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Im Dezember schickte Streeter dem Überkonfessionellen Kinderfonds einen Scheck über etwas mehr als fünfzehntausend Dollar. In seiner Steuererklärung setzte er diesen Betrag als Spende ab.

Im Jahr 2003 schaffte Justin Streeter es an der Brown University auf die Liste des Dekans und erfand - nur so zum Spaß - ein Computerspiel, das er »Walk Fido Home« nannte. Zweck des Spiels war es, mit seinem angeleinten Hund aus dem Einkaufszentrum zurückzukommen und dabei Kamikazefahrern, Gegenständen, die von Balkonen im zehnten Stock fielen, und einer Horde verrückter alter Ladys auszuweichen, die sich Hundekiller-Omas nannten. Streeter erschien das als Witz (und Justin versicherte ihnen, es sei satirisch gemeint), aber Games, Inc., warf einen Blick darauf und zahlte ihrem gut aussehenden, gutmütigen Sohn eine dreiviertel Million Dollar für die Rechte. Plus Tantiemen. Jus kaufte seinen Eltern zwei identische Geländewagen Toyota Pathfinder, rosa für die Lady, blau für den Gentleman. Janet weinte und umarmte ihn und nannte ihn einen törichten, leichtsinnigen, großzügigen und absolut wundervollen Jungen. Streeter nahm ihn in Roxie’s

Im Oktober kam Carl Goodhughs Mitbewohner von einer Vorlesung am Emerson College zurück und fand Carl in der Küche ihrer Wohnung auf dem Bauch liegend vor, während das gegrillte Käsesandwich, das er sich hatte zubereiten wollen, noch in der Bratpfanne rauchte. Trotz seiner erst zweiundzwanzig Jahre hatte Carl einen Herzanfall erlitten. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten einen angeborenen Herzfehler - irgendwas mit einer zu dünnwandigen Arterie -, der bis dahin unentdeckt geblieben war.

Carl starb nicht; sein Mitbewohner hatte ihn gerade noch rechtzeitig aufgefunden und mit Herz-Lungen-Massage reanimiert. Aber sein Gehirn war durch den Sauerstoffmangel geschädigt, und der intelligente, gut aussehende, sportliche junge Mann, der vor nicht sehr langer Zeit mit Justin Streeter Europa bereist hatte, war nur noch ein schlurfender Schatten seiner selbst. Er war inkontinent, verirrte sich, wenn er weiter als ein, zwei Straßen von zu Hause entfernt war (er war wieder zu seinem noch trauernden Vater gezogen), und seine Sprache war ein undeutliches Plärren, das nur Tom verstand. Goodhugh engagierte einen Betreuer für ihn, der Physiotherapie durchführte und dafür sorgte, dass Carl immer trocken und sauber war. Alle zwei Wochen machte er mit Carl einen »Ausflug«. Ihr häufigstes Ziel war das Wishful Dishful Ice Cream, wo Carl immer ein Pistazieneis bekam, das er sich ins ganze Gesicht schmierte. Anschließend wischte sein Betreuer ihn geduldig mit Feuchtservietten sauber.

Janet hörte auf, Streeter zum Abendessen bei Tom zu begleiten. »Ich halte das nicht aus«, gestand sie ihm. »Es liegt nicht daran, wie Carl schlurft oder sich manchmal in die Hose macht … es ist der Blick in seinen Augen, als würde er sich erinnern, wie er war, und nicht genau wissen, wie hoffnungsvoller Ausdruck, der mir das Gefühl gibt, das ganze Leben sei ein Witz.«

Streeter wusste, was sie meinte, und dachte beim Abendessen mit seinem alten Freund (seit Norma nicht mehr da war, gab es meistens Take-away-Gerichte) oft über diese Vorstellung nach. Ihm machte es Spaß, Tom dabei zuzusehen, wie er seinen behinderten Sohn fütterte, und er genoss den hoffnungsvollen Ausdruck auf Carls Gesicht. Er schien zu besagen: »Das ist alles nur ein Traum, den ich habe, und ich werde bald aufwachen.« Jan hatte recht, das war ein Witz, aber irgendwie ein guter Witz.

Wenn man richtig darüber nachdachte.

Im Jahr 2004 bekam May Streeter einen Job beim Boston Globe und erklärte sich zum glücklichsten Mädchen der USA. Justin Streeter entwickelte »Rock the House«, das ein Dauerseller wurde, bis »Guitar Hero« es obsolet machte, aber inzwischen war Jus längst dabei, eine Kompositionssoftware namens »You Moog Me, Baby« zu entwickeln. Streeter selbst wurde zum Leiter seiner Bankfiliale ernannt, was ein Sprungbrett zu einem Regionalposten sein konnte. Er flog mit Janet nach Cancún, wo sie sich fabelhaft amüsierten. Sie fing an, ihn »mein Schmusehäschen« zu nennen.

Toms Chefbuchhalter bei Goodhugh Waste Recycling unterschlug zwei Millionen Dollar und verschwand mit unbekanntem Ziel. Die anschließende Buchprüfung zeigte, dass das Unternehmen finanziell auf sehr wackligen Beinen stand; diese Ratte von einem Buchhalter hatte anscheinend seit Jahren an dem Käse geknabbert.

Geknabbert?, dachte Streeter, als er die Meldung in den Derry News las. Jedes Mal kräftig reingebissen dürfte eher stimmen.

Tom sah nicht mehr wie Mitte dreißig, sondern wie sechzig aus. Und das schien er zu wissen, weil er aufgehört hatte, sich das Haar zu färben. Streeter war entzückt, als er sah, dass es unter der künstlichen Farbe nicht weiß geworden war; Goodhughs Haar war so stumpf und glanzlos grau wie Elvids Schirm, als er ihn zusammengerollt hatte. Die Haarfarbe, überlegte Streeter sich, der alten Männer, die man auf Parkbänken sitzen und die Tauben füttern sieht. Nennen wir sie einfach Just for Losers.

Im Jahr 2005 lernte Jacob der Footballspieler, der in der untergehenden Firma seines Vaters arbeitete, statt aufs College zu gehen (an dem er mit einem vollen Sportstipendium hätte studieren können), ein Mädchen kennen und heiratete es. Eine muntere kleine Brünette namens Cammy Dorrington. Das Ehepaar Streeter war sich darüber einig, es sei eine schöne Feier gewesen, obwohl Carl Goodhugh die ganze Zeit gejohlt, gebrabbelt und gegurgelt hatte und obwohl Goodhughs Älteste - Gracie - beim Hinausgehen auf der Treppe vor der Kirche über den Saum ihres Kleides stolperte, stürzte und sich einen doppelten Beinbruch zuzog. Bis dahin hatte Tom Goodhugh fast wie früher ausgesehen. Mit anderen Worten: glücklich. Streeter neidete ihm das bisschen Glück nicht. Er vermutete, dass selbst arme Sünder im Fegefeuer gelegentlich einen Schluck Wasser bekamen, und sei es nur, damit sie den ganzen Schrecken ungestillten Dursts würdigen konnten, wenn er wieder einsetzte.

Die Flitterwöchner flogen nach Belize. Wetten, dass es dort die ganze Zeit regnet, dachte Streeter. Das tat es zwar nicht, aber Jacob verbrachte den größten Teil der Woche in einem heruntergekommenen Krankenhaus, litt an einem heftigen Brechdurchfall und kackte in Papierwindeln. Er hatte nur abgefülltes Wasser getrunken, sich aber ein einziges

Im Irak fielen über achthundert US-Soldaten. Pech für diese Jungs und Mädels.

Tom Goodhugh bekam Gicht, begann zu humpeln, fing an, einen Stock zu benutzen.

Der diesjährige Scheck für den Überkonfessionellen Kinderfonds war verdammt hoch, aber Streeter reute das viele Geld nicht. Geben war seliger denn Nehmen. Das sagten alle guten Leute.

Im Jahr 2006 erkrankte Toms Tochter Gracie an Eiterfluss und verlor sämtliche Zähne. Außerdem verlor sie den Geruchssinn. An einem Abend kurz danach, bei Goodhughs und Streeters wöchentlichem Dinner (bei dem die beiden allein waren; Carls Betreuer war mit seinem Schützling auf einem »Ausflug«), brach Tom Goodhugh unvermittelt in Tränen aus. Statt Microbrews trank er jetzt Bombay Sapphire Gin und war ziemlich betrunken. »Ich verstehe nicht, was mit mir passiert ist!«, schluchzte er. »Ich komme mir vor wie … ich weiß nicht … wie der gottverdammte Hiob

Streeter umarmte und tröstete ihn. Er erklärte seinem alten Freund, dass die Wolken immer aufziehen, sich aber früher oder später wieder verziehen.

»Na ja, diese Wolken hängen schon beschissen lange hier!«, rief Goodhugh aus und hämmerte mit der geballten Faust auf Streeters Rücken. Aber das störte Streeter nicht. Sein alter Freund war nicht mehr so stark wie früher.