»Sam — mein Mann — arbeitete gerne mit seinen Händen«, sagte die Frau umständlich. »Er hat das alles selbst gemacht. Es hat viel Zeit gekostet. Jetzt ist er tot. Er ist beim Arbeiten von einem Gerüst gefallen.«
Wieder entstand eine Pause. Dann sagte der Mann: »Es tut mir leid, daß ich euch niemals aufgesucht habe, nachdem ich die Universität verließ.«
»Ich glaube, du und Sam hättet euch gut verstanden. Er war dir nicht unähnlich; er war sehr ordnungsliebend.«
»Ich glaube nicht, daß du bei mir viel davon gesehen hast.«
»Und wenn schon, ich hab’s gespürt.«
Der Mann hustete nervös. »Du siehst gut aus, Edith. Ich hoffe, daß es dir seit dem Tode deines Mannes nicht schlecht ergangen ist.«
»Nein. Ich habe gearbeitet und tue es auch heute noch. Susan geht nachmittags immer zu Bekannten, bis ich sie nach Dienstschluß dort abhole.«
»Ich wußte nicht, daß du Kinder hast.«
»Susan ist jetzt elf Jahre alt. Sie ist ein feines Mädchen. Ich bin sehr stolz auf sie.«
»Ist sie schon zu Bett?«
»O ja! Schon lange.«
»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich so spät kam. Ich werde mich bemühen, leise zu sprechen.«
»Das sollte keine Aufforderung sein zu gehen.«
»Ich … ich weiß. Aber es ist schon spät. Ich werde gleich gehen.«
»Du brauchst dich nicht gedrängt fühlen, ich gehe nie vor Mitternacht zu Bett.«
»Aber du hast doch sicher noch allerhand zu erledigen: Bügeln, Susans Butterbrote packen und was weiß ich noch?«
»Das nimmt keine zwei Minuten in Anspruch. Luke —« Die Frau schien jetzt ruhiger und gefaßter. »Es war immer so unruhig, wenn wir zusammen waren. Wir sollten diese dumme Angewohnheit nicht beibehalten.«
»Verzeih’, Edith, du hast recht. Aber, weißt du, ich konnte mich noch nicht einmal dazu bringen, dich anzurufen, um dir zu sagen, daß ich dich aufsuchen werde. Ich hab’s versucht, aber immer wieder glaubte ich, du würdest mich nicht sehen wollen. Ich habe den ganzen Tag gebraucht, um mich soweit zu kriegen.« Der Mann war offensichtlich immer noch verlegen. Er hatte, den Geräuschen nach zu urteilen, seinen Mantel noch nicht abgelegt.
»Was hast du, Luke?«
»Du mußt verstehen, es ist sehr kompliziert. Als ich in ihrem — in dem — Krankenhaus war, habe ich sehr oft über uns nachgedacht. Nicht über uns als Liebespaar — sondern als Freunde, als Menschen. Wir haben uns nie so recht kennengelernt, nicht wahr? Zumindest habe ich dich nie gekannt. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt, mit den Dingen, die mich interessierten, die ich realisieren wollte. Dir habe ich nie echtes Interesse geschenkt. Du warst für mich ein Problem, nicht ein Mensch. Und heute abend bin ich gekommen, um mich für alles dies bei dir zu entschuldigen.«
»Luke —« In der Stimme der Frau lag leichte Erregung. Man hörte, wie sie sich in ihrem Stuhl bewegte. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
»Ich weiß, daß diese Situation für dich sehr peinlich ist. Ich hätte sie geschickter handhaben sollen, feinfühliger. Aber ich habe nicht die Zeit dazu, und ich glaube, daß es fast aussichtslos ist, geschickt und feinfühlig zu sein, wenn man so aussieht wie ich.«
»Das ist überhaupt nicht wichtig«, sagte sie schnell, »Es macht mir gar nichts aus, wie du aussiehst, wenn ich nur weiß, daß du es bist. Nun, Luke, wie ist es mit einer Tasse Kaffee?«
Der Mann sprach fast stoßweise: »Danke, Edith, danke. Irgendwie können wir es nicht lassen, zueinander wie Fremde zu sein. Findest du nicht?«
»Wie kommst du darauf? Ich finde … aber vielleicht hast du doch recht. Ich werde das Wasser aufsetzen.« Man hörte sie mit schnellen Schritten in die Küche laufen.
Der Mann war jetzt allein. Er atmete tief und geräuschvoll.
»Was sagen Sie jetzt?« fragte Finchley zu Rogers gewandt. »Hört sich das an, als brüte der Geheimagent X-8 einen teuflischen Plan aus, um Genf in die Luft zu blasen?«
»Es hört sich an, als spräche ein Pennäler«, sagte Rogers.
»Sein ganzes Leben hat er hinter einer hohen Mauer verbracht. Es ist immer dasselbe. Diese Kerle wissen genug, um die ganze Erde in Stücke zu schlagen, und dabei hat es ihnen nicht erlaubt, reifer zu werden als ein sechzehnjähriger Bursche.«
»Finchley, wir sind nicht hier, um neue Regeln für den Umgang mit Wissenschaftlern aufzustellen, wir sind hier, um herauszubekommen, ob dieser Mann Lucas Martino ist oder nicht.«
»Und wir haben’s rausbekommen.«
»Wir haben nichts anderes rausbekommen, als daß ein raffinierter Kerl spielend leicht kleinste Informationen über gewisse Leute zu einem eindrucksvollen Gesprächsthema machen kann. Und daß er eine Frau an der Nase herumführt, die sein Original zwanzig Jahre lang nicht gesehen hat.«
»Sie reden, als wären Sie dabei, ihr letztes Argument zu verlieren.«
»Wie ich rede, sollte Sie überhaupt nicht interessieren!«
»Danke. Und warum glauben Sie, geht er durch dieses Fegefeuer?«
»Um irgendwo unterkriechen zu können. Um jemanden zu haben, der Botengänge für ihn erledigt, während er im Hintergrund bleibt. Mit einem Wort: um eine Operationsbasis zu haben.«
»Rogers, geben Sie denn niemals auf?«
»Vergessen Sie nicht, Finch, daß ich es mit einem Mann zu tun habe, der schlauer ist als ich.«
»Und der sehr wahrscheinlich auch mehr Gefühl hat als Sie.«
»So! Glauben Sie?«
»Natürlich nicht, Shawn. Es tut mir leid.«
Die Schritte der Frau kamen aus der Küche zurück. Sie schien die kurze Zeit dazu benutzt zu haben, um sich zu sammeln. Ihre Stimme klang überzeugter und fester als zuvor.
»Lucas, ist das heute dein erster Tag in New York?«
»Ja.«
»Und zuerst dachtest du daran, hierher zu kommen. Warum?«
»Ich weiß nicht so recht«, sagte der Mann. Es klang, als wolle er es nicht sagen. »Wie ich dir schon gesagt habe, ich habe eine Menge über uns nachgedacht. Aber ich beginne zu erkennen, daß ich nicht hätte kommen sollen.«
»Warum nicht? Ich bin sehr wahrscheinlich der einzige Mensch in New York, den du kennst; und nachdem du so lange allein gewesen bist, brauchst du jemanden, mit dem du sprechen kannst. Warum also hättest du nicht herkommen sollen?«
»Schon, aber ich weiß nicht.« Der Mann schien hilflos. »Man wird dich jetzt, nachdem ich hier war, überprüfen, deine Vergangenheit ausgraben, um endlich herauszubringen, wohin ich gehöre. Ich hoffe, daß du mir vergibst — ich würde es niemals getan haben, wenn ich gewußt hätte, daß man dir damit weh tun könnte. Aber ich glaube, ich hätte dich selbst dann besucht. Irgendwie war das andere noch wichtiger.«
»Was, Lucas?«
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.«
»Hattest du Angst, ich würde dich hassen? Warum? Wegen deines Aussehens?«
»Nein! Für so kleinlich habe ich dich nie gehalten. Bis jetzt hast du mich noch nicht einmal angestarrt oder peinliche Fragen gestellt. Nein, ich habe gewußt, daß du das niemals tun würdest.«
»Nun —« Die Stimme der Frau war jetzt ganz ruhig und milde. »Glaubtest du, ich würde dich hassen, weil du mir das Herz brachst, als du damals fortgingst?«
Der Mann antwortete nicht.
»Ich liebte dich sehr«, sagte die Frau. »Und es hat sehr weh getan, daß du es nie gemerkt hast.«
Unten im Wagen verzog Rogers sein Gesicht zu einer Grimasse. Der Techniker sah kurz auf und sagte: »Lassen Sie sich nicht von diesem Gerede umwerfen, Herr Rogers. Wir hören es immer wieder. Im Anfang war ich auch ein wenig betreten, aber bald schon wurde mir klar, daß man sich nicht zu schämen braucht, wenn man so etwas überhört. Überall auf der Welt sagen Menschen sich solche Dinge, und sie schämen sich nicht, wenn sie sich dabei gegenübersitzen.«
»Das ist genug«, sagte Finchley. »Ich denke, wir hören weiter zu.«
»Können wir«, gab der Techniker zurück, »aber wir brauchen es nicht. Wird alles auf Band aufgenommen.«