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Sie betrat den Raum. Er sah sie. Tess hatte nie darüber nachgedacht, wie Lester reagieren könnte, wenn sein letztes Opfer hier aufkreuzte: mit einem Revolver in der Hand und der Baseballmütze, die er selbst trug, wenn ihn das Jagdfieber packte, auf dem Kopf. Auch wenn sie es getan hätte, hätte sie seine extreme Reaktion nie vorhersehen können. Seine Kinnlade sackte herab, dann erstarrte das ganze Gesicht. Die Bierdose fiel ihm aus der Hand, landete in seinem Schoß und tränkte seine vergilbten Boxershorts mit weiß schäumendem Bier.

Er sieht ein Gespenst, dachte sie, als sie auf ihn zutrat und die Waffe hob. Gut.

Sie hatte Zeit, festzustellen, dass es im Wohnzimmer, in dem zwar ein Junggesellenchaos herrschte, weder Schneekugeln TV Guide, das Heft mit Simon Cowell auf der Titelseite.

»Du bist tot«, flüsterte er.

»Nein«, antwortete Tess. Sie setzte ihm die Mündung des Lemon Squeezer an die Schläfe. Er unternahm den schwachen Versuch, ihr Handgelenk zu packen, aber diese Bewegung war viel zu kraftlos, kam viel zu spät. »Das bist du

Sie drückte ab. Blut trat aus seinem Ohr, und der Kopf schnellte zur Seite. Er sah wie ein Mann aus, der verspannte Nackenmuskeln zu lockern versuchte. Im Fernsehen sagte George Costanza: »Ich war im Pool, ich war im Pool.« Das Publikum lachte.

41

Es war fast Mitternacht, und der Wind wehte stürmischer als zuvor. In Böen erzitterte Lester Strehlkes ganzes Haus, und Tess musste jedes Mal an das kleine Schweinchen denken, das sein Haus aus Stöcken gebaut hatte.

Das kleine Schweinchen, das in diesem Haus hier gelebt hatte, würde sich nie mehr Sorgen machen müssen, sein beschissenes Haus könnte weggeweht werden, denn es lag tot in seinem La-Z-Boy. Und er war ohnehin kein kleines Schweinchen, dachte Tess. Er war ein großer böser Wolf.

Sie saß in der Küche und schrieb auf einem schmuddeligen Blue-Horse-Schreibblock, den sie oben in Strehlkes Schlafzimmer gefunden hatte. Im ersten Stock gab es vier National Geographic getarnt war. Sie enthielt ein Knäuel aus Damenslips. Ihr eigener Slip lag obenauf. Tess steckte ihn ein und ersetzte ihn nach Art einer Packratte durch die zwei Meter lange gelbe Bootsleine. Diese Leine in der Trophäentasche eines Mörders und Vergewaltigers würde niemanden überraschen. Außerdem würde Tess sie nicht mehr brauchen.

»Tonto«, sagte der Lone Ranger, »unsere Arbeit hier ist getan.«

Was sie schrieb, während nach Seinfeld Frasier kam und auf Frasier die Lokalnachrichten folgten (jemand aus Chicopee hatte in der Lotterie gewonnen, und jemand anders hatte sich beim Sturz von einem Baugerüst das Rückgrat gebrochen, was sich also irgendwie ausglich), war ein Geständnis in Briefform. Als sie auf Seite fünf anlangte, folgte auf die Lokalnachrichten ein scheinbar endloser Werbespot für Almighty Cleanse. Eben sagte Danny Vierra: »Manche Amerikaner haben nur alle zwei, drei Tage Stuhlgang, und weil das seit Jahren so ist, halten sie es für normal! Aber jeder Arzt, der etwas taugt, wird Ihnen sagen, dass es das nicht ist!«

Der Brief war AN DIE ZUSTÄNDIGEN BEHÖRDEN adressiert, und die ersten vier Seiten bestanden aus einem

Ich will keine Entschuldigungen dafür vorbringen, was ich getan habe. Auch kann ich nicht behaupten, bei meinen Taten geistig verwirrt gewesen zu sein. Ich war zornig, und ich habe einen Fehler gemacht. So einfach war das. Unter anderen Umständen - unter weniger schrecklichen, meine ich - könnte ich vielleicht sagen: »Das war ein verständlicher Fehler, weil die beiden sich fast wie Zwillinge ähnlich sehen.« Aber es liegen keine anderen Umstände vor.

Ich habe über Wiedergutmachung nachgedacht, während ich hier gesessen, diese Seiten geschrieben und auf seinen Fernseher und den ums Haus heulenden Wind gehorcht habe - nicht etwa weil ich auf Vergebung hoffe, sondern weil es mir falsch erscheint, etwas Böses zu tun, ohne wenigstens zu versuchen, es mit etwas Gutem auszugleichen. (Hier dachte Tess daran, wie der Lotteriegewinner und der Rückgratverletzte sich ausgeglichen hatten, aber dieser Gedanke würde schwierig auszudrücken sein, weil sie so müde war, und sie wusste ohnehin nicht, ob er stichhaltig war.) Ich habe daran gedacht, nach Afrika zu gehen und mit Aids-Opfern zu arbeiten. Ich habe daran gedacht, in New Orleans als Freiwillige in einem Obdachlosenheim oder einer Suppenküche zu arbeiten. Ich habe daran gedacht, die knapp eine Million Dollar, die ich für den Ruhestand zurückgelegt

Aber dann habe ich an etwas gedacht, was Doreen Marquis vom Strickclub in jedem Roman mindestens einmal sagt …

Mindestens einmal in jedem Roman sagte Doreen: Mörder übersehen immer das Offenkundige. Darau f könnt ihr euch verlassen, meine Lieben. Und noch während Tess von Wiedergutmachung schrieb, erkannte sie, dass es diese unmöglich geben würde. Weil Doreen völlig recht hatte.

Tess hatte eine Mütze getragen, um keine Haare für eine DNA-Analyse zu hinterlassen. Sie hatte Handschuhe getragen, die sie nie ausgezogen hatte - nicht einmal auf der Fahrt mit Al Strehlkes Pick-up. Es war noch nicht zu spät, dieses Geständnis in Lesters Holzherd zu verbrennen, zu Bruder Alvins sehr viel hübscherem Haus zu fahren (aus Ziegeln statt aus Stöcken), sich in ihren Expedition zu setzen und nach Connecticut zurückzufahren. Sie konnte heimfahren, wo Fritzy auf sie wartete. Auf den ersten Blick schien es keine zu ihr führende Spur zu geben, und die Polizei würde vielleicht ein paar Tage brauchen, um auf sie zu kommen, aber irgendwann würde sie unausweichlich auf sie kommen. Während Tess sich auf forensische Maulwurfshaufen konzentriert hatte, hatte sie nämlich den offenkundigen Berg übersehen - genau wie die Mörder in den Willow-Grove-Krimis.

Der offenkundige Berg hatte einen Namen: Betsy Neal. Eine aparte Frau mit ovalem Gesicht, leicht unterschiedlichen Picasso-Augen und einer Wolke aus schwarzem Haar. Sie hatte Tess erkannt und sich sogar ein Autogramm geben lassen, aber das würde nicht entscheidend sein. Den Ausschlag Hoffentlich ist das nicht hier passiert, hatte Neal gesagt) und die Tatsache geben, dass sie nach Alvin Strehlke gefragt, seinen Pick-up beschrieben und den Ring erkannt hatte, als Neal ihn erwähnt hatte. Wie ein Rubin, hatte Tess zugestimmt.

Neal würde die Story im Fernsehen sehen oder in der Zeitung lesen - wie ließ sich das bei drei Toten aus einer Familie vermeiden? - und zur Polizei gehen. Die Polizei würde zu Tess kommen. Sie würde routinemäßig das Waffenregister für Connecticut eingesehen und festgestellt haben, dass Tess einen jener als Lemon Squeezer bekannten Smith & Wesson Kaliber.38 besaß. Sie würde den Revolver verlangen, um nach Probeschüssen ballistische Vergleiche mit den in den drei Mordopfern aufgefundenen Geschossen anstellen zu können. Und was würde Tess sagen? Würde sie die Beamten mit zwei Veilchen ansehen und mit nach wie vor heiserer Stimme (weil Lester Strehlke sie gewürgt hatte) behaupten, sie habe ihn verloren? Würde sie bei dieser Story bleiben, selbst nachdem die toten Frauen in dem Durchlass unter der Straße aufgefunden worden waren?

Tess griff nach dem geliehenen Kugelschreiber und schrieb weiter.

… was Doreen Marquis vom Strickclub in jedem Roman mindestens einmal sagt: Mörder übersehen immer das Offenkundige. Doreen hat einmal auch eine Idee von Dorothy Sayers übernommen, einem Mörder eine geladene Waffe gelassen und ihn aufgefordert, den ehrenvollen Ausweg zu wählen. Ich habe eine Waffe. Mein einziger naher Verwandter ist mein Bruder Mike. Er lebt in Taos, New Mexico. Ich vermute, dass er mich allein beerben wird. Das hängt von den juristischen Konsequenzen meiner Verbrechen ab. Wenn er Alleinerbe wird, bekommt er hoffentlich auch diesen Brief zu sehen, der