schnaufte, ein Auge geschlossen, das andere trüb starrend aufgerissen - durchs Wohnzimmer. Henrys Tür öffnete sich. Er stand auf der Schwelle, sein Gesicht ausdruckslos und viel älter, als er in Wirklichkeit war. Er nickte mir zu. Nur ein einziges kurzes Senken des Kopfs, aber es sagte mir alles, was ich wissen musste.
Ich legte sie aufs Bett, zog ihr die Schuhe aus und ließ sie mit gespreizten Beinen und einer über den Matratzenrand