»Ich habe etwas Geld.«
»Und was glauben Sie, würden Sie erreichen, wenn Sie alle diese Einwände beantworten könnten? Dieses Land befindet sich im Krieg und würde nie unautorisierte Arbeit billigen. Oder hatten Sie etwa nicht vor, etwas Wesentliches zu machen? Hatten Sie etwa vor, Korken in eine Mausefalle zu werfen?«
Der Mann saß stumm da und strich mit den Händen über seine Knie.
»Denken Sie, Mann!«
Der Mann hob seine Hände und ließ sie wieder fallen. »Ich dachte, daß ich denke.«
»Das war ein Irrtum.« Starke beendete das Thema. »So, und wo gehen Sie jetzt hin?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Sie wissen, daß Sie meine letzte Chance waren.«
»Leben Ihre Eltern nicht hier in der Nähe? Das heißt, wenn Sie Martino sind?«
»Sie sind beide tot.« Der Mann schaute auf. »Sie lebten nicht so lange wie Sie.«
»Darum brauchen Sie mich aber nicht zu hassen. Es tut mir leid.«
»Sie hinterließen mir die Farm.« .
»Gut. Dann wissen Sie ja, wo Sie bleiben können. Haben Sie einen Wagen?«
»Nein. Ich bin mit dem Zug gekommen.«
»Eingewickelt in Ihrem Leichentuch, nicht wahr? Gut, wenn Sie nicht im Hotel übernachten wollen, nehmen Sie meinen Wagen. Er ist in der Garage. Sie können ihn morgen zurückgeben. Den Schlüssel finden Sie auf dem Kamin.«
»Danke.«
»Bringen Sie den Wagen zurück, aber besuchen Sie mich nicht wieder. Lucas Martino war der einzige Schüler, dessen Intelligenz ich immer bewundert habe.«
»Sie sind also nicht sicher?« fragte Rogers etwas schwerfällig. Er saß in dem gleichen Sessel, in dem ein Tag früher der Mann gesessen hatte.
»Nein.«
»Was würden Sie denn, grobgesehen, sagen?«
»Ich denke in Tatsachen. Und es ist keine Tatsache, daß er mich etwa erkannt hat. Vielleicht hat er nur so getan, aber ich hielt es nicht für zweckmäßig, ihm kleine Fallen zu stellen. Mein Bild ist mehrmals in der Zeitung erschienen. Zuletzt unter dem Titel ›Verdienter Studienrat nach langem Dienst pensioniert‹. Außerdem hatte er ja meinen Namen.«
»Er war nicht in dem Zeitungsverlag, Herr Starke.«
»Herr Rogers, Polizeidienst ist Ihre Aufgabe, nicht meine. Aber ich will Ihnen soviel sagen: wenn er ein sowjetischer Agent ist, hätte er sehr wahrscheinlich auch diesen Weg gemacht.«
»Darüber haben wir auch nachgedacht, Herr Starke. Wir haben jedoch keinerlei Anhaltspunkte gefunden.«
»Wenn der gegenteilige Beweis fehlt, ist damit noch keine Tatsache gegeben. Wenn man Sie sprechen hört, Herr Rogers, so denkt man, einen Mann vor sich zu haben, der einen anderen den Weg seiner Gedanken gehen lassen möchte.«
Rogers kratzte seinen Hinterkopf. »Danke, Herr Starke, Sie waren sehr entgegenkommend.«
»Glauben Sie mir, Herr Rogers, ich war glücklicher, bevor Sie und dieser Mann in meinem Leben auftauchten.«
Rogers seufzte. »Was könnte dem abhelfen?«
Er verließ das Haus, sprach noch einmal zu seinen Beobachtungsagenten und fuhr dann nach New York zurück.
Acht Jahre lang hatte Matteo Martinos Farm unbewohnt gelegen. Die Zäune waren aufgerissen und alle Felder von üppigem Unkraut überwuchert. Die einst leuchtende Farbe der Haus- und Scheunenwände war abgebröckelt und machte den Eindruck, als seien die Gebäude langsam zerfallende Baracken. Trotz der Versuche der Polizei, Kinder und Landstreicher von der Farm fernzuhalten, waren Wände und Türen mit Nachrichten und Schimpfworten aller Art bekritzelt. Sogar ein großer Teil der Möbel war verschwunden oder mutwillig beschädigt worden. Überall hatten sich Tümpel und Pfützen gebildet, die auch dennoch Feuchtigkeit an das Haus abgaben, als es lange aufgehört hatte, zu regnen. An der Rückseite des Hauses hatte jemand angefangen, einen Abfallhaufen aufzuschütten.
Zuerst ließ der Fremde sich ein Telefon anschließen. Dann bestellte er Nahrungsmittel, Kleidung und Werkzeuge in dem nahegelegenen Bridgetown. Niemand kümmerte sich darum, ob er berechtigt war, das Haus zu übernehmen.
In den nächsten Tagen beobachteten Rogers Agenten, wie ihr Mann schon früh am Morgen, bevor noch die Sonne aufgegangen war, an dem Haus arbeitete. Sie mußten sich mehrere Male abwechseln, bevor er spät abends Feierabend machte. Sie sahen, wie er in der improvisierten Küche seine Mahlzeiten zubereitete, wie er einen neuen Zaun um sein Eigentum setzte und immer wieder Unkraut jätete. Er machte alles allein, zunächst ein wenig langsam, dann flüssiger und schneller. Bald schien es, als wolle sein Hammer überhaupt nicht mehr ruhen.
Die alten Möbelstücke verbrannte er, als eines Tages ein Tisch, ein Stuhl und auch ein Bett bei ihm abgeliefert worden waren. Er reparierte die zerbrochenen Scheiben, sobald er Zeit dazu fand, denn zunächst galt sein Hauptaugenmerk der Scheune. Als die Scheune fertig war, bestellte er einen Traktor und einen Pflug. Einen Tag später begann er mit der Bearbeitung seiner Felder.
Er verließ nie sein Grundstück und niemand sah, daß er mit einem seiner Nachbarn sprach. Wenn er etwas benötigte, bestellte er es per Telefon und gab sogleich Anweisungen, wie und wo sein Auftrag anzuliefern war. Niemand sah ihn aus der Nähe.
12.
Lucas Martino schaute hinauf zu dem Labyrinth von Zubringerleitungen, das über seinen Kopf hinweg sein K-88 mit Brennstoff versorgte. Er konnte seine Mechaniker in der Grube unter ihm an dem dicken runden Aluminium-Tank arbeiten hören. Einer von ihnen schien zu fluchen; er hatte sich gerade seinen Kittel an einem vorspringenden Bolzen aufgerissen. Wie die Stacheln eines Igels stachen sie überall heraus. Wenn erst einmal die Serienproduktion angelaufen war, würden sie verschwunden sein. Jetzt hielt es niemand für notwendig, besonders viel Wert auf eine geschliffene äußere Form zu legen. Mit Ausnahme des Mechanikers vielleicht, der soeben seinen Anzug zerrissen hatte.
Die Mechaniker stiegen aus der Grube. Das Telefon neben Martino klingelte; es war der Gruppenleiter, der ihm berichtete, daß der Tank für den Versuch fertig sei.
»Danke, Will. Ich setze die Kühlanlage in Betrieb.«
Kurz darauf sah man, wie sich eine dünne Reifschicht über den Tank legte. Martino rief den Mechaniker an der Brennstoffzufuhr: »Alan, sind Sie fertig?«
»Ich fahre ab«, antwortete eine Stimme. »Sie haben in dreißig Sekunden volle Kraft. Viel Glück, Doktor Martino.«
»Danke, Allan.«
Martino legte den Hörer auf und sah durch sein Laboratorium. Endlich hatte er genügend Raum zur Verfügung; er brauchte nun nicht mehr unter solch engen Verhältnissen zu arbeiten, wie er es bisher in den Vereinigten Staaten hatte tun müssen. Kroenn hatte zwar errechnet, daß man den Versuch auch in Miniatur durchführen könnte, aber er hatte unrecht gehabt. Leider konnte ich ihn nie widerlegen — mir fehlte es an mathematischen Kenntnissen. Sicher, etwas Mathematik kann ich auch, aber wer ist solch ein Experte wie Kroenn? Er wurde fast wahnsinnig, als er herausfand, daß er sich vertan hatte.
Martino griff zum Mikrofon. »Achtung! Versuch!« Seine Stimme schallte durch den weiten Raum. Dann stellte er das Aufnahmegerät ein.
»Versuch eins, Experiment K-88, Serie zwei.« Er nannte das Datum. »Kraftstoffeinlaß um einundzwanzig Uhr zweiunddreißig Minuten.« Mit dem letzten Wort schaltete er die Automatik ein und beugte sich vor, um in die Tankgrube zu sehen. In diesem Augenblick explodierte die Versuchsaufstellung.
13.
New York hatte wieder einmal einen verregneten Sommer. Ein grauer Tag folgte dem anderen. Niemals gelang es der Sonne, mehr als ein paar Stunden auf die hohen Häuser der Stadt zu sehen. Irgendwie schien es, als sei auf der ganzen Welt mit einem Male das Wetter schlecht geworden. Die großen Ebenen im mittleren Westen verdörrten unter sengender Sonne. Am Äquator fiel Schnee, und überall an den Küsten rollten unheimlich drohend schwere Wasser gegen die Wellenbrecher einer früheren Generation. Immer wieder hörte man, daß übergroße Eisberge sich von der Eiskappe am Nordpol lösten, und selbst ungeübte Stadtbewohner konnten beobachten, daß die Schar der Zugvögel von Jahr zu Jahr spärlicher wurde. Aus Asien kamen Berichte über schäumende Aufstände, und aus London hieß es, daß die allgemeine Kriminalität zunehme.