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»Okay«, sagte sie. »Danke für den Anruf, Donnie. Es war schön, mit dir zu reden.«

»Gleichfalls. Bestell dem alten Knaben einen schönen Gruß von mir, wenn er anruft.«

»Wird gemacht.«

»Aufrecht und die Luft schnüffelnd«, sagte Donnie und kicherte. »Wie vielen Jungpfadfindern er das wohl beigebracht hat?«

»Bestimmt allen.« Darcy öffnete den Kühlschrank, um zu sehen, ob darin zufällig ein Butterfinger lag, der gekühlt auf ihre gierigen Lippen wartete. Pech. »Eine erschreckende Vorstellung.«

»Hab dich lieb, Mama.«

»Ich dich auch.«

Sie legte auf und fühlte sich wieder gut. Und lächelte. Aber ihr Lächeln verblasste, während sie an die Arbeitsplatte gelehnt dastand.

Ein Poltern.

Als sie den schweren Karton mit den Katalogen unter die Werkbank zurückgeschoben hatte, hatte sie ein Poltern gehört. Kein Klirren oder Scheppern wie von einem dort liegenden Werkzeug, sondern ein Poltern. Irgendwie hatte es hohl geklungen.

Das ist mir egal.

Leider war dem nicht so. Das Poltern verkörperte etwas Unerledigtes. Der Karton übrigens auch. Waren darin weitere Magazine wie Bondage Bitches versteckt?

Ich will’s nicht wissen.

Richtig, richtig, aber vielleicht sollte sie es trotzdem rausbekommen. Sollte es nur das eine Magazin geben, hatte sie recht, wenn sie annahm, es handle sich um sexuelle Neugier, die durch einen einzigen Blick in eine zwielichtige (und gestörte, wie sie für sich selbst hinzufügte) Welt völlig befriedigt worden war. Gab es jedoch mehrere, konnte das noch immer in Ordnung sein - schließlich war er dabei, sie wegzuwerfen -, aber vielleicht sollte sie davon wissen.

Vor allem … dieses Poltern. Es beschäftigte sie mehr als die Sache mit den Magazinen.

Sie schnappte sich die Stablampe aus dem Besenschrank und machte sich wieder auf den Weg in die Garage. Diesmal hielt sie die Aufschläge ihres Hausmantels gleich zusammen und wünschte sich, sie hätte eine Jacke darübergezogen. Es begann wirklich kalt zu werden.

4

Darcy kniete sich hin, schob den Karton mit Katalogen beiseite und leuchtete mit der Stablampe unter die Werkbank. Im ersten Augenblick begriff sie nicht, was sie sah: zwei dunkle Linien, die die glatte Fußleiste senkrecht durchschnitten, eine etwas breiter als die andere. Dann bildete sich in ihrer Körpermitte ein Strahl aus Unbehagen, der vom Brustbein bis in die Magengrube reichte. Dies war ein Versteck.

Lass die Finger davon, Darcy. Das geht nur ihn etwas an, und um des eigenen Seelenfriedens willen solltest du es dabei belassen.

Ein guter Rat, nur war sie schon zu sehr in diese Sache verwickelt, um ihn zu beherzigen. Sie kroch mit der Stablampe in der Hand unter die Werkbank und machte sich darauf gefasst, Spinnweben zu spüren, aber es gab keine. Wenn sie das originale »Aus den Augen, aus dem Sinn«-Mädchen war, war ihr kahl werdender, Münzen sammelnder, Pfadfinder spielender Ehemann der originale Mr. Saubermann.

Außerdem ist er selbst hier druntergekrochen, so dass keine Spinnweben entstehen konnten.

Stimmte das? Das wusste sie doch nicht wirklich, oder?

Aber sie glaubte es zu wissen.

Die Spalten befanden sich an beiden Enden eines zwanzig Zentimeter langen Abschnitts der Fußbodenleiste, durch den eine senkrechte Mittelachse zu führen schien, so dass er sich drehen ließ. Sie hatte ihn mit dem Karton hinreichend angestoßen, dass er etwas aufgesprungen war, aber damit war das Poltern noch nicht erklärt. Sie drückte gegen ein Ende des Abschnitts. Es schwang nach innen, und das andere Ende kam heraus, so dass ein Versteck sichtbar wurde, das zwanzig Zentimeter breit, dreißig hoch und ungefähr

Sie griff hinein, bekam das Kästchen zu fassen - mit bösen Vorahnungen, die fast greifbar waren - und holte es heraus. Das Kästchen war die kleine Kassette aus Eichenholz, die sie ihm vor fünf oder vielleicht mehr Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Oder war es zu einem Geburtstag gewesen? Das wusste Darcy nicht mehr, nur dass sie ein guter Kauf im Kunstgewerbeladen in Castle Rock gewesen war. Ihr Deckel war mit einer handgeschnitzten Kette im Flachrelief geschmückt. Unter der Kette stand, ebenfalls in Flachrelief, der Verwendungszweck der Kassette: MANSCHETTENKNÖPFE . Bob hatte eine Menge Manschettenknöpfe, und obwohl er werktags lieber Hemden mit Knöpfmanschetten trug, waren manche davon recht hübsch. Sie erinnerte sich, dass sie gedacht hatte, diese Kassette würde ihm helfen, sie ordentlich aufzubewahren. Darcy wusste, dass das Kästchen noch eine Zeit lang auf der Kommode in seiner Hälfte des Schlafzimmers gestanden hatte, nachdem das Geschenk ausgepackt und gebührend bewundert worden war, aber sie konnte sich nicht erinnern, es in letzter Zeit gesehen zu haben. Natürlich hatte sie das nicht. Es war hier draußen, in diesem Versteck unter seiner Werkbank, und sie hätte Haus und Hof verwettet (wieder eine von Bobs Redensarten), dass sie keine Manschettenknöpfe finden würde, wenn sie den Deckel aufklappte.

Dann sieh nicht hinein.

Wieder ein guter Rat, aber sie war nun schon viel zu weit gegangen, um ihn zu beherzigen. Als sie das Holzkästchen

Lass sie leer sein. Bitte, Gott, wenn du mich liebst, lass sie leer sein.

Aber das war sie nicht. Sie enthielt drei von einem Gummiband zusammengehaltene Plastikkarten. Darcy nahm den kleinen Packen heraus und fasste ihn nur mit spitzen Fingern an - wie eine Frau einen Putzlappen anfassen würde, von dem sie befürchtet, er könnte außer Schmutz auch Keime enthalten. Dann streifte sie das Gummiband ab.

Es waren keine Kreditkarten, wie sie zunächst vermutet hatte. Obenauf lag ein Blutspenderausweis des Roten Kreuzes, der auf eine Marjorie Duvall ausgestellt war. Ihre Blutgruppe war A Rhesus positiv, ihre Region Neuengland. Darcy drehte die Karte um und sah, dass Marjorie - wer immer das war - zuletzt am 16. August 2010 Blut gespendet hatte. Vor drei Monaten.

Wer zum Teufel war Marjorie Duvall? Woher kannte Bob sie? Und weshalb hatte sie eine schwache, aber sehr deutliche Erinnerung an diesen Namen?

Die nächste Karte war Marjorie Duvalls Bibliotheksausweis für die North Conway Library, auf dem auch ihre Adresse stand: 17 Honey Lane, South Gansett, New Hampshire.

Die letzte Plastikkarte war Marjorie Duvalls Führerschein aus New Hampshire. Sie sah wie eine ganz durchschnittliche Amerikanerin Mitte dreißig aus, nicht sehr hübsch (allerdings sah auf Führerscheinfotos niemand besonders vorteilhaft aus), aber vorzeigbar. Zurückgekämmtes dunkelblondes Haar, zu einem Nackenknoten oder Pferdeschwanz zusammengefasst; auf dem Foto war das

Darcy merkte, dass sie ein trostloses wimmerndes Geräusch machte. Es war entsetzlich, einen solchen Laut aus ihrer Kehle kommen zu hören, aber sie konnte nicht damit aufhören. Und ihr Magen war durch eine Bleikugel ersetzt worden; sie zog alle ihre inneren Organe herab und dehnte sie in neue, unangenehme Formen. Sie hatte Marjorie Duvalls Gesicht in der Zeitung gesehen. Auch in den Sechsuhrnachrichten.

Mit Händen, die absolut gefühllos waren, schlang sie das Gummiband wieder um die Ausweiskarten, legte sie in die Kassette zurück und schob sie in das Versteck zurück. Sie war im Begriff, es wieder zu verschließen, als sie sich sagen hörte: »Nein, nein, nein, das stimmt nicht. Ausgeschlossen!«

War das die Stimme der Cleveren Darcy oder der Dummen Darcy? Schwer zu sagen. Sicher wusste sie nur, dass die Dumme Darcy die Kassette geöffnet hatte. Und dank der Dummen Darcy stürzte sie jetzt ins Bodenlose.

Sie holte das Kästchen wieder heraus. Dachte dabei: Das ist ein Irrtum, es muss einer sein, wir sind über die Hälfte unseres Lebens miteinander verheiratet, ich würde es wissen, ich würde es wissen. Klappte den Deckel auf. Dachte: Kann man einen anderen wirklich kennen?