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Als er sich Janet zuwandte, sah er, dass sie weinte. Er drehte ihr Kinn zu sich her und küsste die Tränen feierlich weg. Davon musste sie lächeln.

»Was hast du, Schatz?«

»Ich habe an die Goodhughs gedacht. Ich habe nie eine Familie gekannt, die eine solche Pechsträhne hatte. Pech?« Sie lachte humorlos. »Desaster wäre richtiger!«

»Ich kenne auch keine«, sagte er, »aber so was passiert ständig. Eine der bei dem Anschlag in Mumbai getöteten Frauen war schwanger, hast du das gewusst? Ihr Zweijähriger hat überlebt, wäre aber fast totgeschlagen worden. Und …«

Sie legte ihm zwei Finger auf die Lippen. »Pst! Nichts mehr davon. Das Leben ist nicht fair. Das wissen wir.«

»Doch, das ist es!« Streeter sprach ernst. Im Licht der untergehenden Sonne erschien sein Gesicht rosig gesund. »Sieh bloß mich an. Es hat eine Zeit gegeben, da hättest du nie geglaubt, dass ich das Jahr 2009 erleben würde, oder?«

»Ja, aber …«

»Und unsere Ehe, weiter stark wie eine eichene Tür. Oder täusche ich mich?«

Sie schüttelte den Kopf. Er täuschte sich nicht.

»Du hast angefangen, freiberuflich für die Derry News zu schreiben, May macht beim Globe Karriere, und unser Sohn der Computerfreak ist mit fünfundzwanzig ein Medienmogul.«

Sie begann wieder zu lächeln. Das erleichterte Streeter. Er hasste es, sie deprimiert zu sehen.

»Das Leben ist fair. Jeder von uns wird neun Monate lang im Becher durchgeschüttelt, dann fallen die Würfel. Manche Leute kriegen lauter Siebener. Andere Leute werfen leider nur zwei Einser. Aber so ist die Welt eben.«

Sie schlang die Arme um ihn. »Ich liebe dich, Schatz. Du siehst überall das Positive.«

Streeter zuckte bescheiden mit den Achseln. »Das Wahrscheinlichkeitsgesetz begünstigt Optimisten, das würde dir jeder Banker sagen. Letztlich gleichen die Dinge sich doch wieder aus.«

Die Venus erschien über dem Flughafen und funkelte vor dem dunkler werdenden Blau.

»Wünsch dir was!«, verlangte Streeter.

Janet schüttelte lachend den Kopf. »Was sollte ich mir wünschen? Ich habe alles, was ich will.«

»Ich auch«, sagte Streeter, und dann wünschte er sich mit fest auf die Venus gerichtetem Blick mehr davon.

EINE GUTE EHE

 1

Das Einzige, wonach in lockerer Unterhaltung niemand fragt, dachte Darcy in den Tagen nach ihrem Fund in der Garage, war Folgendes: Wie ist Ihre Ehe? Die Leute fragten stattdessen: Wie war Ihr Wochenende? und Wie war Ihr Trip nach Florida? und Wie geht’s gesundheitlich? und Was machen die Kinder? Manchmal fragten sie wohl auch: Wie geht’s, wie steht’s? Aber niemand fragte: Wie ist Ihre Ehe?

Gut, hätte sie vor jener Nacht auf diese Frage geantwortet. Alles bestens.

Sie war in dem Jahr, in dem John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde, als Darcellen Madsen (Darcellen, ein Name, den nur Eltern, die von einem frisch gekauften Buch mit Kindernamen fasziniert waren, lieben konnten) auf die Welt gekommen. Sie wuchs in Freeport, Maine, auf, als es noch eine Kleinstadt war, kein bloßes Anhängsel von L. L. Bean’s, Amerikas erstem Superstore, und einem halben Dutzend weiterer übergroßer Einzelhandelsgeschäfte, die sich »Outlets« nannten (als wären sie Gullyabflüsse statt Verkaufsstellen). Sie besuchte die Freeport High School, dann die Addison Business School, wo sie eine Sekretärinnenausbildung erhielt. Angestellt wurde sie von der Firma Joe Ransome Chevrolet, die bei ihrem Ausscheiden im Jahr 1986 der größte Autohändler Portlands war. Sie war farblos, lernte aber von zwei etwas kultivierteren Freundinnen genügend Make-up-Tricks, um sich an Werktagen hübsch zu machen und an Freitag- und Samstagabenden, wenn sie

Im Jahr 1982 heuerte Joe Ransome eine Steuerberatungsfirma aus Portland an, die ihm helfen sollte, seine kompliziert gewordene steuerliche Situation zu klären (»Die Art Problem, die man gern hätte«, hörte Darcy ihn zu einem der Seniorverkäufer sagen). Zwei Männer mit Aktenkoffer kamen heraus; der eine alt, der andere jung. Beide trugen eine Brille und konservative Anzüge; beide kämmten ihr Haar auf eine Weise aus der Stirn zurück, die Darcy an die Fotos in MEMORIES OF’54 erinnerte, das Highschool-Jahrbuch ihrer Mutter mit dem Bild (in Blindprägung) eines Jungen, der als Cheerleader mit einem Megafon am Mund den Kunstlederband schmückte.

Der jüngere Steuerberater war Bob Anderson. Sie kam am zweiten Tag seiner Arbeit im Haus mit ihm ins Gespräch und erkundigte sich im Lauf der Unterhaltung, ob er irgendwelche Hobbys habe. Ja, sagte er, er sei Numismatiker.

Er wollte ihr erklären, was das sei, aber sie sagte: »Ich weiß Bescheid. Mein Vater sammelt Lady-Liberty-Dimes und Büffelkopf-Nickels. Er sagt, dass sie sein numismatisches Steckenpferd sind. Haben Sie auch ein Steckenpferd, Mr. Anderson?«

Er hatte eines: Weizen-Pennys. Seine größte Hoffnung war es, eines Tages auf einen Cent aus dem Jahr 1955 mit Doppeldatum zu stoßen, der …

Aber auch das wusste sie. Diese Münze mit Doppeldatum war eine Fehlprägung. Eine wertvolle Fehlprägung.

Der junge Mr. Anderson, der mit dem dichten, sorgfältig gescheitelten braunen Haar, war von dieser Antwort entzückt. Er forderte sie auf, ihn Bob zu nennen. Später beim Lunch - den sie auf einer Bank hinter der Karosseriewerkstatt Ein gutes Stück zu einem fairen Preis war eine Redewendung, die ihr in den kommenden Jahren behaglich vertraut werden würde.

Er war so farblos wie sie selbst, nur irgendein Kerl, an dem man auf der Straße vorbeigehen würde, ohne ihn zu bemerken, und würde niemals Make-up auftragen, um hübscher auszusehen … aber an diesem Tag auf der Bank trug er welches. Er errötete nämlich leicht, als er sie das fragte, eben genug, um ihn lebhafter erscheinen zu lassen und ihm etwas Farbe zu verleihen.

»Keine Münzsammlungen?«, neckte sie ihn.

Er lächelte und ließ dabei ebenmäßige Zähne sehen. Kleine Zähne, gut gepflegt und weiß. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, der Gedanke an diese Zähne könnte sie erschaudern lassen … wieso denn auch?

»Einen hübschen Satz Münzen würde ich mir natürlich ansehen«, sagte er.

»Vor allem Weizen-Pennys?« Noch immer neckend, aber nur ein bisschen.

»Die ganz besonders. Möchten Sie kommen, Darcy?«

Sie kam. Und sie kam auch in ihrer Hochzeitsnacht. Danach nicht mehr so schrecklich oft, aber doch ab und zu. Oft genug, um sich als normal und erfüllt zu empfinden.

Im Jahr 1986 wurde Bob befördert. Außerdem machte er (von Darcy ermutigt und unterstützt) einen kleinen Versandhandel für amerikanische Sammlermünzen auf. Er war von Anfang an erfolgreich und nahm ab 1990 auch Baseball-Tauschbilder

Wie ist Ihre Ehe?

Sie war gut. Eine gute Ehe. Donnie wurde 1986 geboren - sie gab ihre Arbeit auf, um ihn zu bekommen, und nahm danach keinen Job mehr an, außer dass sie bei Anderson Coins & Collectibles mithalf -, und Petra wurde 1988 geboren. Unterdessen wurde Bob Andersons dichtes braunes Haar vom Wirbel ausgehend dünn, und im Jahr 2002, als Darcys Macintosh-Computer den gesamten Inhalt ihrer Rolodex-Kartei schluckte, hatte er dort oben eine große glänzende kahle Stelle. Er experimentierte mit verschiedenen Methoden, die verbliebenen Haare drüberzukämmen, was die kahle Stelle ihrer Meinung nach nur auffälliger machte. Und er irritierte sie, indem er zwei der magischen Alles-wächst-wieder-Mittel ausprobierte - Zeug von der Sorte, die von verschlagen aussehenden Propagandisten spätnachts im Kabelfernsehen vertrieben wurde (Bob Anderson war eine Art Nachteule geworden, als er ins mittlere Alter glitt). Er erzählte ihr nicht, dass er das Zeug bestellt hatte, aber sie teilten sich ein Schlafzimmer, und Das ist Magie natürlich nie.