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»Meines Wissens ist noch nie eines in einer MRI-Röhre passiert.« Henderson griff nach einem Kugelschreiber und tippte damit auf Streeters Krankenakte, die im vergangenen Vierteljahr erheblich angeschwollen war.

»Irgendwann passiert eben alles zum ersten Mal«, sagte Streeter.

Donnerstagabend in Derry; Abenddämmerung vor einer Sommernacht. Die untergehende Sonne warf ihre verträumten roten Strahlen über die perfekt angelegten, gemähten und bewässerten eineinviertel Hektar Land, die Tom Goodhugh »unser alter Garten hinter dem Haus« zu nennen die Frechheit besaß. Streeter saß in einem Gartensessel auf der Terrasse und hörte Geschirr klappern und Janet und Norma lachen, während sie den Geschirrspüler einräumten.

Garten? Das ist kein Garten; so stellt sich ein Shopping-Channel-Fan das Paradies vor.

Es gab sogar einen Brunnen, in dessen Mitte eine Kindergestalt aus Marmor stand. Irgendwie war es dieser Cherub mit nacktem Hintern (und natürlich pissend), der Streeters Auge am meisten beleidigte. Bestimmt war er Normas Idee gewesen - sie war noch mal auf dem College gewesen, um

Und wenn man vom Teufel sprach (oder vom Elvid, wenn einem das besser gefällt, dachte Streeter), trat der Müllkönig in Person auf - mit den Hälsen zweier Flaschen Spotted Hen Microbrew, auf denen Wasserperlen standen, zwischen den Fingern der linken Hand. Aufrecht und schlank in einem offenen gestreiften Hemd und verblichenen Jeans, sein schmales Gesicht von der sinkenden Sonne perfekt ausgeleuchtet, hätte Tom Goodhugh einer Anzeige für Bier entstiegen sein können. Streeter sah sogar den Werbetext vor sich: Leben Sie das gute Leben, greifen Sie nach einem Spotted Hen.

»Ich dachte, du würdest noch eines wollen, nachdem deine schöne Frau gesagt hat, dass sie fährt.«

»Danke.« Streeter nahm eine der Flaschen, setzte sie an die Lippen und trank. Angeberbier oder nicht, es war gut.

Als Goodhugh sich setzte, kam Jacob der Footballspieler mit einem Teller Käse und Crackern heraus. Er war so breitschultrig und gut aussehend, wie Tom damals gewesen war. Bestimmt sind alle Cheerleader scharf auf ihn, dachte Streeter. Wahrscheinlich muss er sie mit einem verdammten Stock abwehren.

»Mama denkt, die würdet ihr vielleicht wollen«, sagte Jacob.

»Danke, Jake. Fährst du weg?«

»Bloß für kurze Zeit. Will nur mit ein paar Jungs in die Barrens zum Frisbeespielen, bis es zu dunkel wird, danach lernen.«

»Bleibt auf dieser Seite. Drüben gibt es Giftefeu, seit der ganze Scheiß nachgewachsen ist.«

»Ist gut, das wissen wir. Denny hat es letztes Jahr erwischt, und bei ihm war es so schlimm, dass seine Mutter dachte, er hätte Krebs.«

»Autsch!«, sagte Streeter.

»Fahr vorsichtig, Sohn. Nicht rasen.«

»Versprochen.« Der Junge legte einen Arm um seinen Vater und küsste ihn mit einer Ungeniertheit auf die Wange, die Streeter deprimierend fand. Tom besaß nicht nur Gesundheit, eine noch immer hinreißende Frau und einen lachhaft großen Garten, in dem ein pissender Cherub stand; er hatte auch einen gut aussehenden achtzehnjährigen Sohn, der sich nichts dabei dachte, seinem Dad einen Abschiedskuss zu geben, bevor er mit seinen besten Kumpels loszog.

»Er ist ein guter Junge«, sagte Goodhugh liebevoll, während er zusah, wie Jacob die Stufen hinaufging und im Haus verschwand. »Lernt fleißig und schreibt gute Noten - anders als sein Alter. Zu meinem Glück hatte ich dich.«

»Zu unser beider Glück«, sagte Streeter. Er lächelte, tat ein Stück Brie auf ein Triscuit und schob es in den Mund.

»Tut mir gut, dich essen zu sehen, Kumpel«, sagte Goodhugh. »Norma und ich haben uns schon gefragt, ob mit dir irgendwas nicht in Ordnung ist.«

»Hab mich nie besser gefühlt«, sagte Streeter und trank noch etwas von dem wohlschmeckenden (und zweifellos teuren) Bier. »Aber ich habe vorn etwas Haar verloren. Jan sagt, dass ich dadurch dünner aussehe.«

»Das ist etwas, worüber sich die Ladys keine Sorgen zu machen brauchen«, sagte Goodhugh und fuhr sich mit einer Hand durch die eigenen Locken, die so voll und üppig wie damals mit achtzehn waren. Nicht mal im Geringsten grau meliert. An einem guten Tag konnte Janet Streeter wie vierzig aussehen, aber im roten Schein der untergehenden Sonne sah der Müllkönig wie Mitte dreißig aus. Er rauchte nicht, trank nur mäßig und hielt sich in einem Studio fit,

O Mann, der alles besitzt, dein Name ist Goodhugh, dachte Streeter und lächelte seinen alten Freund an.

Sein alter Freund erwiderte das Lächeln und berührte den Hals von Streeters Flasche mit dem seiner Bierflasche. »Das Leben ist gut, findest du nicht auch?«

»Sehr gut«, bestätigte Streeter. »Lange Tage und angenehme Nächte.«

Goodhugh zog die Augenbrauen hoch. »Wo hast du das her?«

»Weiß ich nicht mehr«, sagte Streeter. »Aber es stimmt, oder?«

»Wenn das stimmt, verdanke ich viele meiner angenehmen Nächte dir«, sagte Goodhugh. »Ich denke oft, alter Kumpel, dass ich dir mein Leben verdanke.« Er trank seinem parkartigen Garten zu. »Zumindest die Filetstücke.«

»Ach komm, du bist ein Selfmademan.«

Goodhugh senkte die Stimme und sprach in vertraulichem Ton weiter. »Willst du die Wahrheit hören? Die Frau hat diesen Mann gemacht. In der Bibel steht: ›Wer kann eine gute Frau finden? Denn ihr Preis steht über Rubinen.‹ Jedenfalls irgendwas in dieser Art. Und du hast uns miteinander bekanntgemacht. Weiß nicht, ob du dich daran erinnerst.«

Streeter erinnerte sich nicht nur daran, sondern hätte am liebsten die Bierflasche auf der Terrasse zerschlagen und den gezackten Hals seinem alten Freund in die Augen gerammt. Stattdessen lächelte er, trank noch einen kleinen Schluck und stand dann auf. »Muss mal wohin, glaube ich.«

»Bier kauft man nicht, man mietet es nur«, sagte Goodhugh ernst … dann brach er in Lachen aus. Als hätte er das ganz spontan selbst erfunden.

»Wahrere Worte et cetera«, sagte Streeter. »Entschuldige mich bitte.«

»Du siehst wirklich besser aus«, rief Goodhugh ihm nach, als Streeter die Stufen hinaufging.

»Danke«, sagte Streeter. »Alter Kumpel.«

Er schloss die Toilettentür, drückte den Verriegelungsknopf hinein, machte Licht und öffnete - zum ersten Mal in seinem Leben - das Medizinschränkchen im Haus anderer Leute. Der erste Gegenstand, auf den sein Blick fiel, munterte ihn gewaltig auf: eine Tube mit dem Shampoo Just for Men. Dahinter standen einige Medizinfläschchen.

Leute, die ihre Medikamente in einem Schränkchen im Gästeklo lassen, provozieren nur Ärger, dachte Streeter. Nicht dass etwas Sensationelles zu finden gewesen wäre: Norma hatte ein Asthmamedikament; Tom nahm ein Mittel gegen Bluthochdruck - Atenolol - und benutzte irgendeine Pflegecreme.

Das Atenolol-Fläschchen war halb voll. Streeter schüttelte eine Tablette heraus, steckte sie in die Uhrentasche seiner Jeans und betätigte die WC-Spülung. Als er die Toilette verließ, fühlte er sich wie ein Mann, der sich eben über die Grenze eines fremden Landes geschlichen hat.

Der folgende Abend war wolkig, aber George Elvid saß wieder unter dem gelben Schirm und sah sich auf seinem tragbaren Fernseher Inside Edition an. Der Aufmacher war eine Story über Whitney Houston, die verdächtig stark abgenommen hatte, kurz nachdem sie einen riesigen neuen Plattenvertrag unterschrieben hatte. Elvid tat dieses Gerücht ab, indem er mit den pummeligen Fingern schnalzte, und betrachtete Streeter lächelnd.

»Wie fühlen Sie sich, Dave?«

»Besser.«

»Ja?«

»Ja.«

»Erbrechen?«

»Heute nicht.«

»Hungrig?«

»Wie ein Wolf.«