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»Nein, der Kaffee ist gleich fertig«, sagte sie freundlich. Sie hatte Angst vor diesem alten Mann. Auch Bob hätte Angst vor ihm haben sollen, aber darüber war Bob jetzt natürlich hinaus. Dafür hatte sie gesorgt. »Vielleicht können Sie mir inzwischen erzählen, worüber Sie mit meinem Mann reden wollten.«

»Nun, Sie werden’s nicht glauben, Mrs. Anderson …«

»Nennen Sie mich einfach Darcy, ja?«

»Darcy!«, wiederholte er entzückt. »Wenn das nicht der hübscheste altmodische Name ist!«

»Danke. Nehmen Sie Sahne?«

»Schwarz wie mein Hut, so trinke ich ihn. Bloß sehe ich mich in Wirklichkeit als einen der White-Hats. Tja, das ist verständlich, nicht wahr? Als Verbrecherjäger und so. Davon habe ich dieses schlimme Bein, wissen Sie. Von einer wilden Verfolgungsjagd mit dem Auto damals im Jahr 1989. Ein Kerl hatte seine Frau und seine beiden Kinder ermordet. Solche Taten werden gewöhnlich im Affekt begangen - von einem Mann, der betrunken oder bekifft oder im Kopf nicht ganz richtig ist.« Ramsey tippte sich mit einem von Arthritis verkrümmten Zeigefinger an seinen Haarflaum. »Nicht jedoch dieser Kerl. Er hat es getan, um ihre Lebensversicherung zu kassieren. Hat versucht, die Tat als … wie sagt man gleich wieder … Hausfriedensbruch hinzustellen. Ich spare mir die Einzelheiten, aber ich habe herumgeschnüffelt und herumgeschnüffelt. Drei Jahre lang habe ich herumgeschnüffelt. Und endlich glaubte ich, genug in der Hand zu haben, um ihn verhaften zu können. ihm nicht zu erzählen, nicht wahr?«

»Vermutlich nicht«, sagte Darcy. Der Kaffee war heiß, und sie schenkte ein. Sie beschloss, ihren ebenfalls schwarz zu trinken. Und das so schnell wie möglich. Dann würde das Koffein sofort wirken und sie hellwach werden lassen.

»Danke«, sagte er, als sie ihm seine Tasse hinstellte. »Sie sind die Freundlichkeit in Person. Heißer Kaffee an einem kalten Tag - was könnte besser sein? Vielleicht gewürzter heißer Apfelwein; sonst fällt mir nichts ein. Also, wo war ich gleich wieder? Oh, ich weiß. Dwight Cheminoux. Weit oben in der County war das. Knapp südlich der Hainesville Woods.«

Darcy trank noch einen Schluck Kaffee. Sie betrachtete Ramsey über den Rand ihrer Tasse hinweg und hatte plötzlich das Gefühl, wieder verheiratet zu sein - eine lange Ehe, in vieler (aber nicht in jeder) Beziehung eine gute Ehe von der Art, die sich am besten mit einem Scherzwort beschreiben ließ: Sie wusste, dass er es wusste, und er wusste, dass sie wusste, dass er es wusste. Eine solche Beziehung war nicht viel anders, als sähe man bei einem Blick in einen Spiegel einen weiteren Spiegel und darin eine ins Unendliche fortgesetzte Reihe weiterer Spiegel. Die eigentliche Frage war jetzt, was er mit seinem Wissen anfangen würde. Was er tun konnte.

»Nun«, sagte Ramsey, indem er seine Kaffeetasse abstellte und sich unbewusst das schmerzende Bein zu reiben begann, »es war einfach so, dass ich gehofft habe, diesen Kerl provozieren zu können. Ich meine, er hatte das Blut einer Frau und zweier Kinder an den Händen, daher habe ich mich berechtigt gefühlt, mit nicht ganz sauberen Methoden zu arbeiten. Und das hat geklappt. Er ist geflüchtet, und ich habe ihn in die Hainesville Woods verfolgt, in

»Das tut mir leid. Und der Mann, den Sie verfolgt haben? Was hat er bekommen?«

Ramseys Mundwinkel gingen zu einem schmallippigen, einzigartig kalten Lächeln nach oben. Seine jungen Augen blitzten. »Den Tod, Darcy. Hat dem Staat vierzig oder fünfzig Jahre Kost und Logis in Shawshank gespart.«

»Sie sind ein regelrechter Himmelhund, nicht wahr, Mr. Ramsey?«

Statt verständnislos dreinzusehen, legte er seine missgebildeten Hände mit den Handflächen nach vorn neben den Kopf und leierte im eintönigen Singsang eines Schuljungen herunter: »›Ich verfolgt ihn die Nächte und die Tage hinab, ich verfolgt ihn durch der Jahre Bogen, ich verfolgt ihn durchs Labyrinth meiner …‹ Und so weiter.«

»Haben Sie das in der Schule gelernt?«

»Nein, Ma’am, im Jugendverband der Methodisten. Ach, das liegt schon viele Jahre zurück. Habe damit eine Bibel gewonnen, die ich im Jahr darauf im Sommerlager verloren habe. Nur habe ich sie nicht verloren; sie ist mir gestohlen worden. Können Sie sich vorstellen, dass jemand so tief sinkt, dass er eine Bibel stiehlt?«

»Ja«, sagte Darcy.

Ramsey lachte. »Kommen Sie, Darcy, nennen Sie mich einfach Holt. Bitte. Das tun alle meine Freunde.«

Bist du mein Freund? Bist du’s?

Das wusste sie nicht, aber eines stand für sie fest: Bobs Freund wäre er nicht gewesen.

»Ist dies das einzige Gedicht, das Sie auswendig können? Holt?«

»Nun, früher habe ich ›Der Tod des Taglöhners‹ aufsagen können«, sagte er bescheiden, »aber jetzt erinnere ich mich nur noch an den Teil, in dem es heißt, dass die Heimat der Ort ist, an dem sie einen aufnehmen müssen, wenn man dorthin zurückkehrt. Das ist wahr, finden Sie nicht auch?«

»Unbedingt.«

Seine hellen haselnussbraunen Augen sahen forschend in ihre. Die Intimität dieses Blicks war unanständig, als musterte er sie unbekleidet. Und angenehm, vielleicht aus demselben Grund.

»Was wollten Sie meinen Mann fragen, Holt?«

»Nun, ich hatte schon mal mit ihm gesprochen, wissen Sie, obwohl ich mir nicht sicher bin, dass er sich daran erinnern würde, wenn er noch lebte. Das liegt schon lange zurück. Wir waren beide erheblich jünger, und Sie müssen fast noch ein Kind gewesen sein, wenn man bedenkt, wie jung und hübsch Sie heute sind.«

Sie bedachte ihn mit einem eisigen Ersparen-Sie-mir-das-Lächeln, dann stand sie auf und goss sich noch einen Kaffee ein. Ihre erste Tasse war schon ausgetrunken.

»Sie wissen wahrscheinlich von den Beadie-Morden«, sagte er.

»Sie meinen den Mann, der Frauen ermordet und ihre Ausweise der Polizei schickt?« Sie hielt die Tasse völlig ruhig in der Hand und kam an den Tisch zurück. »Davon können die Zeitungen gar nicht genug bekommen.«

Er zeigte auf sie - Bobs Fingerpistolen-Geste - und blinzelte ihr zu. »Da haben Sie recht. Ja, Sir. Ich war zufällig ein bisschen mit dem Fall befasst. Damals noch nicht im Ruhestand, aber kurz davor. Ich stand in einem gewissen Ruf, jemand zu sein, der beim Herumschnüffeln gelegentlich Erfolg hat … wenn er sich auf seinen Dingsbums verließ …«

»Instinkt?«

Wieder die Fingerpistole. Wieder ein Blinzeln. »Jedenfalls schickt man mich los, damit ich allein arbeite, wissen Sie - der alte hinkende Holt zeigt seine Bilder vor, stellt seine Fragen und … na ja, er schnüffelt eben herum, wissen Sie. Ich habe immer eine Nase für solche Fälle gehabt, Darcy, und diese Fähigkeit eigentlich nie verloren. Das war im Herbst 1997, kurz nach der Ermordung einer Frau namens Stacey Moore. Kommt Ihnen der Name bekannt vor?«

»Ich glaube nicht«, sagte Darcy.

»Sie würden sich an ihn erinnern, wenn Sie die Fotos vom Tatort gesehen hätten. Ein grausiger Mord … wie die arme Frau gelitten haben muss. Aber dieser Kerl, der sich Beadie nennt, hatte eine lange Pause gemacht, über fünfzehn Jahre, und muss im Kessel viel Druck aufgebaut haben, der nur darauf wartete, explodieren zu können. Und dabei ist sie verbrüht worden.

Jedenfalls hat der damalige GSA mich auf diesen Fall angesetzt. ›Der alte Holt soll sich mal daran versuchen‹, hat er gesagt, ›er tut ohnehin nicht viel und ist dann wenigstens beschäftigt.‹ Schon damals war ich für jedermann der alte Holt. Wegen des Hinkens, würde ich vermuten. Ich habe mit ihren Freunden, ihren Nachbarn draußen an der Route 106 und ihren Arbeitskolleginnen in Waterville geredet. Oh, ich habe viel mit ihnen gesprochen. Sie war Serviererin im Restaurant Sunnyside in dieser Kleinstadt. Viele der Gäste da sind nur auf der Durchreise, weil der Turnpike ganz in der Nähe vorbeiführt, aber mich haben mehr die Stammgäste interessiert. Die männlichen Stammgäste.«