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Algis Budrys

Zwischen zwei Welten

1.

Es war fast Mitternacht. Ein heftiger Wind kam vom Fluß herüber. Die Wetterhähne auf den dunklen, alten Gebäuden zeigten nach Norden. Der verantwortliche Feldwebel der Militärpolizei hatte seine Leute zu beiden Seiten der gepflasterten Straße antreten lassen. Ein verwittertes Betontor mit schwarz-weiß gestreiftem Schlagbaum lief quer über die Fahrbahn. Das Scheinwerferlicht der MP-Superjeeps und der Regierungslimousine glitzerte auf den geöffneten, stoßsicheren Nahkampfvisieren der blanken Helme. Über die Köpfe hinweg sah man schimmernd ein Schild:

SIE VERLASSEN DIE VEREINIGTE SPHÄRE
SIE BETRETEN DIE SOWJETSOZIALISTISCHE SPHÄRE

In der Regierungslimousine saß Shaw Rogers. Neben ihm ein Mann vom Außenministerium der Alliierten Nationen. Rogers war der Chef des Geheimdienstes dieses von den Alliierten Nationen verwalteten Abschnittes der mitteleuropäischen Grenze Er wartete geduldig, während seine hellgrünen Augen in die Dunkelheit starrten.

Der Vertreter des Außenministeriums blickte auf seine elegante goldene Armbanduhr. »In einer Minute werden sie mit ihm hier sein.« Er trommelte mit den Fingern auf seiner Aktentasche. »Das heißt, wenn sie pünktlich sind.«

»Sie werden pünktlich sein«, brummte Rogers. »So halten sie es immer. Vier Monate haben sie ihn gefangengehalten, aber jetzt werden sie pünktlich sein, um ihren guten Willen zu beweisen.« Über die Schultern des schweigsamen Fahrers hinweg sah er durch die Windschutzscheibe auf das weite Tor. Die sowjetische Wache auf der anderen Seite — Slawen und stämmige Asiaten in unbetonten, gesteppten Jacken — kümmerten sich nicht um die alliierte Truppe. Sie standen um ein Feuer, das sie in einem Ölfaß vor ihrem Wachhaus angezündet hatten, und hielten ihre Hände über die wärmenden Flammen. Über ihre Schultern hingen plumpe, unhandliche Maschinenpistolen. Sie schwatzten miteinander und machten Witze, ohne auf die Soldaten jenseits der Grenze auch nur einen Blick zu werfen.

»Sehen Sie sich das an!« knurrte der Mann vom Außenministerium. »Sie scheren sich nicht im mindesten um uns. Es beunruhigt sie nicht einmal, daß wir mit einer stark bewaffneten Truppe erschienen sind.«

Der Beamte kam aus Genf, fünfhundert Kilometer von der Grenze entfernt. Rogers hingegen war schon seit sieben Jahren in diesem Abschnitt stationiert. Er zuckte die Achseln. »Wir sind mittlerweile alte Bekannte geworden. Seit vierzig Jahren gibt es diese Grenze, und die da drüben wissen genau, daß wir so wenig zu schießen anfangen wie sie. Der Krieg findet nicht hier statt.«

Er blickte wieder nach den dicht beieinanderstehenden Sowjets hinüber und dachte an einen Song, den er vor einigen Jahren gehört hatte: Gebt dem Genossen mit der Maschinenpistole das Recht, frei von der Leber weg zu sprechen, und er fragte sich, ob die auf der anderen Seite diesen Song wohl kannten. Es gab überhaupt viele Dinge auf der anderen Seite, die er hätte wissen mögen, aber nur wenig Hoffnung, sie jemals zu erfahren.

Der Krieg lag in den Aktenschränken der Welt. Geheiminformationen waren seine Waffen. Man kämpfte mit dem, was man über die anderen wußte und was man, über sie herausfand; und die anderen mit dem, was sie ihrerseits wußten und entdeckten. Man schickte Leute auf die andere Seite, oder hatte sie viele Jahre hindurch drüben aufgezogen. Dann überprüfte man sie. Nicht viele von ihnen kamen durch. Einige jedoch schafften es, und man stellte die Bruchstücke zusammen, die sie übermittelt hatten. Wenn man schlau war, erfuhr man auf diese Weise die nächsten Ziele der Sowjets.

Und diese wiederum forschten auf der anderen Seite nach. Nicht viele ihrer Agenten kamen durch — wenigstens konnte man das mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen — aber auch diese fanden heraus, was als nächster Schritt der Alliierten geplant war. Keine Seite unternahm jedoch etwas Handgreifliches. Man drang immer tiefer in das Gebiet des Gegners ein, aber je tiefer man kam, um so schwieriger wurde es. Ein kurzes Stück konnte man in die andere Seite hineinsehen, dahinter begann jedoch ein dunkler, undurchsichtiger Nebel. Man konnte also nur hoffen, daß eines Tages die Waage zuungunsten des Gegners ausschlagen werde.

Der Beamte verlor die Geduld. »Verdammte Kiste! Weshalb richteten wir Martino auch ein Laboratorium so dicht an der Grenze ein?«

»Keine Ahnung. Ich bin für Strategie nicht zuständig«, sagte Rogers belustigt.

»Aber warum haben wir nicht unsere eigene Rettungsmannschaft nach der Explosion im Labor hinübergeschickt?«

»Haben wir ja gemacht! Aber die anderen waren schneller da und haben Martina mitgenommen.« Rogers fragte sich, ob das wirklich nur Zufall gewesen war.

»Warum haben wir ihn nicht einfach wieder zurückgeholt?«

»Das geht mich nichts an. Ich bin überzeugt, daß man uns Schwierigkeiten gemacht hätte, einen Schwerverwundeten herauszuholen. Der Mann war Amerikaner und hätte sterben können, das wäre den Sowjets nur willkommen gewesen. Dann hätten sie höchstwahrscheinlich versucht, Kapital daraus zu schlagen.«

»Die Situation ist einfach zum Lachen«, meinte der Mann vom Außenministerium nach einer Weile. »Ein Mann wie Martino befindet sich in den Händen der Sowjets, und wir können nichts dagegen unternehmen. Es ist geradezu absurd.«

»Aber Sie haben eine Menge Arbeit damit, nicht wahr?«

Der Beamte wechselte das Thema. »Ich hörte, daß er durch die Explosion übel zugerichtet worden sei, und würde gern wissen, wie er das alles verkraftet.«

»Es soll ihm besser gehen.«

»Den Arm, den er verloren hat, haben sie bestimmt ersetzt. Auf die Herstellung künstlicher Glieder verstehen sie sich ausgezeichnet. In den vierziger Jahren haben sie bereits Hundeköpfe mit künstlichen Herzen am Leben erhalten.«

Merkwürdig! dachte Rogers. Ein Mann verschwindet über die Grenze, man schickt Leute aus, um ihn zu suchen, aber sie finden ihn nicht. Dann sickern einige Nachrichten durch. Man sagt, er sei tot. Hierauf heißt es, er habe einen Arm verloren, lebe jedoch. Schließlich soll er wieder gestorben sein. Dann heißt es, man habe ihn nach Novoya Moskva gebracht Oder liegt er etwa in einem städtischen Krankenhaus in der Nähe der Grenze? Niemand weiß etwas Genaues.

Plötzlich beginnen im Außenministerium Verhandlungen. Plötzlich wird ein Grenzübergang geschlossen. Drüben schießt man auf ein Verkehrsflugzeug. Hier beschlagnahmt man Fischerboote. Es geht hin und her; endlich geben sie ohne ersichtlichen Grund nach.

Und während der ganzen Zeit liegt einer unserer Leute drüben und wartet darauf, daß etwas geschieht.

»Gerüchten nach soll er das K-88-Projekt fast fertiggestellt haben«, sagte der Beamte. »Wir waren angewiesen, seine Herausgabe nicht allzu sehr zu forcieren. Sie sollten nicht merken, wie wichtig er für uns ist. Vorausgesetzt natürlich, daß sie nicht schon über das Projekt Bescheid wußten. Es ist ein verflixtes Geschäft.«

»Das glaube ich.«

»Halten Sie es für möglich, Rogers, daß sie ihn über das K-88-Projekt ausgequetscht haben?«

»Nun, sie haben drüben einen Mann namens Azarin, der verdammt tüchtig ist.«

Hinter dem großen Tor tauchten jetzt zwei Scheinwerferkegel auf. Der Wagen, zu dem sie gehörten, kam heran und hielt dann. Er erwies sich als eine Tatralimousine. Die Tür wurde aufgestoßen, während ein Posten gleichzeitig den Schlagbaum öffnete. Der Feldwebel der alliierten Soldaten ließ seine Leute Haltung annehmen.

Rogers und der Beamte des Außenministeriums stiegen aus ihren Wagen.

Eine Gestalt kletterte aus dem Tatra und kam auf das Tor zu. An der Grenze zögerte sie einen Augenblick, dann ging sie weiter.

Rogers pfiff überrascht durch die Zähne und starrte wie gebannt auf die sich nähernde Gestalt.