Er stemmte die Arme in die Hüften und lachte schallend laut mit in den Nacken gelegtem Kopf. »So hat’s noch niemand ausgedrückt, aber Sie haben irgendwie recht. Wenn ich in der Lotterie gewinne, kauf ich mir einen Hummer.«
»Na ja, den kann ich Ihnen nicht kaufen, aber für den Radwechsel zahle ich Ihnen gern fünfzig Dollar.«
»Soll das ein Witz sein? Den gibt’s umsonst. Sie haben mich vor einem Platten bewahrt, weil Sie das Abfallholz von der Straße geräumt haben.«
»Jemand ist in einem komischen Lieferwagen mit einem Skelett auf der Seite vorbeigefahren, ohne es zu treffen.«
Der große Kerl war zu Tess’ plattem, linkem Vorderreifen unterwegs gewesen, aber jetzt drehte er sich nach ihr um und runzelte die Stirn. »Jemand ist vorbeigefahren, ohne Ihnen Hilfe anzubieten?«
»Ich glaube nicht, dass er mich gesehen hat.«
»Hat auch nicht gehalten, um diesen Scheiß für den nächsten Kerl wegzuräumen, was?«
»Nein, das hat er nicht getan.«
»Ist einfach weitergefahren?«
»Ja.« Irgendwas an diesen Fragen gefiel ihr nicht recht. Dann lächelte der große Kerl, und Tess ermahnte sich, nicht albern zu sein.
»Reserverad unter dem Laderaumboden, stimmt’s?«
»Ja. Das heißt, ich denke schon. Man braucht nur …«
»Den Griff hochziehen, ja, ja. Kenn ich, hab ich schon gemacht.«
Als er mit tief in den Taschen seiner Latzhose vergrabenen Händen hinten um den Explorer herumging, sah Tess, dass die Fahrertür seines Pick-ups nicht ganz geschlossen war, so dass die Deckenleuchte brannte. Weil sie befürchtete, die Batterie des F- 150 könnte so ramponiert sein wie der ganze Wagen, öffnete sie die Tür (die Angeln kreischten fast so laut wie die Bremsen) und knallte sie dann zu. Dabei fiel ihr Blick durch die Heckscheibe des Fahrerhauses auf die Ladefläche des Pick-ups. Auf dem gerippten, rostigen Metall lagen kreuz und quer mehrere Stücke Abfallholz. Sie waren weiß gestrichen und steckten voller Nägel.
Einen Augenblick lang hatte Tess das Gefühl, ein außerkörperliches Erlebnis zu haben. Das tickende Blechschild - DU MAGST ES ES MAG DICH - klang jetzt nicht mehr wie ein altmodischer Wecker, sondern wie eine Zeitbombe.
Sie versuchte sich einzureden, die Holzstücke bedeuteten nichts; solches Zeug bedeute nur etwas in Büchern von der Art, die sie nicht schrieb, und Filmen von der Art, die sie sich nur selten ansah: die grausige, blutige Art. Das funktionierte nicht. Somit hatte sie die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Sie konnte weiter so tun, als hätte sie keinen Verdacht, weil die Alternative beängstigend war, oder sie konnte losrennen und versuchen, den Wald auf der anderen Straßenseite zu erreichen.
Bevor sie sich entscheiden konnte, roch sie den betäubend scharfen Geruch von Männerschweiß. Als sie sich umdrehte, stand er da, überragte sie mit noch immer in den Seitentaschen der Latzhose vergrabenen Händen. »Wie wär’s, wenn ich dich ficken würde, statt deinen Reifen zu wechseln?«, sagte er freundlich. »Wie wäre das?«
Jetzt rannte Tess los, aber nur in Gedanken. In der realen Welt blieb sie an seinen Pick-up gepresst stehen und sah zu ihm auf: zu einem Mann, der so groß war, dass er die Sonne verdunkelte und sie in seinem Schatten stand. Sie dachte daran, dass ihr vor nicht einmal zwei Stunden vierhundert Personen - überwiegend Ladys mit Hüten - in einem kleinen, aber ausreichend großen Vortragssaal applaudiert hatten. Und irgendwo südlich von hier wartete Fritzy auf sie. Ihr dämmerte - mühsam, als müsste sie etwas Schweres heben -, dass sie ihre Katze vielleicht nie wiedersehen würde.
»Bitte bringen Sie mich nicht um«, sagte irgendeine Frau mit sehr schwacher und sehr demütiger Stimme.
»Du Schlampe«, sagte er. Er sprach im Tonfall eines Mannes, der Betrachtungen über das Wetter anstellte. Das Blechschild tickte weiter gegen eine Querstrebe des Verandadachs. »Du weinerliche Hurenschlampe. Meine Güte.«
Die rechte Hand kam aus der Tasche. Eine wahre Riesenpranke. Am kleinen Finger steckte ein Ring mit einem roten Stein. Er sah wie ein Rubin aus, war aber zu groß, um echt zu sein. Vermutlich nur aus Glas, dachte Tess. Das Schild tickte weiter. DU MAGST ES ES MAG DICH. Dann wurde die Hand zu einer Faust, kam auf sie zugeflogen und wurde immer größer, bis sie alles andere verdunkelte.
Von irgendwoher ertönte ein lauter dumpfer Schlag. Sie glaubte, ihr Kopf sei an die Fahrertür des Pick-ups geknallt. Zombie Bakers, dachte Tess noch. Dann wurde es für kurze Zeit dunkel um sie.
6
Sie kam in einem großen schattigen Raum zu sich, der nach feuchtem Holz, uraltem Kaffee und prähistorischen Essiggurken roch. Genau über ihr hing ein alter Deckenventilator schief herab. Er sah wie das defekte Karussell in dem Hitchcock-Film Der Fremde im Zug aus. Sie lag auf dem Fußboden, war von der Taille abwärts nackt, und er vergewaltigte sie. Die Vergewaltigung erschien ihr weniger schlimm als sein Gewicht: Er erdrückte sie auch. Sie bekam kaum Luft. Bestimmt war alles nur ein Traum. Aber ihre Nase war geschwollen, an ihrem Hinterkopf schien sich eine Beule von der Größe eines kleinen Berges gebildet zu haben, und Holzsplitter bohrten sich in ihre Gesäßbacken. Einzelheiten dieser Art nahm man in Träumen nicht wahr. Und in Träumen empfand man keine wirklichen Schmerzen; man wachte immer auf, bevor richtige Schmerzen einsetzten. Das hier passierte wirklich. Er vergewaltigte sie. Er hatte sie in den alten Gemischtwarenladen geschleppt und vergewaltigte sie, während goldene Sonnenstäubchen träge im schräg einfallenden Licht der Nachmittagssonne tanzten. Woanders hörten Leute Musik und kauften online ein und machten ein Nickerchen und telefonierten, aber hier drinnen wurde eine Frau vergewaltigt, und diese Frau war sie. Er hatte ihren Slip eingesteckt; sie sah die Rüschen aus der Brusttasche seiner Latzhose quellen. Dabei musste sie an den Film Beim Sterben ist jeder der Erste denken, den sie einst, als sie als Kinogängerin noch abenteuerlustiger gewesen war, im Rahmen einer College-Filmretrospektive gesehen hatte. Runter mit der Unterhose, hatte einer der Hinterwäldler gesagt, bevor er sich darangemacht hatte, den dicken Städter zu vergewaltigen. Komisch, was einem durch den Kopf ging, wenn man unter hundertdreißig Kilo Bauernfleisch lag und das Glied eines Vergewaltigers
»Bitte«, sagte sie. »O bitte, nicht mehr.«
»Schlampe«, sagte er, und dann kam wieder diese Faust, die ihr Blickfeld ausfüllte. Eine Seite ihres Gesichts wurde heiß, mitten in ihrem Kopf klickte es wieder, und sie wurde abermals bewusstlos.
7
Als sie das nächste Mal wieder zu sich kam, tanzte er in seiner Latzhose um sie herum, schwenkte dabei die Arme und sang mit quiekender, atonaler Stimme »Brown Sugar«. Die Sonne ging unter, und die beiden nach Westen hinausführenden Fenster des Ladens - das Glas staubig, aber wie durch ein Wunder nicht von Vandalen eingeworfen - waren mit Feuer angefüllt. Sein Schatten tanzte hinter ihm, glitt über den Bretterfußboden und die Wand hinauf, an der hellere Rechtecke zeigten, wo einmal Reklameschilder gehangen hatten. Das Poltern seiner derben Arbeitsstiefel klang apokalyptisch.
Sie konnte ihre Gabardinehose zusammengeknüllt unter der Theke liegen sehen, auf der einst die Registrierkasse gestanden haben musste (wahrscheinlich neben einem Steinguttopf mit gekochten Eiern und einem weiteren mit eingelegten Schweinsfüßen). Sie konnte Moder riechen. Und o Gott, ihr tat alles weh. Ihr Gesicht, ihre Brust, am meisten dort unten, wo sie sich aufgerissen fühlte.
Stell dich tot. Das ist deine einzige Chance.
Sie schloss die Augen. Das Singen hörte auf, und sie roch näher kommenden Männerschweiß. Schärfer als zuvor.
Weil er sich Bewegung gemacht hat, dachte sie. Sie vergaß, dass sie sich tot stellen wollte, und versuchte zu schreien. Bevor sie das konnte, packte er sie mit seinen riesigen Pranken am Hals und begann sie zu würgen. Sie dachte: Jetzt ist es aus. Mit mir ist es aus. Das waren ruhige Gedanken, voller Erleichterung. Wenigstens würde sie keine Schmerzen mehr haben und nicht wieder aufwachen müssen, um den Vergewaltiger im blutroten Sonnenuntergangslicht tanzen zu sehen.