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Vor diesem Abend hätte sie das fest geglaubt.

Marjorie Duvalls Führerschein lag jetzt auf dem kleinen Stapel obenauf. Zuvor hatte er unten gelegen. Darcy tat ihn dorthin. Aber welche der beiden anderen Karten hatte oben gelegen, der Blutspender- oder der Bibliotheksausweis? Das war einfach, es musste einfach sein, wenn es nur zwei Möglichkeiten gab, aber sie war zu durcheinander, um sich erinnern zu können. Sie legte den Bibliotheksausweis obendrauf und wusste gleich, dass das falsch war, weil

Sie tat sie dorthin, und als sie das Gummiband wieder um die kleine Kartenkollektion schlang, klingelte im Haus auf einmal wieder das Telefon. Das war er. Das war Bob, der aus Vermont anrief, und wäre sie in der Küche gewesen, um den Anruf entgegenzunehmen, hätte sie seine fröhliche Stimme (eine Stimme, die sie so gut kannte wie ihre eigene) fragen gehört: He, Schatz, wie geht’s dir?

Ihre Finger zuckten, und das Gummiband riss. Es flog weg, und sie schrie auf, ob aus Frustration oder Angst, konnte sie nicht sagen. Aber warum hätte sie Angst haben sollen? In siebenundzwanzig Ehejahren hatte er niemals die Hand gegen sie erhoben, außer um sie zu liebkosen. Und nur ganz wenige Male war er im Streit laut geworden.

Das Telefon klingelte noch mal … noch mal … dann brach das Klingeln mitten im Ton ab. Jetzt würde er eine Nachricht hinterlassen. Hab dich wieder verpasst! Verdammt! Ruf mich an, damit ich mir keine Sorgen mache, okay? Die Nummer ist …

Er würde auch seine Zimmernummer angeben. Bob überließ nichts dem Zufall, setzte nichts als gegeben voraus.

Was sie dachte, konnte niemals wahr sein. Es glich einer dieser monströsen Wahnvorstellungen, die manchmal grausig plausibel aus dem Bodensatz der menschlichen Psyche glitzernd auftauchten: dass ein Sodbrennen der Vorbote eines Herzanfalls war, Kopfschmerzen einen Tumor bedeuteten und Petras Sonntagnachmittagsanruf deshalb ausgeblieben war, weil sie einen Verkehrsunfall gehabt hatte und in irgendeinem Krankenhaus im Koma lag. Aber solche Wahnvorstellungen kamen gewöhnlich um vier Uhr morgens,

Sie fand es schließlich hinter dem Karton mit den Katalogen, die sie sich nie mehr ansehen wollte. Darcy steckte es ein, wollte aufstehen, um ein anderes zu suchen, hatte vergessen, wo sie war, und schlug sich den Kopf an der Unterseite der Werkbank an. Sie begann zu weinen.

In keiner der Werkbankschubladen fanden sich Gummibänder, und das ließ sie noch heftiger weinen. Sie hastete mit den schrecklichen, unerklärlichen Ausweiskarten in der Tasche ihres Hausmantels durch den Verbindungsgang zurück und holte ein Gummiband aus der Küchenschublade, in der sie allen möglichen halb nützlichen Scheiß aufbewahrte: Büroklammern, Bindedraht, Kühlschrankmagnete, die den größten Teil ihrer Magnetkraft verloren hatten: Einer davon, auf dem DARCY IST DER CHEF stand, war einmal eine zusätzliche Kleinigkeit von Bob zu Weihnachten gewesen.

Das Signallämpchen des Telefons auf der Arbeitsplatte blinkte stetig, um Nachricht, Nachricht, Nachricht zu melden.

Sie lief in die Garage zurück, ohne diesmal die Aufschläge des Hausmantels zuzuhalten. Die äußere Kälte spürte sie nicht mehr, weil die innere größer war. Dazu kam die Bleikugel, die ihre Eingeweide nach unten zog. Sie in die Länge zog. Darcy war sich vage bewusst, dass sie auf die Toilette musste, sogar dringend.

Nicht jetzt! Reiß dich zusammen. Stell dir vor, du wärst auf der Turnpike und hättest noch zwanzig Meilen bis zur nächsten Raststätte. Sieh zu, dass du fertig wirst. Lass alles so zurück, wie es war. Dann kannst du …

Dann konnte sie was? Alles vergessen?

Nicht sehr wahrscheinlich.

Sie schlang das Gummiband um die Ausweiskarten, merkte, dass der Führerschein irgendwie wieder obenauf gelangt war, und schalt sich eine blöde Schlampe … ein beleidigender Ausdruck, für den sie Bob geohrfeigt hätte, wenn er jemals versucht hätte, ihn ihr anzuhängen. Aber das hatte er natürlich nie getan.

»Eine blöde Schlampe, aber keine Bondage-Schlampe«, murmelte sie, und dann durchzuckte ein Krampf ihren Bauch. Sie sank auf die Knie und erstarrte in dieser Haltung, während sie darauf wartete, dass er abklang. Hätte es hier eine Toilette gegeben, wäre sie hingeflitzt, aber es gab keine. Als der Krampf nachließ - widerstrebend -, ordnete sie die Karten in der wahrscheinlich richtigen Reihenfolge an (Blutspender, Bibliothek, Führerschein) und legte sie dann in das Kästchen für MANSCHETTENKNÖPFE zurück. Kassette wieder in das Versteck. Drehbarer Fußleistenabschnitt fest angedrückt. Karton mit Katalogen dorthin zurück, wo sie über ihn gestolpert war: ein bisschen unter der Werkbank hervorstehend. Bob würde nie etwas merken.

Aber konnte sie sich dessen sicher sein? Wenn er war, was sie dachte - ungeheuerlich, dass sie an so etwas überhaupt denken konnte, wenn sie vor kaum einer halben Stunde nur ein paar Batterien für die verflixte Fernbedienung hatte holen wollen -, wenn er das war, dann war er seit langer Zeit sehr vorsichtig gewesen. Und er war umsichtig, er war pedantisch, er war der originale Mr. Saubermann, aber wenn er das war, worauf diese verflixten (nein, gottverdammten) Plastikkarten schließen ließen, musste er übernatürlich vorsichtig sein. Übernatürlich wachsam. Verschlagen.

Das war ein Wort, das sie bis zum heutigen Abend niemals mit Bob in Verbindung gebracht hatte.

»Nein«, erklärte sie der Garage. Sie schwitzte, ihr Haar klebte in unschönen Strähnen an ihrem Gesicht, sie litt Mein Mann ist nicht Beadie.«

Sie ging ins Haus zurück.

5

Sie beschloss, sich einen Tee zu machen. Tee war beruhigend. Als sie den Teekessel füllte, begann das Telefon wieder zu klingeln. Sie ließ den Kessel in den Ausguss fallen - sein Scheppern war so laut, dass sie einen kleinen Schrei ausstieß -, ging dann ans Telefon und wischte sich die nassen Hände am Hausmantel ab.

Ruhig, ruhig, ermahnte sie sich. Wenn er ein Geheimnis bewahren kann, dann kannst du das auch. Denk daran, dass es eine vernünftige Erklärung für das alles gibt …

Ach, wirklich?

… die du nur noch nicht kennst. Du brauchst Zeit, um über alles nachzudenken. Also: Ruhig.

Darcy nahm den Hörer ab und sagte munter: »Wenn du’s bist, Hübscher, dann kannst du gleich rüberkommen. Mein Mann ist verreist.«

Bob lachte. »He, Schatz, wie geht’s dir?«

»Aufrecht und die Luft schnüffelnd. Und dir?«

Darauf folgte langes Schweigen. Es fühlte sich jedenfalls lange an, obwohl es nicht länger als ein paar Sekunden gedauert haben konnte. In diesem Zeitraum hörte Darcy das irgendwie schreckliche Summen des Kühlschranks, das Wasser, das auf den Teekessel im Ausguss tropfte, und den Puls des eigenen Herzens, dessen Schläge nicht aus der Brust, sondern aus Kehle und Ohren zu kommen

»Deine Stimme klingt komisch«, sagte er. »Irgendwie ganz belegt. Alles in Ordnung, Süße?«

Sie hätte gerührt sein sollen. Stattdessen war sie verängstigt. Marjorie Duvalclass="underline" Dieser Name stand ihr nicht nur vor Augen, sondern schien wie die Neonreklame einer Bar zu blinken. Sie war einen Augenblick lang sprachlos, und zu ihrem Entsetzen schwankte die Küche, die sie so gut kannte, vor ihren Augen, als ihr abermals die Tränen kamen. Auch die krampfartige Schwere im Unterleib kehrte zurück. Marjorie Duvall. Blutgruppe A Rhesus positiv. 17 Honey Lane. Nach dem Motto: Hallo, Schatz, wie geht’s, wie steht’s, aufrecht und die Luft schnüffelnd?