»Was, ich? Prima. Immer schön Drei bis Vier.«
»Drei bis Vier?«
Heywood grinste. »Hör’ zu, mein Täubchen, du gehst in deine Kirche und ich in meine. Wenn ich hier durch bin, bekomme ich genauso ein Pergament mit der Aufschrift Massachusetts Technikum, wie du.«
»Ja. Aber das ist doch keine Promotion —«
»Ist das alles, woran du denkst? Schön, wenn du nach dem Examen weitermachen willst; aber ich persönlich habe keine Lust, vierzig Jahre lang meine Tage in Yucca Flat abzuschwitzen und mich dann pensionieren zu lassen. Ich mache mein Examen hier und benutze es als Eintrittskarte für einen schönen, runden Posten bei der Regierung, wo ich auch vierzig Jahre herumsitzen werde, aber immerhin unter einer Klimaanlage und mit einer größeren Pension in Aussicht.«
»Und das ist alles?«
Heywood lachte. »Das ist alles, Dummkopf.«
»Deine Pläne kotzen mich an, sie hätten nicht billiger sein können. Du, mit deinem Kopf!«
Ein breites Grinsen lag auf Heywoods Gesicht. »Warum sollte ich mich hier abrackern? Auf diese Weise komme ich durch und habe genügend freie Zeit, um mich zum Beispiel mit meinem Stubenkollegen zu unterhalten. Glaub’ nur nicht, daß man hierfür kein Köpfchen braucht.«
Daß man Köpfe wie Frank auf diese Art und Weise verschwendete, war Lucas im Innersten zuwider. Er verstand ihn nicht und begann, sich von ihm zurückzuziehen. Der Gedanke, daß er ein Genie war, verlor sich ebenso schnell; und nur manchmal in seinem späteren Leben, wenn ihm etwas besonders Wichtiges gelungen war, tauchte der nutzlose Gedanke wieder auf, um dann genauso schnell wieder unterdrückt zu werden.
Lucas und Heywood blieben bis zu ihrem ersten Examen zusammen. Heywood war und blieb während dieser ganzen Zeit auch weiterhin der ideale Stubenkollege. Es schien ihm nichts auszumachen, wenn Lucas wochenlang kein Wort von sich gab und von morgens bis abends über seinen Arbeiten saß. Manchmal konnte Lucas sehen, daß Frank ruhig in einer Ecke saß und ihn beobachtete.
Nach dem Examen verließ Heywood Boston und verschwand aus Lucas’ Gesichtskreis. Einige Jahre später sagte einer seiner Lehrer zu ihm: »Diese Hypothese, über die Sie neulich sprachen, ist es wert, daß man darüber eine Arbeit schreibt. Von mir aus können Sie sich ransetzen, Martino.«
So kam es, daß Heywood die Geburt des K-88 nicht miterlebte, ja noch nicht einmal etwas von ihr wußte. Für Lucas begann mit dieser Arbeit eine weitere Periode intensivster Beschäftigung und äußerlicher Abgeschlossenheit.
11.
Edmund Starke war alt geworden. Er lebte allein in seinem Bungalow am Ende von Bridgeton. Seine Haut, unter der sich dick und bläulich die Adern drängten, war wie Leder und hing schlaff über seinen Knochen. Gleich vielen alten Männern schlief er wenig. Wenn er wach war, hockte er weltfern über wissenschaftlichen Büchern oder schrieb an einem Buch, das er »Grundzüge der Physik« nennen wollte, und von dem er glaubte, daß es sich nicht wesentlich von den vielen Grundzügen der Physik, die je geschrieben worden waren, unterscheiden würde.
An diesem Tage saß er in seinem Wohnzimmer und schrieb an dem Kapitel über Kernreaktion. Es war Abend. Draußen vor dem Eingang hörte er die Schritte eines Besuchers über den Steinweg auf die Haustür zukommen. Er sah von seiner Arbeit auf und wartete, bis es schellte. Dann raffte er seine Hausjacke zusammen und ging mit schlürfenden Schritten zur Tür.
Im Türrahmen stand ein großer Mann. Um seinen Kopf trug er einen groben Verband. Obwohl er seinen Hut tief in das Gesicht gezogen hatte, spiegelte sich das schwache Licht aus der Wohnung grell in den Gläsern einer dunklen Brille.
»Bitte?« Starkes Stimme krächzte trocken und schrill. Der Mann in der Tür schüttelte unentschlossen den Kopf.
Der Verband verrutschte ein wenig und gab den Blick auf seine dunkel, schimmernde Wange frei.
»Professor Starke?«
»Herr Starke. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich … ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern. Ich war einer Ihrer Schüler. Einer von Sechsundsechzig in Bridgetown. Mein Name ist Lucas Martino.«
»Ja, ich erinnere mich an Sie. Treten Sie ein.« Starke trat etwas zur Seite, während er die Tür aufhielt. Der Mann schritt langsam durch den schmalen Flur und wartete, bis Starke vorsichtig die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Man konnte sehen, daß der alte Mann es haßte, sich vor Durchzug hüten zu müssen. »Bitte, nehmen Sie Platz. Nein, bitte nicht dort, das ist mein Sessel. Dort drüben, wenn ich bitten darf.«
Starke war über die Unsicherheit verwundert, mit der sein Besucher sich bewegte und umständlich seinen Mantel öffnete. Er trug dicke Handschuhe und schien offenbar nicht geneigt, sie auszuziehen.
»Legen Sie Ihren Hut ab.« Langsam ließ Starke sich in seinen Sessel gleiten. »Schämen Sie sich?«
Der Mann nahm seinen Hut ab. Sein ganzer Schädel war bandagiert bis hinunter zu dem hochgeschlagenen Kragen. Er zeigte auf seinen Kopf und sagte: »Ein Unfall, verstehen Sie. Ein Betriebsunfall.«
»Das geht mich nichts an. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich weiß es nicht.« Seine Worte kamen stoßweise wie die eines Erstickenden. Es schien, als hätten seine Pläne sich nur bis an Starkes Haustür erstreckt, was dann kommen würde, hatte er nicht überlegt.
»Was haben Sie erwartet. Glaubten Sie, daß ich überrascht sein würde, Sie zu sehen? Oder daß Sie eingewickelt sind wie ein Phantom? Ich weiß, alles über Sie. Ein Mann namens Rogers war hier und hat Sie bereits avisiert.« Starke nahm seinen Kopf zurück. »So, und jetzt sitzen Sie in der Klemme. Jetzt heißt es denken. Überlegen, was zu tun ist.«
»Ich fürchtete, daß Rogers auch auf Sie kommen würde. Hat er sie belästigt?«
»Nicht im geringsten.«
»Was hat er Ihnen erzählt?«
»Er hat mir gesagt, daß Sie vielleicht nicht derjenige sind, den Sie vorgeben zu sein. Er wollte meine Meinung wissen.«
»Hat er Ihnen nicht gesagt, daß Sie mir das nicht erzählen sollen?«
»Ja, doch. Ich habe ihm gesagt, daß ich es so machen würde.«
»Sie haben sich kein bißchen geändert.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
Der Mann seufzte. »Sie glauben also, daß ich nicht Lucas Martino bin?«
»Das ist mir völlig gleichgültig. Ob Sie in meiner Klasse waren oder nicht, hat heute keine Bedeutung mehr. Wenn Sie also hier sind, um von mir irgendwelche Hilfe zu erwarten, verschwenden Sie Ihre Zeit.«
»Ich verstehe.« Der Mann hatte begonnen, seinen Hut wieder aufzusetzen.
»Sie werden noch einen Augenblick hierbleiben und sich meine Gründe anhören.«
»Was für Gründe?« In seiner Stimme lag Bitterkeit. »Sie trauen mir nicht, und das ist Grund genug.«
»Wenn Sie das annehmen, hören Sie mich besser an.«
Der Mann sank in seinen Sessel zurück. »Schön.« Er schien desinteressiert, und man hätte den Eindruck haben können, als sickerten seine Gefühle durch eine dicke Lage Watte, bevor sie einen Reflex verursachten.
»Was haben Sie von mir erwartet«, fragte Starke. »Daß ich Sie zu mir nehme? Wie lange glaubten Sie, würde das dauern? Einen Monat oder zwei? Oder vielleicht ein Jahr? Dann würden Sie einen Toten im Hause haben und immer noch nicht wissen, wohin Sie gehören. Ich bin alt, Martino — oder wer immer Sie auch sind, und das hätten Sie berechnen müssen.«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Und wenn es das nicht war, woran Sie gedacht haben, haben Sie vielleicht gedacht, daß ich Ihnen irgendeine Arbeit verschaffen könnte. Rogers hat eine solche Andeutung gemacht. War es das?«
Voller Verzweiflung hob der Mann seine Hände.
Starke nickte. »Wie kommen Sie darauf, daß ich der richtige Mann bin? Glauben Sie etwa, daß ich, nachdem ich vierzig Jahre Grundlagen gelehrt habe, mit dem neuesten Stand der Wissenschaft vertraut bin? Zu der einschlägigen Literatur habe ich keinen Zugang. Wo glauben Sie, sollten die Geräte herkommen? Woher das Geld?«