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Der zweite Akt war der Vortrag selbst, der ungefähr eine Dreiviertelstunde dauerte. Er bestand im Wesentlichen aus Anekdoten (keine zu persönlich) und der Schilderung, wie sie ihre Storys ausarbeitete (von hinten nach vorn). Dabei war es wichtig, mindestens dreimal den Titel ihres letzten Romans zu erwähnen, der in diesem Herbst Der Strickclub Willow Grove und der Speläologe lautete (für alle, die das Fremdwort nicht kannten, übersetzte sie es mit »Höhlenforscher«).

Der dritte Akt war die Frageperiode, in der sie gefragt wurde, woher sie ihre Ideen habe (humorvolle, vage Antworten), ob ihre Figuren aus dem realen Leben stammten (»meine Tanten«) und wie man einen Agenten für seine Arbeit interessiere. Heute wurde sie auch gefragt, wo sie ihren Haargummi gekauft habe (JCPenney, eine Antwort, die ihr unerklärlichen Beifall einbrachte).

Der letzte Akt war die Signierstunde, in der sie pflichtbewusst Bitten erfüllte: Geburtstagsglückwünsche, Glückwünsche zu Hochzeitstagen, Für Janet, einen Fan aller meiner Bücher und Für Leah - ho f fentlich sehen wir uns im Sommer alle am Lake Toxaway wieder! (ein etwas seltsamer Wunsch, weil Tess - anders als vermutlich die Autogrammjägerin - noch nie dort gewesen war).

Als alle Bücher signiert und die letzten Trödler mit weiteren Handyfotos zufriedengestellt waren, nahm Ramona Norville Tess auf eine Tasse echten Kaffee mit in ihr Büro mit. Ms. Norville trank ihren schwarz, was Tess nicht im Geringsten wunderte. Ihre Gastgeberin war eine Schwarzer-Kaffee-Powerfrau, wenn jemals eine über die Erde gestiefelt war (an ihrem freien Tag vermutlich in Doc Martens). Das einzig Überraschende in ihrem Büro war das gerahmte signierte Foto an der Wand. Das Gesicht kam Tess bekannt vor, und nach kurzem Nachdenken kam sie auch auf den Namen.

»Richard Widmark?«

Ms. Norville lachte auf verlegene, aber zugleich erfreute Art. »Mein Lieblingsschauspieler. Als Mädchen war ich ein bisschen in ihn verknallt, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Dieses Foto habe ich mir zehn Jahre vor seinem Tod signieren lassen. Er war schon damals ziemlich alt, aber das ist eine echte Unterschrift, kein Stempel. Das gehört Ihnen.« Einen verrückten Augenblick lang dachte Tess, Ms. Norville meine das signierte Foto. Dann sah sie den Umschlag in ihren dicken Fingern. Es war ein Fensterumschlag, damit man sehen konnte, dass er einen Scheck enthielt.

»Danke«, sagte Tess und nahm ihn.

»Nichts zu danken. Sie haben sich jeden Cent verdient.«

Tess widersprach nicht.

»Nun zu der Abkürzung.«

Tess beugte sich aufmerksam nach vorn. In einem ihrer Strickclub-Krimis hatte Doreen Marquis gesagt: Die beiden besten Dinge im Leben sind warme Croissants und ein schneller Weg nach Hause. Das war so eine Stelle, wo die Schriftstellerin die eigenen liebsten Überzeugungen dazu benutzte, ihre Erzählung lebendiger zu machen.

»Können Sie auf Ihrem Navi Kreuzungen eingeben?«

»Ja, Tom ist sehr clever.«

Ms. Norville lächelte. »Dann geben Sie Stagg Road und U S 47 ein. Die Stagg Road wird heutzutage kaum mehr befahren - ist seit dieser verdammten 84 fast vergessen -, hat aber landschaftlich ihren Reiz. Sie bummeln darauf … oh, ungefähr sechzehn Meilen weit. Geflickter Asphalt, aber nicht allzu holperig, jedenfalls nicht beim letzten Mal, als ich sie gefahren bin, und das war im Frühjahr, wenn die Frostaufbrüche am schlimmsten sind. Zumindest ist das meine Erfahrung.«

»Meine auch«, sagte Tess.

»Wenn Sie die 47 erreichen, sehen Sie einen Wegweiser zur I-84, aber Sie brauchen nur ungefähr zwölf Meilen weit auf der Interstate zu bleiben, das ist das Schöne daran. Und Sie sparen Tonnen von Zeit und Nerven.«

»Auch das ist das Schöne daran«, sagte Tess, und sie lachten beim Kaffee: zwei gleichgesinnte Frauen, über denen der lächelnde Richard Widmark wachte. Der verlassene Laden mit den abgebauten Zapfsäulen und dem tickenden Schild war noch neunzig Minuten entfernt, in der Zukunft versteckt wie eine Schlange in ihrem Loch. Und natürlich der Durchlass unter der Straße.

5

Tess hatte nicht nur ein Navi; sie hatte einen Aufpreis für ein individuell angepasstes gezahlt. Sie hatte Spielsachen gern. Nachdem sie die Kreuzung eingegeben hatte (wobei Ramona Norville sich mit über das Display beugte und den Vorgang mit männlichem Interesse beobachtete), dachte das Gerät kurz nach, dann sagte es: »Tess, ich berechne deine Route.«

»He, hört euch das an!«, sagte Norville und lachte, wie Leute über irgendeine liebenswerte Eigentümlichkeit lachten.

Tess lächelte, obwohl sie persönlich fand, seinem Navi beizubringen, einen mit dem Vornamen anzusprechen, sei nicht merkwürdiger, als ein Fanfoto eines toten Schauspielers in seinem Büro hängen zu haben. »Danke für alles, Ramona. Alles war sehr professionell.«

»Wir bei den Drei Bs tun unser Bestes. Nun aber fort mit Ihnen. Mit unserem Dank.«

»Bin unterwegs«, sagte Tess. »Und ich danke Ihnen. Es hat Spaß gemacht.« Das stimmte; solche Veranstaltungen machten ihr gewöhnlich auf eine »Na schön, bringen wir’s hinter uns«-Art Spaß. Und ihr Pensionsfonds würde sich sicher über eine weitere Einzahlung freuen.

»Kommen Sie wieder«, sagte Norville.

»Unbedingt«, antwortete Tess.

Als sie anfuhr, sagte das Navi: »Hallo, Tess. Wie ich sehe, machen wir einen Trip.«

»Ja, das tun wir«, sagte sie. »Wie geht’s dir heute Nachmittag?«

Im Gegensatz zu den Computern in SF-Filmen war Tom für leichte Unterhaltung schlecht ausgestattet, obwohl Tess ihm manchmal half. Er forderte sie auf, nach vierhundert Metern rechts abzubiegen und dann die erste Straße links zu nehmen. Die Karte auf dem Display des TomToms zeigte

Sie erreichte bald die Außenbezirke von Chicopee, aber Tom schickte sie kommentarlos an der Abzweigung zur I-84 vorbei aufs Land hinaus, das in Oktoberfarben leuchtete und nach brennendem Herbstlaub roch. Nach etwa zehn Meilen auf etwas, das sich Old County Road nannte - und als Tess sich eben fragte, ob ihr Navi einen Fehler gemacht habe (als ob das möglich wäre) -, sprach Tom wieder.

»Nach einer Meile rechts abbiegen.«

Und tatsächlich sah sie bald einen grünen Wegweiser zur Stagg Road, der so von Schrotkugeln durchlöchert war, dass er fast unleserlich war. Aber natürlich brauchte Tom keine Straßenschilder; wie die Soziologen gesagt hätten (sie hatte Soziologie studiert, bevor sie ihr Talent, über alte Ladys als Detektivinnen zu schreiben, entdeckt hatte), war er fremdbestimmt.

Sie bummeln darau f unge fähr sechzehn Meilen weit, hatte Ramona Norville gesagt, aber Tess bummelte nur ein Dutzend weit. Sie kam um eine Kurve, entdeckte links vor sich ein verfallendes altes Gebäude (auf dem verblassten Schild über der Tankinsel ohne Zapfsäulen stand noch immer ESSO) und sah dann - zu spät - mehrere über die Fahrbahn verteilte große zersplitterte Bretter. Aus vielen ragten rostige Nägel. Tess fuhr über den Höcker, der daran schuld sein musste, dass sie sich von der nachlässig festgezurrten Ladung irgendeines Bauerntölpels gelöst hatten, wollte dann auf den Randstreifen fahren, um dem Müll auszuweichen, und wusste sofort, dass sie es vermutlich nicht schaffen würde; weshalb hätte sie sich sonst Oh-oh sagen hören?

Unter ihr war ein Klack-rums-schepper zu hören, mit dem offenbar Holzstücke gegen Fahrwerk und Unterboden