Выбрать главу

Beadie.

9

Er sprach lange, und je länger er sprach, desto mehr steigerte sich ihr Entsetzen. In all diesen Jahren hatte sie mit einem Verrückten zusammengelebt, aber woher hätte sie das wissen sollen? Seine Geistesgestörtheit glich einem unterirdischen See, über dem eine Felsschicht und eine Humusdecke lagen, auf der Blumen wuchsen. Man konnte zwischen den Blumen umherspazieren, ohne jemals zu ahnen, dass die Verrücktheit da war … aber das war sie. Sie war schon immer da gewesen. Bob machte BD (der erst Jahre später, in seinen Mitteilungen an die Polizei, zu Beadie geworden war) für alles verantwortlich, aber Darcy ahnte, dass er das wider besseres Wissen tat; indem er Brian Delahanty alle Schuld zuschob, konnte er seine beiden Leben leichter auseinanderhalten und so die notwendige Maskerade beibehalten.

Zum Beispiel sei es BDs Idee gewesen, Waffen in die Schule mitzunehmen und dort Randale zu machen. Wie fasziniert waren - und sie mit in die Schule zu nehmen. Damals hat es natürlich noch keine Leibesvisitation, keine Metalldetektoren gegeben.

Wir hatten vor, uns im Laborflügel zu verbarrikadieren. Wir würden die Türen mit Ketten sichern, ein paar Leute erschießen - hauptsächlich Lehrer, aber auch ein paar Mitschüler, die wir nicht mochten - und die anderen Schüler dann durch den Notausgang am Ende des Flurs ins Freie treiben. Na ja … die meisten halt. Die Mädchen, die uns hochnäsig behandelt hatten, wollten wir als Geiseln zurückbehalten. Das alles wollten wir natürlich tun - BD wollte es tun -, bevor die Cops eintreffen konnten. Er hat Pläne gezeichnet und hatte eine Liste mit allen erforderlichen Schritten in seinem Geometrieheft. Ich glaube, dass es von ›Feueralarm auslösen, um Verwirrung zu erzeugen‹ insgesamt etwa zwanzig Schritte waren.« Er lachte glucksend. »Und sobald wir alle Zugänge gesichert hatten …«

Er bedachte sie mit leicht verschämtem Lächeln, aber sie glaubte zu wissen, dass er sich vor allem dafür genierte, wie dumm ihr ganzer Plan gewesen war.

»Na, das kannst du dir vermutlich denken. Zwei Teenager mit einem so hohen Hormonspiegel, dass wir geil

Er nickte bedächtig.

»Sie hätten gefickt, um zu leben. Da hatte BD recht.«

Er ging ganz in seiner Erzählung auf. Seine Augen waren von (grotesker, aber echter) Nostalgie getrübt. Wonach? Nach diesen verrückten Jugendträumen? Darcy befürchtete, es könnte tatsächlich so sein.

»Wir hatten auch nicht vor, wie diese Heavy-Metal-Blödmänner in Colorado Selbstmord zu verüben. Niemals! Der Laborflügel war unterkellert, und Brian meinte, dass es dort unten einen Tunnel gab. Er hat gesagt, er würde vom Lagerraum bis zu der alten Feuerwache jenseits der Route 119 führen. Brian hat gesagt, als die Schule in den Fünfzigerjahren nur vom Kindergarten bis zur achten Klasse gereicht hat, hätte dort drüben ein Park gelegen, in dem die Kinder in der Pause gespielt hätten. Der Tunnel wäre gebaut worden, damit sie auf dem Hin- und Rückweg nicht über die Straße mussten.«

Bob lachte, was sie zusammenfahren ließ.

»Ich habe ihm alles geglaubt, aber in Wirklichkeit hat er lauter Scheiß erzählt. Im folgenden Herbst war ich selbst unten, um mich umzusehen. Der Lagerraum war voller Papier und hat nach der Vervielfältigertinte gestunken, die man damals benutzt hat, aber selbst ich konnte keinen Tunnel finden, obwohl ich schon damals sehr gründlich war. Ich weiß nicht, ob er uns beide oder nur sich selbst belügen wollte; ich weiß nur, dass es keinen Tunnel gab. Wir hätten oben festgesessen - und wer weiß, vielleicht hätten wir doch Selbstmord verübt. Was Vierzehnjährige tun werden, weiß man nie, oder? Sie rollen herum wie Bombenblindgänger.«

Aber du bist schon explodiert, dachte sie. Hab ich recht, Bob?

»Vermutlich wären wir ohnehin zu feige dafür gewesen. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht hätten wir versucht, die Sache durchzuziehen. BD hat mich ganz aufgeregt gemacht, indem er davon gesprochen hat, wie wir sie erst befummeln und dann dazu zwingen würden, sich gegenseitig auszuziehen …« Er betrachtete sie ernst. »Ja, ich weiß, wie das klingt, bloß pubertäre Wichsphantasien, aber diese Mädchen waren wirklich hochnäsig. Wenn man mit ihnen reden wollte, haben sie gelacht und sind weggegangen. Dann haben sie an der Ecke der Mensa gestanden, die ganze Gänseherde, haben uns angestarrt und noch mehr gelacht. Also konnte man uns eigentlich keinen Vorwurf machen, oder?«

Er betrachtete seine Finger, die rastlos auf seinen Hosenbeinen trommelten, die sich über den Schenkeln spannten, dann sah er wieder zu Darcy auf.

»Verstehen - wirklich begreifen - musst du, wie überzeugend Brian argumentieren konnte. Er war viel schlimmer als ich. Er war echt verrückt. Wir waren sauer auf diese Mädchen, wir waren geil, uns sind alle diese Filme im Kopf herumgegangen … Bonnie und ClydeEasy Rider … Damals war eine Zeit, in der ganz Amerika rebelliert hat, vergiss das nicht, und das Ganze hat dazugehört.«

Das bezweifle ich, dachte sie.

Das Erstaunliche war, wie er es verstand, das alles fast normal klingen zu lassen, so als gehörten Vergewaltigung und Mord zu den sexuellen Phantasien jedes Heranwachsenden. Vermutlich glaubte er das auch, genau wie er an Brian Delahantys angeblichen Fluchttunnel geglaubt hatte. Oder hatte er das nicht getan? Woher sollte sie das wissen? Schließlich hörte sie sich die Erinnerungen eines Wahnsinnigen

»Jedenfalls«, sagte er schulterzuckend, »ist es nie dazu gekommen. Das war der Sommer, in dem Brian hinter einem Baseball her auf die Straße gelaufen ist und überfahren wurde. Nach der Beerdigung hat es bei ihm zu Hause Kaffee und Kuchen gegeben, und seine Mutter hat gesagt, wenn ich wollte, könnte ich in sein Zimmer hinaufgehen und etwas mitnehmen. Gewissermaßen als Andenken. Und ob ich wollte! Worauf du Gift nehmen kannst! Ich habe sein Geometrieheft mitgenommen, damit niemand darin blättern und seinen Plan für die ›Die große Baller- und Fickparty in Castle Rock‹ finden konnte. So hat er sie nämlich genannt.«

Bob lachte wehmütig, dann wurde er wieder ernst.

»Wäre ich ein gläubiger Mensch, würde ich sagen, dass Gott mich vor mir selbst gerettet hat. Und wer weiß, ob es nicht irgendetwas gibt … irgendein Schicksal … das seinen eigenen Plan für uns hat?«

»Und dieses Schicksal hätte dich dazu bestimmt, Frauen zu foltern und zu ermorden?«, sagte Darcy. Sie konnte einfach nicht anders.

Er starrte sie vorwurfsvoll an. »Sie waren hochnäsig«, sagte er mit lehrerhaft erhobenem Zeigefinger. »Außerdem war das nicht ich. Es war Beadie, der diese Sachen gemacht hat - und ich sage bewusst gemacht hat, Darce. Ich sage gemacht hat statt macht, weil das nun alles hinter mir liegt.«

»Bob … dein Freund BD ist tot. Er ist seit fast vierzig Jahren tot. Das muss dir doch bewusst sein. Ich meine, auf irgendeiner Ebene musst du es doch wissen.«

Er warf die Hände hoch: eine Geste gutwilliger Kapitulation. »Willst du es Schuldverdrängung nennen? Das würde ein Seelenklempner vermutlich tun, und meinetwegen kannst du das auch tun. Aber hör zu, Darcy!« Er war Brian. Er hat mich … na ja, mit bestimmten Ideen infiziert, sagen wir’s mal so. Von manchen Ideen kann man sich nicht mehr frei machen, sobald man sie im Kopf hat. Man kann …«

»Man bekommt die Zahnpasta nicht wieder in die Tube zurück?«

Er klatschte so laut in die Hände, dass sie fast aufgeschrien hätte. »Ja, genau! Man bekommt die Zahnpasta nicht wieder in die Tube zurück. Brian war tot, aber seine Ideen waren lebendig. Diese Ideen - sich Frauen schnappen, ihnen irgendetwas antun, welche verrückte Idee einem gerade in den Sinn kommt -, sie sind sein Geist geworden.«