Fritzy hörte seinen Namen und miaute von der Badezimmertür her.
»Dass ich mit meinem dummen Gesicht auf dem unteren Endpfosten gelandet bin. Ich könnte sogar …«
Sogar eine kleine Spur an dem Pfosten zurücklassen, natürlich konnte sie das. Vielleicht mit dem Fleischklopfer aus einer ihrer Küchenschubladen. Nichts Auffälliges, nur ein, zwei leichte Schläge, um die Farbe abplatzen zu lassen. Ein Arzt (oder eine clevere alte Detektivin wie Doreen Marquis, Doyenne des Strickclubs) hätte sich von dieser Geschichte nicht täuschen lassen, aber es würde die liebe Patsy McC täuschen, deren Mann in ihren zwanzig Ehejahren bestimmt kein einziges Mal die Hand gegen sie erhoben hatte.
»Es ist nicht so, dass ich mich wegen irgendwas schämen müsste«, flüsterte sie der Frau im Spiegel zu. Der Neuen Frau mit der schiefen Nase und den geschwollenen Lippen. »Ganz und gar nicht.« Gewiss, aber eine öffentliche Bloßstellung würde sie beschämen. Sie würde nackt sein. Ein nacktes Opfer.
Aber was ist mit den Frauen, Tessa Jean? Den Frauen in der Wellblechröhre?
Über die würde sie nachdenken müssen, aber nicht heute Nacht. Heute Nacht war sie müde, hatte Schmerzen und war in tiefster Seele bekümmert.
In ihrem Innersten (in ihrer bekümmerten Seele) spürte sie wie Glut unter der Asche Zorn auf den Mann, der das alles verschuldet hatte. Auf den Kerl, der sie in diese Lage gebracht hatte. Sie betrachtete den neben dem Waschbecken liegenden Revolver und wusste, dass sie auf ihn geschossen hätte, ohne einen Augenblick zu zögern, wenn er hier gewesen wäre. Dieses Wissen bewirkte, dass sie sich schlecht fühlte. Zugleich fühlte sie sich etwas stärker.
18
Sie schlug mit dem Fleischklopfer etwas Farbe von dem Endpfosten des Geländers ab - inzwischen war sie so müde, dass sie sich wie ein Traum im Kopf einer anderen Frau fühlte. Sie begutachtete die Delle, fand, sie sah zu absichtlich erzeugt aus, und glättete die Ränder mit ein paar leichten Schlägen. Als die Stelle wie etwas aussah, was sie mit einer Seite ihres Gesichts - wo die schlimmste Prellung war - erzeugt haben konnte, stieg sie langsam die Treppe hinauf und ging mit dem Revolver in der Hand den Flur entlang.
Vor der halb geöffneten Schlafzimmertür zögerte sie kurz. Was war, wenn er dort drinnen war? Er hatte ihre Handtasche, er hatte ihre Adresse. Die Alarmanlage hatte sie erst nach ihrer Rückkehr eingeschaltet (wie nachlässig!). Er konnte seinen alten F-150 um die Ecke geparkt haben. Er konnte den Hintereingang aufgebrochen haben. Dafür
Wäre er hier, würde ich ihn riechen. Den Männerschweiß. Und ich würde ihn erschießen. Kein »Legen Sie sich au f den Boden«, kein »Hände hoch, während ich die 911 anrufe«, keinen Horrorfilmscheiß. Ich würde ihn ein fach erschießen. Aber wisst ihr, was ich vorher sagen würde?
»Du magst es, es mag dich«, sagte Tess mit ihrer neuen, rauen Stimme. Ja. Genau das war es. Er würde es nicht verstehen, aber sie würde es tun.
Sie merkte, dass sie sich geradezu wünschte, er wäre in ihrem Zimmer. Was vermutlich bedeutete, dass die Neue Frau mehr als nur ein bisschen verrückt war, aber wenn schon? Wenn danach alles herauskam, war es das wert gewesen. Ihn zu erschießen würde die öffentliche Demütigung erträglich machen. Und sieh dir die positive Seite an! Es würde vermutlich den Absatz steigern!
Ich möchte das Entsetzen in seinem Blick sehen, wenn er erkennt, dass ich es wirklich tun werde. Das wäre zumindest eine teilweise Wiedergutmachung.
Ihre tastende Hand schien eine Ewigkeit zu brauchen, bis sie den Lichtschalter fand, und natürlich erwartete sie, dass jemand ihre Finger packen würde, während sie herumfummelte. Sie zog sich langsam aus und ließ ein triefendes, jämmerliches Schluchzen hören, als sie den Reißverschluss der Hose öffnete und in ihrem Schamhaar angetrocknetes Blut sah.
Sie stellte die Dusche so heiß, wie sie es aushalten konnte, wusch die Stellen, die das Waschen vertrugen, und spülte alles andere nur ab. Mit sauberem heißem Wasser. Sie wollte seinen Geruch loswerden, auch den Schimmelgeruch des Teppichrests. Danach setzte sie sich aufs WC. Diesmal tat das Pinkeln nicht mehr so weh, aber der Schmerzstrahl, der ihren Kopf durchzuckte, als sie - ganz vorsichtig - versuchte,
Sie zog einen Flanellpyjama an, schlurfte zum Bett und lag dann da: alle Lampen eingeschaltet, mit dem Smith & Wesson.38 auf dem Nachttisch. Sie befürchtete, nicht schlafen zu können, weil ihre überreizte Phantasie jedes Geräusch von der Straße herauf in die Annäherung des Giganten verwandeln würde. Aber dann sprang Fritzy aufs Bett, rollte sich neben ihr zusammen und begann zu schnurren. Das war besser.
Ich bin daheim, dachte sie. Ich bin daheim, ich bin daheim, ich bin daheim.
19
Als sie aufwachte, fiel das unbestreitbar nüchterne Licht von sechs Uhr morgens durch die Fenster herein. Es gab Dinge, die getan werden mussten, und Entscheidungen, die getroffen werden mussten, aber vorerst genügte es, zu leben und im eigenen Bett zu liegen, statt draußen auf dem Land in eine Wellblechröhre gestopft zu sein.
Diesmal fühlte das Pinkeln sich fast normal an, und sie sah kein Blut mehr. Sie trat unter die Dusche, stellte das Wasser wieder so heiß, wie sie es aushalten konnte, schloss die Augen und ließ es auf ihr pochendes Gesicht trommeln. Als sie davon genug hatte, massierte sie Shampoo in ihr Haar, arbeitete langsam und systematisch, benutzte ihre Finger, um die Kopfhaut zu massieren, und sparte die schmerzende Stelle aus, wo seine Faust sie getroffen haben musste. Anfangs brannte die tiefe Schramme auf Psycho dachte sie gar nicht.
Die Dusche war schon immer der Ort, an dem sie am besten nachdenken konnte, eine Umgebung wie im Mutterleib, und wenn sie jemals angestrengt und gut hatte nachdenken müssen, dann war es heute.
Ich will nicht zu Dr. Hedstrom, und ich brauche nicht zu Dr. Hedstrom. Dieser Entschluss steht fest, obwohl ich mich später - vielleicht in ein paar Wochen, wenn mein Gesicht wieder einigermaßen normal aussieht - auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen muss …
»Vergiss den Aidstest nicht«, sagte sie, und dieser Gedanke ließ sie so stark das Gesicht verziehen, dass ihr der Mund wehtat. Ein beängstigender Gedanke. Trotzdem würde sie den Test machen lassen müssen. Um ihrer eigenen Seelenruhe willen. Aber nichts von alledem ging auf die Frage ein, die sie jetzt als das Hauptproblem dieses Morgens erkannte. Was sie wegen ihrer Vergewaltigung tat oder nicht, war allein ihre Sache, aber das galt nicht für die Frauen in der Röhre. Sie hatten weit mehr verloren als sie. Und was war mit der nächsten Frau, die der Riese überfiel? Dass es weitere geben würde, bezweifelte sie nicht. Vielleicht einen Monat oder ein Jahr lang keine, aber irgendwann bestimmt wieder. Und als sie das Wasser abdrehte, wurde ihr bewusst (erneut), dass sie selbst die Nächste sein konnte, wenn er den Durchlass kontrollierte und sah, dass sie verschwunden war. Wenn er ihre Handtasche durchwühlt hatte, was bestimmt der Fall war, dann hatte er ihre Adresse.
»Außerdem meine Brillantohrringe«, sagte sie und senkte den Kopf, um sich die Haare zu spülen. »Der gottverdammte perverse Scheißkerl hat meine Ohrringe gestohlen.«
Selbst wenn sie die Stagg Road für einige Zeit mied, gehörten diese Frauen jetzt zu ihr. Sie fielen in ihre Verantwortung, Inside View erscheinen könnte.
Im stillen Licht eines Stadtrandmorgens in Connecticut war die Antwort lächerlich einfach: ein anonymer Anruf bei der Polizei. Die Tatsache, dass eine Krimiautorin mit zehn Jahren Berufserfahrung nicht gleich darauf gekommen war, verdiente fast eine Gelbe Karte. Sie würde den Tatort angeben - den verlassenen »DU MAGST ES ES MAG DICH«-Laden an der Stagg Road - und den Riesen beschreiben. Wie schwierig konnte es sein, einen solchen Mann aufzuspüren? Oder einen blauen Ford F-150 mit Bondo-Spachtel um die Scheinwerfer?