Links neben dem Haus war ein langer kastenförmiger Auflieger mit dem Schriftzug RED HAWK TRUCKING auf seiner Flanke abgestellt. Vor der Garage am Ende der Zufahrt parkte ein Peterbilt, die Zugmaschine von der Website. Im Mondschein sah sie gespenstisch aus. Tess fuhr langsamer, als sie sich ihr näherte, und geriet im nächsten Augenblick in eine weiße Lichtflut, die sie blendete und Rasen und Zufahrt strahlend hell beleuchtete. Es waren Halogenstrahler mit Bewegungsmeldern auf einem Lichtmast,
Sie bremste scharf und kam sich vor wie damals, als sie als Teenager einmal geträumt hatte, in der Schule völlig nackt zu sein. Sie hörte eine Frau stöhnen. Das musste sie selbst sein, aber es klang nicht wie sie, fühlte sich auch nicht an wie sie.
»Das ist nicht gut, Tess.«
»Schnauze, Tom.«
»Er kann jeden Augenblick zurückkommen, und du weißt nicht, wie lange das Licht jeweils brennt. Du hast schon mit der Mutter deine liebe Mühe gehabt. Und er ist viel größer als sie.«
»Schnauze, hab ich gesagt!«
Sie wollte nachdenken, aber das war in dem grellen Licht schwierig. Die Schatten der geparkten Zugmaschine und des langen silbrigen Kastens links neben ihr schienen mit spitzen schwarzen Fingern - Butzemannfingern - nach ihr zu greifen. Dieser gottverdammte Lichtmast! Natürlich hatte ein Mann wie er Scheinwerfer mit Bewegungsmeldern! Am besten fuhr sie sofort wieder, wendete einfach auf seinem Rasen und fuhr so schnell wie möglich zur Straße hinunter - nur würde sie ihm unweigerlich begegnen, wenn sie das tat. Das wusste sie. Und ohne das Überraschungsmoment auf ihrer Seite wäre das ihr Tod.
Denk nach, Tessa Jean, denk nach!
Und o Gott, um alles noch schlimmer zu machen, fing auf einmal ein Hund an zu bellen. Im Haus war ein Hund. Sie stellte sich einen heiser knurrenden Pitbull mit gefletschten Reißzähnen vor.
»Wenn du hierbleiben willst, musst du zusehen, dass du außer Sicht kommst«, sagte Tom … und nein, das klang nicht wie ihre Stimme. Nicht exakt wie ihre Stimme. Vielleicht
Sie sah in den Rückspiegel und biss sich auf die nach wie vor geschwollene Unterlippe. Noch keine näher kommenden Scheinwerfer. Aber würde sie die in der Helligkeit des Mondlichts und der verdammten Halogenscheinwerfer überhaupt sehen?
»Zu der Beleuchtung gehört eine Zeitschaltuhr«, sagte Tom, »aber ich würde etwas tun, bevor sie abläuft, Tess. Wenn du danach weiterfährst, dann löst du sie nur wieder aus.«
Sie schaltete den Allradantrieb des Expedition zu und wollte um die Zugmaschine herumfahren, bremste aber gleich wieder. Dahinter wuchs hohes Gras. Im unbarmherzigen Licht der Halogenscheinwerfer musste er die Spuren sehen, die sie hinterlassen würde. Selbst wenn die scheiß Scheinwerfer jetzt ausgingen, bei seiner Rückkehr würden sie erneut aufflammen, und er würde die Spuren sehen.
Drinnen im Haus machte der Hund sich weiterhin bemerkbar: Jark! Jark! JarkJarkJark!
»Fahr über den Rasen und stell ihn hinter den Auflieger«, sagte Tom.
»Aber die Spuren! Die Spuren!«
»Irgendwo musst du dich verstecken«, antwortete Tom. Er sprach zurückhaltend, aber energisch. »Wenigstens ist das Gras dort gemäht. Die meisten Leute sind nämlich schlechte Beobachter. Das sagt Doreen Marquis dauernd.«
»Strehlke ist keine alte Lady aus dem Strickclub, er ist ein gottverdammter Irrer.«
Aber weil sie effektiv keine andere Wahl hatte - nicht mehr, seit sie hier oben war -, fuhr Tess in dem gleißend hellen Licht, das wie die Mittagssonne blendete, über den
»Selbst wenn das Licht bei seiner Rückkehr noch brennt, wird er vielleicht nicht misstrauisch«, sagte Tom. »Ich wette, dass der Bewegungsmelder oft durch Wild ausgelöst wird. Vielleicht hat er sogar weitere Scheinwerfer, um es aus seinem Gemüsegarten zu verscheuchen.«
Das klang vernünftig (und wieder wie ihre spezielle Tom-Stimme), aber es beruhigte sie nicht sonderlich.
Jark! Jark! JarkJark! Was immer dort drinnen kläffte, schien einen Tobsuchtsanfall zu haben.
Der Boden hinter dem silbernen Kasten war abgefahren und holperig - anscheinend waren dort schon oft Auflieger abgestellt worden -, aber durchaus fest. Sie parkte den Expedition möglichst tief im Schatten des kastenförmigen Aufliegers und stellte den Motor ab. Sie schwitzte stark und produzierte einen scharfen Geruch, gegen den kein Deodorant angekommen wäre.
Sie stieg aus, und die Scheinwerfer mit Bewegungsmelder erloschen just in dem Moment, als sie die Tür zuknallte. Einen abergläubischen Moment lang glaubte Tess, das hätte an ihr gelegen, aber dann erkannte sie, dass nur die Schaltuhr von dem Scheißding abgelaufen war. Sie lehnte sich auf die warme Motorhaube des Expedition, holte schnaufend tief Luft und stieß sie wieder wie ein Läufer auf dem letzten halben Kilometer eines Marathons aus. Wie lange es gebrannt hatte, hätte eine nützliche Information sein können, aber diese Frage konnte sie nicht beantworten. Sie hatte zu viel Angst gehabt. Es war ihr stundenlang vorgekommen.
Als sie sich wieder im Griff hatte, machte sie Inventur und zwang sich dazu, langsam und systematisch vorzugehen.
Und in dem Revolver stecken nur noch vier Schuss, daran musst du denken, bevor du anfängst, ihn zu durchsieben. Wieso hast du nicht mehr Munition mitgenommen, Tessa Jean? Du hast zu planen geglaubt, aber du hast keine sehr gute Arbeit geleistet, finde ich.
»Halt die Klappe«, flüsterte sie. »Tom oder Fritzy oder wer immer du bist, halt einfach die Klappe.«
Die nörgelnde Stimme verstummte, und sobald sie das tat, merkte Tess, dass auch die reale Welt still war. Der Hund hatte sein verrücktes Kläffen eingestellt, als das Licht erloschen war. Das einzige Geräusch machte jetzt der Wind, das einzige Licht kam vom Mond.
38
Ohne das gleißend helle Scheinwerferlicht bot der lange Auflieger eine sehr gute Deckung, aber Tess durfte nicht dort bleiben. Nicht, wenn sie tun wollte, wozu sie hergekommen war. Sie hastete hinten ums Haus herum, hatte schreckliche Angst, sie könnte einen weiteren Bewegungsmelder auslösen, und wusste doch, dass ihr keine andere Wahl blieb. Scheinwerfer flammten keine auf, aber der Mond verschwand hinter einer Wolke, und sie stolperte im Dunkeln über den Rahmen eines Kellerfensters, ging in die
Während sie dort kniete, fragte sie sich einen Augenblick lang, was sie hier machte und in wen sie sich verwandelt hatte. Sie war ein Mitglied des Schriftstellerverbands, das vor kurzem eine Frau mit einem Kopfschuss erledigt hatte. Nachdem es ihr ein Messer in den Bauch gestoßen hatte. Ich bin aus dem Reservat abgehauen, wie man so sagt. Dann erinnerte sie sich daran, dass er sie eine Schlampe, eine weinerliche Hurenschlampe genannt hatte, und machte sich nichts mehr daraus, ob sie aus dem Reservat abgehauen war oder nicht. Das war ohnehin eine dumme Redensart. Vermutlich noch dazu rassistisch.
Strehlke hatte hinter dem Haus tatsächlich einen Gemüsegarten, aber der war anscheinend zu klein, als dass es sich gelohnt hätte, ihn durch einen Scheinwerfer mit Bewegungsmelder vor Wildverbiss zu schützen. Hier gab es sowieso nur noch ein paar Kürbisse, von denen die meisten an der Ranke verfaulten. Tess stieg über die Furchen hinweg, bog um die Hausecke und hatte nun die Zugmaschine vor sich. Der Mond zeigte sich wieder und verwandelte ihren Chrom in das flüssige Silber von Schwertklingen in Fantasy-Romanen.
Tess näherte sich dem Peterbilt von hinten, ging die linke Seite entlang und kniete neben dem kinnhohen (wenigstens für sie) Vorderrad nieder. Sie zog den Smith & Wesson aus der Tasche. In die Garage konnte Strehlke nicht fahren, weil davor die Zugmaschine stand. Selbst wenn die Zufahrt frei gewesen wäre, war die Garage vermutlich voller Junggesellenkrempeclass="underline" Werkzeug, Angelzeug, Campingsachen, Autoersatzteile, Kästen mit Billig-Mineralwasser.