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»Nein. Das muss keiner von uns.«

Wir wickelten sie ein und machten dadurch die Tagesdecke zu ihrem Leichentuch. Als wir damit fertig waren, wurde mir klar, dass wir sie so nicht aus dem Haus tragen konnten: In meinen unausgegorenen Plänen und Tagträumen hatte ich nicht mehr als einen dezenten Blutfaden an der Stelle der Tagesdecke gesehen, unter der ihre durchtrennte Kehle (ihre glatt durchtrennte Kehle) war. Die Wirklichkeit hatte ich nicht vorausgesehen, nicht einmal in Erwägung gezogen: In dem düsteren Raum war die weiße Tagesdecke schwärzlich purpurrot und leckte Blut, wie ein tropfnasser Schwamm Wasser abgibt.

Im Kleiderschrank lag ein Quilt. Ich musste unwillkürlich daran denken, was meine Mutter sagen würde, wenn sie sähe, wofür ihr liebevoll besticktes Hochzeitsgeschenk zweckentfremdet wurde. Ich breitete ihn auf dem Boden aus. Wir legten Arlette darauf. Dann wickelten wir sie ein.

»Schnell«, sagte ich. »Bevor auch der zu tropfen anfängt. Nein … warte … hol eine Lampe.«

Er blieb so lange fort, dass ich schon befürchtete, er wäre weggelaufen. Dann sah ich einen Lichtschein den kurzen Flur entlanghuschen, der an Henrys Zimmer vorbei in das hatten. Ich konnte die Tränen sehen, die ihm über das wachsbleiche Gesicht liefen.

»Stell sie auf die Kommode.«

Er stellte die Lampe neben das Buch, das ich gerade las: Hauptstraße von Sinclair Lewis. Ich habe es nie zu Ende gelesen; ich konnte es nicht ertragen, das zu tun. Im Lampenlicht zeigte ich ihm die Blutflecken auf dem Boden und die große Lache unmittelbar neben dem Bett.

»Aus dem Quilt tropft auch welches«, sagte er. »Hätte ich gewusst, wie viel Blut sie in sich hat …«

Ich zog meinen Kopfkissenbezug ab und streifte ihn über das untere Ende des Quilts wie einen Strumpf über ein blutendes Schienbein. »Nimm ihre Füße«, sagte ich. »Was jetzt kommt, müssen wir gleich erledigen. Und werd nicht wieder ohnmächtig, Henry, allein schaff ich’s nämlich nicht.«

»Ich wollte, das alles wäre nur ein Traum«, sagte er, aber er bückte sich und umschlang das Ende des Quilts mit den Armen. »Glaubst du, es könnte ein Traum sein, Papa?«

»Heute in einem Jahr, wenn alles hinter uns liegt, werden wir’s für einen halten.« Irgendwie glaubte ich das sogar. »Schnell jetzt. Bevor der Kissenbezug zu tropfen anfängt. Oder der restliche Quilt.«

Wie Möbelpacker, die ein in einen Teppich gewickeltes Möbelstück schleppten, trugen wir sie den Flur entlang, durchs Wohnzimmer und dann zur Haustür hinaus. Ich atmete auf, sobald wir die Verandatreppe hinunter waren; Blutspuren auf dem Hof ließen sich leichter beseitigen.

Henry hielt sich gut, bis wir um die Ecke des Kuhstalls bogen und der alte Brunnen in Sicht kam. Er war von eingerammten Zaunlatten umgeben, damit niemand versehentlich auf den Holzdeckel trat, mit dem er verschlossen war. Im Sternenschein wirkten diese Stecken trostlos grausig,

»Das ist kein Grab für eine Mam… ma…« Mehr brachte er nicht heraus, bevor er ohnmächtig in das hinter dem Stall wuchernde Gestrüpp sank. Plötzlich musste ich das ganze Gewicht meiner ermordeten Frau allein tragen. Ich überlegte kurz, ob ich das groteske Bündel so lange ablegen sollte - die Stofflagen waren verrutscht, und die zerschnittene Hand schaute heraus -, bis ich Henry wiederbelebt hatte. Wahrscheinlich war es barmherziger, ihn liegen zu lassen. Also schleifte ich sie allein an den Brunnenrand, legte sie ab und stemmte den Holzdeckel hoch. Als ich ihn an zwei Zaunlatten lehnte, atmete der Brunnen mir ins Gesicht: ein Pesthauch aus stehendem Wasser und verfaulendem Unkraut. Ich kämpfte gegen einen Brechreiz an und verlor. An zwei weitere Latten geklammert, um das Gleichgewicht zu halten, knickte ich den Oberkörper ab und gab mein Abendessen von mir und den wenigen Wein, den ich getrunken hatte. Vom schlammigen Wasser der Brunnensohle echote ein Platschen herauf. Wie der Gedanke Ride’em, Cowboy ist dieses Platschen in den vergangenen acht Jahren stets in Reichweite meiner Erinnerung geblieben. Ich wache mitten in der Nacht mit dem Echo im Kopf auf und spüre, wie sich mir die Splitter der Holzlatten in die Handflächen bohren, während ich sie umklammere, als ginge es um mein Leben.

Ich wich vom Brunnenrand zurück, fiel über das Bündel, das Arlette enthielt, und landete neben ihr. Die zerschnittene Hand hatte ich dicht vor Augen. Ich schob sie in den Quilt zurück und tätschelte sie dann, als wollte ich Arlette trösten. Henry lag weiterhin mit dem Kopf auf einem Arm gebettet im Gestrüpp. Er sah wie ein Kind aus, das nach einem anstrengenden Erntetag schläft. Über uns glitzerten die Sterne zu Tausenden und Abertausenden. Ich konnte Diese Nacht wird niemals enden. Und das stimmte. In gewisser Hinsicht hat sie das niemals getan.

Als ich das Bündel mit den Armen hochhob, zuckte es.

Ich erstarrte und hielt trotz meines hämmernden Herzens den Atem an. Das hast du gar nicht gespürt, dachte ich. Ich wartete, ob es sich wiederholte. Oder ob ihre Hand sich vielleicht aus dem Quilt stahl, um mit den zerschnittenen Fingern mein Handgelenk zu umklammern.

Es passierte jedoch nichts mehr. Ich hatte mir alles nur eingebildet. Bestimmt hatte ich das. Also kippte ich sie in den Brunnen. Ich sah, wie der Quilt an dem nicht vom Kissenbezug zusammengehaltenen Ende aufging, und dann kam das Platschen. Ein viel lauteres Platschen, als es mein Erbrochenes gemacht hatte, aber zugleich auch ein quatschender Aufprall. Ich hatte gewusst, dass das Wasser dort unten nicht tief war, aber gehofft, es würde tief genug sein, um sie zu bedecken. Dieser Aufprall sagte mir, dass das nicht der Fall war.

Hinter mir setzte ein hohes, sirenenartig schrilles Lachen ein: dem Wahnsinn so nahe, dass mir ein eisiger Schauder eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ. Henry war zu sich gekommen und hatte sich aufgerappelt. Nein, viel mehr als nur das. Er hüpfte hinter dem Kuhstall umher, schwenkte die Arme unter dem Sternenhimmel und lachte dabei.

»Mama drunten im Brunnen, und mir ist’s egal!«, lautete sein Singsang. »Mama drunten im Brunnen, und mir ist’s egal, denn mein Meister ist fo-oort

Ich war mit drei Schritten bei ihm, schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht und hinterließ blutige Fingerabdrücke

Rex bellte einmal, zweimal, dreimal. Danach Stille. Wir standen da, wobei ich Henrys Schultern umklammerte und den Kopf leicht geneigt hielt. Der Schweiß lief mir ins Genick. Rex blaffte noch einmal, dann ließ er es bleiben. Falls einer der Cotteries davon aufgeschreckt worden war, würde er glauben, dass es einem Waschbären gegolten hatte. Das hoffte ich zumindest.

»Geh ins Haus«, sagte ich. »Das Schlimmste ist überstanden.«

»Wirklich, Papa?« Er sah mich ernst an. »Ist es das?«

»Ja. Alles in Ordnung mit dir? Wirst du noch mal ohnmächtig?«

»War ich das?«

»Ja.«

»Mir fehlt nichts. Ich bin nur … Ich weiß nicht, warum ich so gelacht habe. Ich war durcheinander. Wahrscheinlich aus Erleichterung. Es ist vorbei!« Ein Kichern entkam ihm, und er schlug sich wie ein kleiner Junge, der vor seiner Großmutter versehentlich ein schlimmes Wort gebraucht hat, beide Hände vor den Mund.

»Ja«, sagte ich. »Es ist vorbei. Wir bleiben hier. Deine Mutter ist nach St. Louis weggelaufen … vielleicht war es auch Chicago … aber wir bleiben hier.«

»Sie …?« Sein Blick irrlichterte zum Brunnen mit dem Holzdeckel hinüber, der von zwei Latten gestützt wurde, die im Sternenschein irgendwie trostlos grausig wirkten.

»Ja, Hank, das ist sie.« Seine Mutter hasste es, wenn ich ihn Hank nannte, weil es ihrer Meinung nach ordinär war, aber jetzt konnte sie nichts mehr dagegen machen. »Hat uns einfach sitzenlassen. Das tut uns natürlich leid, aber

»Und ich kann weiter … mit Shannon befreundet bleiben?«