Was er auch diesmal tun wird, dachte sie. Und sie wusste, dass ihre Vermutung zutreffen würde.
»Du schläfst sonst nie bei Licht, Darce. Und obwohl du dein Nachthemd anhast, trägst du darunter einen Büstenhalter, was du ebenfalls nie tust. Hast einfach vergessen, ihn auszuziehen, nicht wahr? Armer Schatz. Armes müdes Mädchen.«
Er berührte flüchtig ihre Brust, dann nahm er - Gott sei Dank - die Hand wieder weg.
»Außerdem hast du meinen Wecker umgedreht, um die Uhrzeit nicht sehen zu müssen. Du hast einen Schock erlitten, und ich bin schuld daran. Das tut mir leid, Darce. Aus tiefster Seele leid.«
»Ich habe etwas gegessen, das mir nicht bekommen ist.« Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
Er lächelte geduldig. »Du hast mein spezielles Versteck in der Garage gefunden.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Oh, du hast dich bemüht, alles so zu hinterlassen, wie du es vorgefunden hattest, aber ich bin in solchen Dingen sehr penibel, und der kleine Klebstreifen, den ich am oberen Rand der Klappe angebracht hatte, war zerrissen. Das hast du nicht gemerkt, stimmt’s? Wie denn auch? Diese Sorte Klebeband ist fest angedrückt fast unsichtbar. Und die Kassette steht zwei, drei Fingerbreit weiter links, als ich sie abgestellt habe - als ich sie immer hinstelle.«
Er streckte eine Hand aus, um abermals ihre Wange zu streicheln, und zog sie (anscheinend ohne Groll) sofort zurück, als Darcy den Kopf wegdrehte.
»Bobby, ich merke, dass du irgendeine fixe Idee hast, aber ich weiß wirklich nicht, wovon du redest. Vielleicht bist du überarbeitet.«
Er verzog die Lippen zu einer betrübten kleinen Grimasse, und seine Augen wurden tränenfeucht. Unglaublich. Sie musste sich beherrschen, um ihn nicht zu bemitleiden.
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.«
Bob seufzte. »Ich hatte auf einer langen Rückfahrt Zeit, über diese Sache nachzudenken, Schatz. Und je länger, je intensiver ich darüber nachgedacht habe, desto klarer ist mir geworden, dass tatsächlich nur eine einzige Frage beantwortet werden muss: WWDT.«
»Ich verstehe nicht …«
»Pst«, sagte er und legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen. Sie konnte Seife riechen. Er musste geduscht haben, bevor er das Motel verlassen hatte - etwas, was für Bob typisch war. »Ich werde dir alles erzählen. Ich will dir alles gestehen. Ich glaube, dass ich mir im Innersten stets gewünscht habe, alles zu bekennen.«
Und obwohl sie vielleicht noch Schlimmeres erwartete, war dies das Schrecklichste, zumindest vorerst. »Ich will nichts hören. Ich weiß nicht, welche fixe Idee dich umtreibt, aber ich will nichts davon wissen.«
»In deinem Blick lese ich etwas anderes, Schatz, und ich bin sehr gut darin geworden, die Blicke von Frauen zu deuten. Darin bin ich geradezu Experte. WWDT bedeutet: Was würde Darcy tun? In diesem Falclass="underline" Was würde Darcy tun, wenn sie mein spezielles Versteck und den Inhalt meiner speziellen Kassette fände? Ich habe dieses Kästchen übrigens immer geliebt, weil du es mir geschenkt hast.«
Er beugte sich vor und drückte ihr rasch einen Kuss auf die Stirn. Seine Lippen waren feucht. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfüllte diese Berührung ihrer Haut sie mit Abscheu, und ihr kam in den Sinn, dass sie tot sein könnte, bevor die Sonne aufging. Weil tote Frauen nichts ausplauderten. Allerdings, dachte sie, würde er möglichst dafür sorgen, dass ich nicht »leide«.
»Als Erstes habe ich mich gefragt, ob der Name Marjorie Duvall dir etwas sagen würde. Als Antwort auf diese Frage hätte ich mir ein großes altes Nein gewünscht, aber manchmal muss man Realist sein. Du bist nicht der größte Nachrichtenjunkie der Welt, aber ich habe lange genug mit dir zusammengelebt, um zu wissen, dass du die wichtigsten Meldungen im Fernsehen und in der Zeitung verfolgst. Ich habe angenommen, dass du den Namen oder zumindest das Führerscheinfoto erkennen würdest. Außerdem habe ich mich gefragt: Wird sie nicht neugierig sein, wie ich zu diesen Ausweiskarten gekommen bin? Frauen sind immer neugierig. Sieh dir Pandora an.«
Oder Blaubarts Frau, dachte Darcy. Die Frau, die einen Blick in den abgesperrten Raum warf und darin die abgeschlagenen Köpfe aller ihrer Vorgängerinnen entdeckte.
»Bob, ich schwöre dir, dass ich keine Ahnung habe, wovon du re…«
»Also habe ich nach meiner Ankunft als Erstes deinen Computer hochgefahren, Firefox geöffnet - das ist der Browser, den du immer benutzt - und mir den Verlauf angesehen.«
»Den was?«
Er schmunzelte, als wäre ihm eine besonders witzige Pointe gelungen. »Du weißt nicht einmal, was ich meine. Das habe ich mir gedacht, denn bei jeder Kontrolle war immer alles da. Du löschst ihn nie!« Und er schmunzelte erneut, so wie es ein Mann tat, wenn eine Frau eine Eigenschaft bewies, die er besonders liebenswert fand.
Darcy spürte die ersten schwachen Zornregungen. Unter diesen Umständen vielleicht absurd, aber trotzdem deutlich spürbar.
»Du kontrollierst meinen Computer? Du Schnüffler! Dreckiger Schnüffler!«
»Natürlich kontrolliere ich ihn. Ich habe einen sehr bösen Freund, der sehr schlimme Dinge tut. Ein Mann in meiner Lage muss auf dem Laufenden bleiben, was seine private Umgebung betrifft. Seit die Kinder aus dem Haus sind, besteht sie nur noch aus dir.«
Ein böser Freund? Ein böser Freund, der schlimme Dinge tat? Ihr schwindelte, aber eines war ihr nur allzu klar: Weiteres Leugnen wäre zwecklos gewesen. Sie wusste Bescheid, und er wusste, dass sie es wusste.
»Du hast dich nicht nur über Marjorie Duvall informiert.« In seiner Stimme hörte sie weder Schuldbewusstsein noch Rechtfertigungsversuche, sondern nur ein grausiges Bedauern darüber, dass es so weit gekommen war. »Du hast dich über alle informiert.« Dann lachte er und sagte: »Hoppla!«
Sie setzte sich auf und lehnte sich ans Kopfende des Betts, wodurch sich der Abstand zu ihm leicht vergrößerte. Das war gut. Abstand war gut. In all diesen Jahren hatte sie Hüfte an Hüfte, Schenkel an Schenkel mit ihm gelegen, aber jetzt war Abstand gut.
»Welcher böse Freund? Von wem redest du überhaupt?«
Er legte den Kopf schräg, Bobs Körpersprache für: Du bist begriffsstutzig, aber auf niedliche Weise. »Brian.«
Anfangs hatte sie keine Ahnung, von wem er sprach, und vermutete, das müsse ein Arbeitskollege sein. Vielleicht ein Komplize? Auf den ersten Blick erschien das kaum wahrscheinlich, denn sie hätte behauptet, Bob habe so wenig Talent dafür, Freunde zu gewinnen, wie sie selbst, aber Männer, die solche Verbrechen begingen, hatten manchmal Komplizen. Schließlich jagten auch Wölfe in Rudeln.
»Brian Delahanty«, sagte er. »Erzähl mir bloß nicht, dass du Brian vergessen hast. Ich habe dir alles über ihn erzählt, nachdem du mir erzählt hast, was Brandolyn zugestoßen ist.«
Ihr stand der Mund offen. »Dein Freund aus der Highschool? Bob, der ist tot! Er ist unter einen Lastwagen geraten, als er einen Baseball fangen wollte, und jetzt ist er tot!«
»Nun …« Bobs Lächeln wurde zaghaft. »Ja … und nein. Ich habe ihn fast ausschließlich Brian genannt, als ich dir von ihm erzählt habe, aber in der Schule habe ich ihn anders angesprochen, weil er seinen Vornamen gehasst hat. Ich habe ihn mit seinen Anfangsbuchstaben angesprochen. Ich habe ihn BD genannt.«
Sie wollte ihn fragen, was das mit dem bisherigen Thema zu tun habe, aber dann wusste sie es. Natürlich wusste sie das. BD.