Sein Auge rollte nach oben, um sie anzustarren. Aus der Nase, die ebenfalls gebrochen zu sein schien, sickerte Blut, und aus dem Mund kam noch weitaus mehr. Es strömte in einem breiten Schwall heraus. »Du hast mich geschubst«, sagte er undeutlich. »Oh, Darcy, warum hast du mich geschubst?«
»Weiß ich nicht«, sagte sie, obwohl sie dachte: Das wissen wir beide. Sie begann zu weinen. Dass sie weinte, war nur natürlich: Er war ihr Mann, und er war schwer verletzt. »O Gott, ich weiß es nicht. Irgendwas ist über mich gekommen. Tut mir leid. Beweg dich nicht, ich rufe die 911 an, damit sie einen Krankenwagen schicken.«
Sein linker Fuß scharrte über den Boden. »Gelähmt bin ich nicht«, sagte er. »Gott sei Dank nicht. Aber es tut weh!«
»Ich weiß, Schatz.«
»Ruf den Krankenwagen! Schnell!«
Sie ging in die Küche, sah kurz zu dem Telefon in seiner Ladestation hinüber und öffnete dann den Schrank unter dem Ausguss. »Hallo? Hallo? Ist dort die 911?« Sie griff nach der Schachtel Plastikbeutel - die mit den großen, in denen sie sonst immer die Reste von Roastbeef oder Geflügel aufbewahrte - und zog einen heraus. »Hier ist Darcellen Anderson, ich rufe aus der 24 Sugar Mill Lane in Yarmouth an! Haben Sie das?«
Sie zog eine Schublade auf und nahm ein Geschirrtuch von dem dort liegenden Stapel. Sie weinte noch immer. Sie hat nah am Wasser gebaut, hatte man in ihrer Kindheit von solchen Leuten gesagt. Weinen war gut. Sie musste weinen, und das nicht nur, weil es später besser aussehen würde. Er war ihr Mann, er war verletzt, sie musste weinen. Sie erinnerte sich an früher, als er noch volles Haar gehabt hatte. Sie erinnerte sich an seinen eleganten Breakaway, als sie zu »Footloose« getanzt hatten. Er hatte ihr zu jedem Geburtstag rote Rosen geschenkt. Das hatte er nie vergessen. Sie waren auf den Bermudas gewesen, wo sie vormittags geradelt waren und nachmittags miteinander geschlafen hatten. Sie hatten ein gemeinsames Leben aufgebaut, und nun war dieses Leben vorüber, und sie musste weinen. Sie wickelte sich das Geschirrtuch um die Hand, dann stopfte sie die Hand in den Plastikbeutel.
»Ich brauche einen Krankenwagen. Mein Mann ist die Treppe runtergefallen. Ich befürchte, dass er sich einen Halswirbel gebrochen hat … Ja! Ja! Sofort!«
Dann kam sie mit hinter dem Rücken gehaltener Hand auf den Flur zurück. Sie sah, dass er etwas weiter von der Treppe entfernt lag; er schien auch versucht zu haben, sich auf den Rücken zu wälzen, aber das war ihm nicht gelungen. Sie kniete neben ihm nieder.
»Ich bin nicht gefallen«, sagte er. »Du hast mich geschubst. Warum hast du mich geschubst?«
»Wegen Robert Shaverstone, glaube ich«, sagte Darcy und brachte ihre hinter dem Rücken gehaltene Hand zum Vorschein. Sie weinte jetzt heftiger als je zuvor. Er sah den Plastikbeutel. Er sah die darin steckende Hand mit dem zusammengeknüllten Geschirrtuch. Er begriff, was sie vorhatte. Vielleicht hatte er das selbst schon einmal getan. Das war sogar wahrscheinlich.
Er begann zu kreischen … nur waren seine Schreie keine richtigen Schreie. Sein Mund war voller Blut, und mit dem Kehlkopf schien irgendetwas nicht in Ordnung zu sein, weshalb die Laute, die er hervorbrachte, eher dumpfe Knurrlaute als wirkliche Schreie waren. Sie schob ihm den Plastikbeutel zwischen die Lippen und weiter tief in den Mund. Bei dem Sturz waren einige seiner Zähne abgebrochen, und sie konnte die gezackten Stummel spüren. Falls sie sich daran verletzte, würde das sehr schwierig zu erklären sein.
Sie riss die Hand heraus, bevor er zubeißen konnte, ließ aber den Plastikbeutel mit dem Geschirrtuch zurück. Mit einer Hand packte sie sein Kinn, die andere legte sie auf seinen kahl werdenden Schädel. Das Fleisch dort war sehr warm. Unter der Kopfhaut konnte sie seinen Puls spüren. Sie drückte sein Kinn hoch und sperrte auf diese Weise den Klumpen aus Plastikfolie und Stoff in seinem Mund ein. Er versuchte sie wegzustoßen, aber er hatte nur einen Arm frei, und das war der, den er sich bei dem Sturz mehrfach gebrochen hatte. Der andere lag verdreht unter ihm. Seine Füße zuckten krampfartig über den Hartholzboden. Dabei verlor er einen der Schuhe. Aus seiner Kehle kam ein Gurgeln. Sie schob ihr Kleid bis zur Taille hoch, so dass die Beine frei waren, und machte einen Ausfallschritt nach vorn, um sich rittlings auf ihn zu setzen. Auf diese Weise konnte sie ihm vielleicht die Nase zuhalten.
Bevor sie jedoch dazu kam, erzitterte sein Brustkorb unter ihr, und sein Gurgeln verwandelte sich in tief aus der Kehle kommende Grunzlaute. Die erinnerten sie daran, wie bei ihren ersten Fahrversuchen manchmal das Getriebe geknirscht hatte, wenn sie versucht hatte, den zweiten Gang zu finden, was in dem alten Chevrolet Standard ihres Vaters manchmal nicht einfach gewesen war. Bob bäumte sich auf, und das eine Auge, das sie sehen konnte, trat aus seiner Höhle hervor und wirkte irgendwie kuhartig. Das Gesicht, das zuvor hochrot gewesen war, begann sich nun purpurrot zu verfärben. Er sank wieder zurück. Sie wartete, während sie keuchend nach Atem rang, ihr Gesicht mit Rotz und Tränen verschmiert. Das Auge rollte nicht mehr, glänzte nicht mehr in Panik. Sie glaubt, er sei t…
Bob nahm all seine Kräfte zu einem letzten titanischen aufbäumen zusammen und warf sie ab. Als er sich aufsetzte, sah sie, dass die obere Körperhälfte nicht mehr richtig zur unteren passte; er hatte sich anscheinend nicht nur das Genick, sondern auch das Rückgrat gebrochen. Sein mit dem Plastikbeutel vollgestopfter Mund war weit aufgerissen. Den Blick, mit dem er sie anstarrte, würde sie nie vergessen - aber sie würde damit leben können, wenn sie diese Sache überstand.
»Dar! Arrrrrr!«
Er fiel nach hinten. Der auf den Boden knallende Schädel knackte wie ein Ei, das aufgeschlagen wurde. Darcy kroch näher an ihn heran, aber nicht so dicht, dass sie in die Blutlache geriet. Sie hatte sein Blut an sich, und das war in Ordnung - sie hatte ihm zu helfen versucht, das war nur natürlich -, aber das bedeutete nicht, dass sie darin baden wollte. Sie setzte sich auf eine Hand gestützt auf und beobachtete ihn, während sie darauf wartete, dass sie wieder zu Atem kam. Sie achtete scharf auf jede noch so kleine
Sie gingen eilig in die Küche. Die Ermittler mussten denken, dass sie so rasch wie möglich angerufen hatte; wenn sie sahen, dass es eine Verzögerung gegeben hatte (zum Beispiel daran, dass sein Blut schon zu stark geronnen war), konnte es peinliche Fragen geben. Notfalls sage ich, dass ich ohnmächtig geworden bin, dachte sie. Das werden sie glauben, und selbst wenn sie das nicht tun, können sie es nicht widerlegen. Zumindest glaube ich nicht, dass sie das können.
Sie holte die Stablampe aus dem Besenschrank, genau wie sie es in jener Nacht getan hatte, in der sie buchstäblich über sein Geheimnis gestolpert war. Mit der Lampe ging sie zu Bob zurück, der auf dem Rücken lag und mit glasigen Augen zur Decke hinaufstarrte. Sie zog den Plastikbeutel aus seinem Mund und begutachtete ihn sorgenvoll. Falls er zerrissen war, konnte es Probleme geben - und er wies tatsächlich zwei Risse auf. Sie leuchtete ihm mit der Stablampe in den Mund und entdeckte auf der Zunge ein winziges
Genug, das reicht, Darcellen.
Aber es reichte natürlich nicht. Sie dehnte seine Backen mit den Fingern, erst die rechte, dann die linke. Und auf der linken Seite entdeckte sie einen weiteren winzigen Plastikfetzen, der an seinem Gaumen klebte. Sie holte ihn mit den Fingerspitzen heraus und ließ ihn zu dem anderen in den Beutel fallen. Gab es weitere Stücke? Hatte er welche verschluckt? Dann waren sie für sie unerreichbar, und sie konnte nur hoffen, dass sie nicht entdeckt wurden, falls irgendjemand - wer, wusste sie nicht - genügend Fragen hatte, um eine Autopsie anzuordnen.
Unterdessen verflog die Zeit.
Sie hastete - ohne richtig zu rennen - durch den Verbindungsgang in die Garage. Sie kroch unter die Werkbank, öffnete sein Spezialversteck und verstaute den mit Blut befleckten Plastikbeutel mit dem Geschirrtuch darin. Sie drückte die Verschlussklappe wieder zu, schob den Karton mit den Versandhauskatalogen davor und lief ins Haus zurück. Sie stellte die Stablampe an ihren Platz zurück. Sie griff nach dem Telefon, merkte dann, dass sie nicht mehr weinte, und stellte es in die Ladestation zurück. Sie ging durchs Wohnzimmer zur Treppe und betrachtete ihn. Sie dachte an Rosen, aber das wirkte nicht. Rosen, nicht Patriotismus, sind das letzte Mittel eines Schurken, dachte sie und war schockiert, als sie sich lachen hörte. Dann dachte sie an Donnie und Pets, die ihren Vater vergötterten, und das klappte. Sie ging weinend ans Telefon in der Küche zurück und tippte die Notrufnummer ein. »Hallo, mein Name ist Darcellen Anderson, und ich brauche einen Krankenwagen in der …«