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Und Barbara? Barbara war aus härterem Holz, aber trotzdem glaubte er, sie ein wenig verletzt zu haben.

Das war die Situation. Sie war völlig anders, als er sich sein Leben vorgestellt hatte. Er würde alles neu erlernen müssen, bevor ein neuer, besserer Lucas Martino entstehen konnte.

Noch bevor er seine Arbeit aufnahm, hoffte er, das Problem zu lösen; aber die ersten Nachmittagskunden kamen schon zur Tür herein, und es wurde höchste Zeit für ihn, seine Tische für den Nachmittagsansturm fertig zu machen.

* * *

Kurze Zeit später stand er vor dem Auswahlkomitee des Massachusetts Technikum. Er nahm an den Vorbereitungskursen mit Erfolg teil, und auf diesem Gebiet begegnete er nie Schwierigkeiten, die er nicht lösen konnte.

In dieser Zeit traf er sich selten mit Edith, aber trotzdem zu oft, wie es ihm schien. Jedesmal, wenn er sich mit ihr traf, hoffte er, daß etwas Drastisches geschehen würde, etwas, das alles auf einmal lösen würde. Die Zeit, die sie zusammen verbrachten, war mit Spannung geladen, und es fiel ihnen schwer, oberflächlich und wenig kompliziert zu sein. Er stellte nach einiger Zeit fest, daß sie ihr Haar wachsen ließ und es offensichtlich aufgegeben hatte, es immer wieder hellblond zu färben. Sie hatte eine Stellung in der Vierzehnten Straße angenommen und lebte nicht mehr wie bisher auf Kosten ihrer Eltern. Jeden Schritt, den er tat, um ein Problem zu lösen, beschwor ein anderes herauf. Es war ihm, als stände er zwischen sich und Edith. Sie küßten sich selten, und niemals blieb er bei ihr länger als ein oder zwei Stunden.

Lucas blieb im Espresso Maggiore, bis seine Studien zuviel Zeit in Anspruch nahmen und er die Beschäftigung aufgeben mußte. Wenn nicht viele Gäste da waren, sprach er mit Barbara, aber sie waren nun nichts mehr als zwei Kollegen, die während der ruhigen Zeit des Tages versuchten, sich gegenseitig die Langeweile zu vertreiben. Ihre Themen wären beschränkt auf ihre gemeinsame Arbeit, seine Studien und ihren Verlobten, der jetzt, da man die Alliierten Nationen gegründet hatte, unter Umständen irgendwo in Australien eine andere Gruppe Männer abzulösen hatte. Niemals hatte er jemand, mit dem er sich über etwas wirklich Wichtiges hätte aussprechen können.

Im Herbst 1968 ging er nach Boston. Seit Januar hatte er nicht mehr bei seinem Onkel gearbeitet und bald die Verbindung mit ihm und Barbara verloren. Am Anfang schrieb er hier und da einen Brief an Edith, aber auch das gab er bald auf, denn es gab nichts, worüber er ihr hätte schreiben können.

Die Arbeit am Technikum war hart. Man erwartete, daß fünfzig Prozent der Aspiranten das Staatsexamen nicht bestanden. Diejenigen, die durchkommen wollten, fanden kaum Zeit zum Schlafen. Lucas verließ das Universitätsgelände so gut wie gar nicht. Nach drei Jahren Grundschulung machte er das Examen und arbeitete anschließend an seiner Doktorarbeit. Sieben Jahre lang lebte er in einem Universum von Taschenformat.

Lange bevor er sein Doktorexamen ablegte, sah er bereits die logische Kette, die einmal in dem K-88-Projekt enden sollte. Nach dem Examen wurde er sogleich einem amerikanischen Forschungsinstitut unterstellt und lebte von da ab in den verschiedensten wissenschaftlichen Reservaten, die sich alle nicht wesentlich von einem Universitätskomplex unterschieden. Er war für alle Zeit vom Militärdienst entbunden, und als er seine ersten Entwürfe für das K-88 vorlegte, gab man ihm ein eigenes Laboratorium mit dem dazugehörigen Mitarbeiterstab. Aber auch hier war er nie frei von Terminen, Tagesplänen und Sicherheitszonen. Obwohl er denken konnte, was er wollte, hatte er doch nur diese eine Welt, in der er leben durfte.

Während er noch in Boston auf der Universität war, erreichte ihn Ediths Hochzeitsanzeige. Er fügte diese neue Tatsache dem vergrabenen Problem hinzu und ließ es sorgfältig in seine alles aufnehmende Erinnerung sinken, wo es zwanzig Jahre lang liegen sollte, bevor er wieder einmal Zeit genug hatte, an seine Vergangenheit zu denken.

9.

Es wurde acht Uhr abends. Rogers legte den Hörer auf das Telefon und sah zu Finchley hinüber. »Er hat bei Nedick’s einen Kaffee getrunken und dazu ein Sandwich gegessen. Das war an der Ecke Achte Straße und Sechste Avenue. Er hat immer noch mit niemand gesprochen und sich nicht um ein Nachtquartier bemüht. Er geht immer noch spazieren.«

Immerhin hat der Kerl was gegessen, dachte Rogers. Finchley und ich dagegen bis jetzt noch nichts. Auf der anderen Seite sitzen wir beide hier gemütlich in unseren Sesseln, während dem Mann da draußen bei jedem Schritt gute zweihundertsechzig Pfund auf die ohnehin schon zerschundenen Füße fallen. Aber warum hört er dann nicht auf, herumzulaufen? Er hatte seit Sonnenaufgang in Europa nicht mehr geschlafen.

»Ich möchte gern wissen, was ihn dazu treibt«, sagte Finchley. »Ob er hinter etwas her ist? Vielleicht hofft er, auf jemanden zu stoßen?«

Rogers seufzte. »Vielleicht hat er nichts anderes vor, als uns sauer zu machen.« Er öffnete die Akte Martino, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Mit dem Finger fuhr er über die spärliche Liste von Namen. »Martino hatte nicht mehr als einen einzigen Verwandten hier in New York. Keine intimen Freunde. Mit dieser Frau hier scheint er eine Weile befreundet gewesen zu sein, während er auf der Abendhochschule war. Sie hat ihm eine Hochzeitsanzeige geschickt. Vielleicht ist hier eine Möglichkeit für uns.«

»Soll das heißen, daß dieser Mann doch Martino ist?«

»Ich habe nichts dergleichen behauptet. Er hat noch keinen Schritt in der Richtung ihrer Wohnung gemacht, obwohl er schon seit ein paar Stunden in nächster Nähe herumläuft. Wenn ich etwas sage, so sage ich, dieser Mann ist nicht Martino.«

»Würden Sie eine alte Bekannte aufsuchen, die über fünfzehn Jahre verheiratet ist?«

»Unter Umständen.«

»Womit nichts bewiesen wäre, weder das eine noch das andere.«

»Haben wir das nicht die ganze Zeit über gesagt?«

Finchley zuckte mit dem Mund. Seine Augen waren ohne jeden Ausdruck. »Und wie steht es mit diesem Verwandten?«

»Sein Onkel? Martino hat bei ihm gearbeitet. Er hatte eine Espressobar. Heute ist in dem Lokal ein Friseurgeschäft. Der Onkel hat mit dreiundsechzig Jahren noch geheiratet und ist dann nach Californien gezogen, wo er vor zehn Jahren starb. Damit ist auch der Punkt erledigt. Martino war kein großer Gesellschafter, er schloß sich keinem anderen Menschen an. Er schrieb genauso wenig ein Tagebuch oder lange Briefe, die man heute noch einsehen könnte. Er war, mit einem Wort gesagt, genau der richtige Mann für dieses Unternehmen.«

»Und dennoch«, sagte Finchley. »Wer kam sofort nach New York, ging sofort nach Greenwich Village und in die Straßen seiner Jugend? Das muß doch einen Grund haben. Aber im Augenblick zeigt er uns nur, wie schön er herumlaufen kann; immer in Kreisen, ohne Ziel. Für einen Mann wie Martino ist das außergewöhnlich.« Finchleys Stimme klang betrübt und nachdenklich.

Rogers war es müde, weiter mit Finchley zu argumentieren; er nahm den Hörer von der Gabel, und während er die Nummer wählte, sagte er: »Ich werde etwas zu essen bestellen.«

* * *

Der Drugstore an der Ecke Sechste Avenue West Siebente Straße war klein und schmal. Man konnte kaum etwas von dem ohnehin spärlichen Fußboden sehen, überall hatten Vertreter von Kosmetikfirmen, Rasierklingenkonzernen und Pinselfabrikanten ihre Reklameschilder aufgebaut. Nirgendwo konnte man die eigentlichen Wände des Raumes sehen; sie waren voll besetzt mit Waren aller Art, die der Inhaber des kleinen Geschäftes auf Lager haben mußte, wollte er nicht seine Kunden an den mächtigen Konsum am anderen Ende der Straße verlieren. Die beiden Leuchtplatten an der Decke spendeten ein so merkwürdiges Licht, daß man nie wußte, ob sie eingeschaltet waren oder nicht. In diesem Zwielicht saß zwischen einem Stapel Bücher und einem überdimensionalen Stoppelbartplakat der einzige Verkäufer und las eine Zeitung. Vor sich hatte er die Registrierkasse, so daß er so gut wie eingeschlossen war. Da es selten vorkam, daß er einmal hinter seiner Barrikade hervorkommen mußte, hatte er es sich angewöhnt, solange sitzen zu bleiben, bis ein Kunde ihn darum bat.