»Ich wollte, wir hätten es nicht getan«, sagte er, als ich mich ihm gegenübersetzte.
»Was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen«, sagte ich. »Wie oft habe ich dir das schon erklärt, Junge?«
»Ungefähr eine Million Mal.« Er ließ einige Sekunden lang den Kopf hängen, dann sah er zu mir auf. Seine rot geränderten Augen waren blutunterlaufen. »Werden wir geschnappt? Müssen wir ins Gefängnis? Oder…«
»Nein. Ich habe einen Plan.«
»Du hattest einen Plan, dass sie keine Schmerzen haben sollte! Du siehst ja, wie der ausgegangen ist!«
Mich juckte es in der Hand, ihn dafür zu ohrfeigen, deshalb hielt ich sie mit der anderen fest. Jetzt war nicht der richtige Augenblick für gegenseitige Vorwürfe. Außerdem hatte er recht. Was schiefgegangen war, war alles meine Schuld. Bis auf die Ratten, dachte ich. Für die kann ich nichts. Konnte ich doch. Natürlich konnte ich was dafür. Wäre ich nicht gewesen, hätte Arlette jetzt am Herd gestanden, um das Abendessen zu kochen. Vermutlich hätte sie mir dauernd wegen der 70 Hektar zugesetzt, wäre aber gesund und munter gewesen, statt im Brunnen zu liegen.
Die Ratten sind bestimmt schon wieder da, flüsterte eine Stimme tief in meinem Kopf. Um weiter an ihr zu fressen. Erst verzehren sie die besten Stücke, die leckeren Stücke, die Delikatessen, und dann …
Henry griff über den Tisch und berührte meine verkrampften Hände. Ich fuhr zusammen.
»Tut mir leid«, sagte er. »Wir sitzen im selben Boot.«
Ich liebte ihn dafür.
»Wir kommen zurecht, Hank; wenn wir einen kühlen Kopf bewahren, kann uns nichts passieren. Hör mir jetzt zu.«
Er hörte zu. Irgendwann begann er zu nicken. Als ich fertig war, stellte er eine Frage: Wann würden wir den Brunnen zuschütten?
»Noch nicht«, sagte ich.
»Ist das nicht riskant?«
»Ja«, sagte ich.
Zwei Tage später, als ich ungefähr eine Viertelmeile von der Farm entfernt ein Stück Zaun ausbesserte, sah ich eine große Staubwolke, die sich vom Highway Omaha-Lincoln her auf unserer Straße näherte. Wir würden Besuch aus der Welt bekommen, der Arlette so unbedingt hatte angehören wollen. Ich stapfte zum Haus zurück, meinen Hammer durch eine Gürtelschlaufe gesteckt und mit umgebundener Zimmererschürze, in deren langer Tasche bei jedem Schritt die Nägel klirrten. Henry war nirgends zu sehen. Vielleicht war er zum Baden zur Quelle runtergegangen; vielleicht schlief er auch in seinem Zimmer.
Bis ich den Hof erreicht hatte und auf dem Hackklotz saß, hatte ich das Fahrzeug erkannt, das die lange Staubfahne hinter sich herzog: Lars Olsens Red Baby, sein Lieferwagen. Lars war der Schmied von Hemingford Home und zugleich der Milchmann des Dorfs. Gegen Bezahlung fungierte er auch als eine Art Chauffeur, und in dieser Eigenschaft war er an diesem Juninachmittag unterwegs. Der Lieferwagen kam auf den Hof gerattert und trieb George und seinen kleinen Hühnerharem in die Flucht. Noch bevor der Motor sich ganz totgekeucht hatte, stieg auf der Beifahrerseite ein dicklicher Mann in einem wallenden grauen Staubmantel aus. Als er seine Schutzbrille abnahm, waren um die Augen große (und komische) weiße Kreise zu sehen.
»Wilfred James?«
»Zu Diensten«, sagte ich und stand auf. Ich fühlte mich ganz ruhig. Weniger ruhig wäre ich vermutlich gewesen, wenn er in dem County-Ford mit dem Stern auf der Seite herausgekommen wäre. »Sie sind?«
»Andrew Lester«, sagte er. »Rechtsanwalt.«
Er streckte die Hand aus. Ich betrachtete sie.
»Bevor ich die schüttele, sollten Sie mir lieber sagen, wessen Anwalt Sie sind, Mr. Lester.«
»Gegenwärtig bin ich als Anwalt für die Farrington Livestock Company in Chicago, Omaha und Des Moines tätig.«
Ja, dachte ich, das bezweifle ich nicht. Aber ich möchte wetten, dass dein Name nicht einmal an der Tür steht. Die Bonzen in Omaha brauchen keine staubige Autofahrt auf sich zu nehmen, um sich ihr täglich Brot zu verdienen, nicht wahr? Die Bonzen legen die Füße auf den Schreibtisch, trinken Kaffee und bewundern die hübschen Fesseln ihrer Sekretärinnen.
»In diesem Fall, Sir«, sagte ich, »schlage ich vor, dass Sie die Hand einfach wegtun. Nichts für ungut.«
Genau das tat er mit einem Anwaltslächeln. Schweißbäche zogen helle Linien über seine Pausbacken, und sein Haar war von der Fahrt ganz zerzaust und verfilzt. Ich ging an ihm vorbei zu Lars hinüber, der eine Seite der Motorhaube hochgeklappt hatte und darunter an etwas herumfummelte. Er pfiff vor sich hin und schien fröhlich wie ein Vogel auf einer Telegrafenleitung zu sein. Darum beneidete ich ihn. Ich hoffte, dass Henry und ich wieder fröhliche Tage erleben würden - auf einer so vielfältigen Welt wie der unseren ist alles möglich -, aber das würde nicht im Sommer 1922 sein. Oder im Herbst.
Ich schüttelte Lars die Hand und erkundigte mich, wie es ihm gehe.
»Leidlich gut«, sagte er, »aber ausgetrocknet. Ich könnte einen Schluck vertragen.«
Ich nickte zur Ostseite des Hauses hinüber. »Du weißt, wo die Pumpe ist.«
»Klar doch«, sagte er und knallte die Motorhaube mit einem metallischen Scheppern zu, das die Hühner, die langsam zurückgekommen waren, erneut flüchten ließ. »Süß und kalt wie immer, was?«
»Das würde ich sagen«, stimmte ich zu, während ich dachte: Aber könntest du noch aus dem anderen Brunnen pumpen, Lars, würde dir der Geschmack kaum zusagen, glaub ich. »Überzeug dich selbst davon.«
Er machte sich auf den Weg zur schattigen Seite des Hauses, wo die Wasserpumpe unter dem kleinen Schutzdach stand. Mr. Lester sah ihm nach, dann wandte er sich wieder mir zu. Er hatte seinen Staubmantel aufgeknöpft. Der Anzug darunter würde in die Reinigung müssen, wenn er nach Lincoln, Omaha, Deland oder sonst wohin zurückkam, wo er wohnte, wenn er nicht in Cole Farringtons Geschäften unterwegs war.
»Ich könnte selbst einen Schluck brauchen, Mr. James.«
»Ich auch. Zäune reparieren ist heiße Arbeit.« Ich betrachtete ihn von oben bis unten. »Aber nicht so heiß, wie zwanzig Meilen in Lars’ Wagen zu fahren, möchte ich wetten.«
Er rieb sich den Hintern und lächelte sein Anwaltslächeln. Diesmal wirkte es eher so, als würde er den Tag verwünschen. Ich konnte allerdings sehen, wie sein Blick gehetzt in alle Richtungen flitzte. Man durfte diesen Mann nicht unterschätzen, nur weil er angewiesen worden war, an einem heißen Sommertag zwanzig Meilen weit aufs Land hinauszurattern. »Davon erholt meine Sitzfläche sich vielleicht nie wieder.«
An einer Stütze des Schutzdachs hing an einer Kette eine Schöpfkelle. Lars pumpte sie voll, trank sie aus, wobei sein Adamsapfel in seinem dürren, von der Sonne verbrannten
»Klar«, stimmte ich zu, »aber ich würde Sie so wenig ins Haus einladen, wie ich Ihnen die Hand schüttele.«
Lars Olsen merkte, woher der Wind blies, und sah zu, dass er zu seinem Lieferwagen zurückkam. Aber zuvor gab er Lester die Schöpfkelle. Mein Besucher trank nicht mit gierigen Zügen wie Lars, sondern mit affektierten kleinen Schlucken. Mit anderen Worten wie ein Anwalt - aber er hörte nicht auf, bevor die Schöpfkelle leer war, und auch das sah einem Anwalt ähnlich. Dann knallte die Fliegengittertür, und Henry, der seine Latzhose trug, kam barfuß aus dem Haus. Sein Blick streifte uns scheinbar völlig desinteressiert - guter Junge! -, dann tat er, was jeder aufgeweckte Farmerjunge gemacht hätte: Er sah zu, wie Lars an seinem Lieferwagen arbeitete, um mit etwas Glück in die Mysterien des Motors eingeweiht zu werden.
Ich setzte mich auf den Holzstoß, den wir vor dem Haus aufgestapelt hatten. »Ich nehme an, dass Sie geschäftlich hier sind. In Sachen meiner Frau.«
»Ganz recht.«
»Na ja, Sie haben eine Erfrischung bekommen, also sollten wir uns jetzt dranmachen. Ich habe noch viel Arbeit vor mir, und es ist schon drei Uhr nachmittags.«