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Sie klickte das Adressbuch-Icon an, scrollte zum Buchstaben R hinunter und fand einen Eintrag für Red Hawk Trucking. Die Anschrift war 7 Transport Plaza, Township Road, Colewich. Sie scrollte zum Buchstaben S weiter und fand nicht nur ihren übergroßen Bekannten von Freitagnacht, sondern auch Lester, den Bruder ihres Bekannten. Big Driver und Little Driver. Beide wohnten in der Township Road in der Nähe der Firma, die sie von ihrem Vater geerbt haben mussten: Alvin in Nummer 23, Lester in Nummer 101.

Gäbe es einen dritten Bruder, dachte Tess, wären sie die Drei Kleinen Trucker. Einer in einem Haus aus Stroh, einer in einem Haus aus Stöcken, einer in einem Haus aus Ziegeln. Aber leider sind’s nur zwei.

Unten im Erdgeschoss nahm sie ihre Brillantohrringe aus der Glasschale und steckte sie in eine Tasche ihrer Lederjacke. Dabei sah sie die in sitzender Haltung an der Wand lehnende Tote an. In ihrem Blick lag kein Mitleid, nur die Befriedigung, mit der man zum Abschied ein hartes Stück Arbeit musterte, das nun vollbracht war. Wegen belastender Spuren brauchte sie sich keine Sorgen zu machen; Tess war davon überzeugt, keine hinterlassen zu haben - nicht mal ein einziges Haar. Der Topfhandschuh - jetzt mit einem Schussloch - steckte wieder in ihrer Tasche. Bisher war sie clean, aber der schwierige Teil stand ihr vielleicht erst noch bevor. Sie verließ das Haus, stieg in den Expedition und fuhr davon. Eine Viertelstunde später hielt sie kurz auf dem leeren Parkplatz eines Einkaufszentrums, um 23 Township Road, Colewich, in ihr Navi einzugeben.

36

Unter Toms Führung gelangte Tess wenige Minuten nach neun Uhr abends in unmittelbare Nähe ihres Ziels. Der Dreiviertelmond stand noch immer tief am Himmel. Der Nachtwind hatte noch mehr aufgefrischt.

Auch die Township Road zweigte von der US 47 ab - allerdings mindestens sieben Meilen vor dem Stagger Inn und noch weiter vor der Innenstadt von Colewich. Die Transport Plaza lag an der Kreuzung zweier Straßen. Den Firmenschildern nach hatten sich dort drei Fuhrunternehmen und eine Möbelspedition angesiedelt. Untergebracht waren

An die Parkfläche schloss sich ein Rasthof an. Die Zapfsäulen, bestimmt über ein Dutzend, wurden von den gleichen strahlend hellen Bogenlampen beleuchtet. Aus der rechten Hälfte des Hauptgebäudes fiel grellweißes Neonlicht; die linke Seite war dunkel. Im Hintergrund lag ein U-förmiges, ebenerdiges weiteres Gebäude. Dort parkten einige wenige Autos und Trucks. Das riesige Schild an der Straße war eine mit Informationen in leuchtendem Rot vollgepackte elektronische Anzeigetafel.

RICHIE’S RASTHOF TOWNSHIP ROAD

»IHR FAHRT SIE, WIR BETANKEN SIE«

NORMAL $ 2.99/GALLONE

DIESEL $ 2.69/GALLONE

NEUESTE LOTTERIELOSE IMMER VORRÄTIG

RESTAURANT SONNTAGABEND GESCHLOSSEN

SORRY, SONNTAGABEND KEINE DUSCHEN

SHOP & MOTEL »STÄNDIG GEÖFFNET«

WOHNMOBILE »IMMER WILLKOMMEN«

Und ganz unten:

UNTERSTÜTZT UNSERE SOLDATEN!

SIEGT IN AFGANDISTAN!

Mit ankommenden und wegfahrenden Truckern, die ihre Fahrzeuge und sich selbst versorgten (auch wenn das Restaurant jetzt dunkel dalag, erriet Tess, dass es zu denen gehörte, die immer Steak, Fritten, Hackbraten und Mama’s Brotpudding auf der Speisekarte hatten), ging es hier an Wochentagen vermutlich zu wie in einem Taubenschlag, aber jetzt am Sonntagabend herrschte gähnende Leere, weil es hier draußen nichts gab, nicht mal ein Rasthaus wie das Stagger Inn.

An den Zapfsäulen stand nur ein einziges Fahrzeug - mit dem Kühlergrill zur Straße, die Zapfpistole im Tank. Es war ein alter Pick-up, ein Ford F-150, mit Bondo-Spachtel um die Scheinwerfer. In dem grellen Licht war die Lackfarbe unmöglich zu erkennen, aber darauf war Tess nicht angewiesen. Sie hatte diesen Pick-up ganz aus der Nähe gesehen und wusste, welche Farbe er hatte. Der Platz am Steuer war leer.

»Du scheinst nicht überrascht zu sein, Tess«, sagte Tom, als sie am Straßenrand hielt und mit zusammengekniffenen Augen zu dem Tankstellenshop hinübersah. Obwohl die Außenbeleuchtung sie blendete, konnte sie darin ein paar Leute erkennen, von denen einer ziemlich groß zu sein schien. War er groß oder richtig groß?, hatte Betsy Neal sie gefragt.

»Natürlich bin ich das nicht«, sagte sie. »Er wohnt hier draußen. Wohin sollte er sonst zum Tanken fahren?«

»Vielleicht bereitet er sich auf einen Trip vor.«

»So spät am Sonntagabend? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass er zu Hause war und sich Meine Lieder - meine Träume angesehen hat. Ich glaube, dass ihm das Bier ausgegangen ist, so dass er hergekommen ist, um sich neues zu besorgen. Dabei ist ihm eingefallen, dass er auch gleich tanken könnte.«

»Aber du könntest dich irren. Wäre es nicht besser, hinter dem Shop zu warten und ihm zu folgen, wenn er wegfährt?«

Aber das wollte Tess nicht. Die Vorderfront der Raststätte war ganz verglast. Er konnte sie beim Hereinfahren zufällig sehen. Auch wenn ihr Gesicht in den Schlagschatten der grellen Beleuchtung schlecht zu sehen war, konnte er ihr Auto wiedererkennen. Schwarze Ford-Geländewagen waren häufig, aber seit Freitagnacht musste Al Strehlke für schwarze Ford Expedition besonders sensibilisiert sein. Und ihr Kennzeichen … als er auf dem verunkrauteten Parkplatz des verlassenen Ladens neben ihr gehalten hatte, musste er gesehen haben, dass ihr Wagen in Connecticut zugelassen war.

Und es gab noch etwas zu bedenken. Etwas noch Wichtigeres. Sie fuhr weiter, so dass Richie’s Rasthof Township Road im Rückspiegel zurückblieb.

»Ich will nicht hinter ihm sein«, sagte sie. »Ich will vor ihm sein. Ich will ihm auflauern.«

»Was ist, wenn er verheiratet ist, Tess?«, fragte Tom. »Wenn er eine Frau hat, die auf ihn wartet?«

Dieser Gedanke verblüffte sie im ersten Augenblick. Dann lächelte sie, was aber nicht nur daran lag, dass der einzige Ring, den er getragen hatte, zu groß gewesen war, um einer mit einem Rubin zu sein. »Kerle wie der haben keine Frau«, sagte sie. »Jedenfalls keine, die es bei ihnen aushält. In Als Leben hat es nur eine einzige Frau gegeben, und die ist jetzt tot.«

37

Anders als die Lacemaker Lane hatte die Township Road nichts Vorstädtisches an sich; sie war so ländlich wie Alan Jackson. Im Licht des Mondes glichen die Häuser schimmernden Inseln aus elektrischem Licht.

»Tess, du bist bald am Ziel«, sagte Tom mit seiner nicht imaginären Stimme.

Sie fuhr über eine kleine Kuppe und sah links voraus einen Briefkasten mit dem Namen Strehlke und der Nummer 23. Der Asphaltbelag der Zufahrt, die in einer langen ansteigenden Kurve verlief, war glatt wie schwarzes Eis. Tess bog, ohne zu zögern, auf sie ab, aber sobald die Township Road hinter ihr lag, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie musste sich beherrschen, um nicht scharf zu bremsen und wieder auf die Straße zurückzustoßen. Wenn sie jetzt weiterfuhr, gab es kein Zurück mehr. Dann glich sie einem Käfer in einer Flasche. Und was war, wenn er zwar nicht verheiratet war, aber heute Abend Besuch hatte? Zum Beispiel von Bruder Lester? Was war, wenn Big Driver bei Richie’s Rasthof nicht nur für einen, sondern für zwei Kerle Bier und Snacks gekauft hatte?

Tess schaltete die Scheinwerfer aus und fuhr im Mondlicht weiter.

In ihrer Nervosität erschien ihr die Zufahrt endlos lang, aber sie war bestimmt keine zweihundert Meter weit gefahren, als sie die Lichter von Strehlkes Haus sah. Es stand auf einem Hügeclass="underline" ein gepflegtes Gebäude, größer als ein Cottage, aber kleiner als ein Farmhaus. Kein Haus aus Ziegeln, aber auch keine bescheidene Strohhütte. In der Geschichte von den drei kleinen Schweinchen und dem großen bösen Wolf wäre dies das Haus aus Stöcken gewesen, schätzte Tess.