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Rogers atmete tief. »Gut. Ich werde es den Leutchen da oben sagen.«

Der Mann war wieder ruhig. »Und was werden Sie dann tun? Werden Ihre Leute weiter hierherum schnüffeln?«

Rogers nickte »Es geht nicht anders. Ich werde Sie bis an Ihr Grab beobachten. Es tut mir leid.«

Der Mann zuckte mit der Hand. »Ja, natürlich. Ich habe mich schon daran gewöhnt. Schließlich habe ich nichts, was man nicht sehen dürfte.«

Das stimmt, dachte Rogers, du bist harmlos. Und ich überwache dich, also bin ich nutzlos. Ob ich wohl eines Tages auch auf einer Farm leben werde, so am anderen Ende der Straße?

Oder wagst du Bursche es nicht, die Aufgabe zu übernehmen? Hast du bei aller Perfektion diesen kleinen Fehler?

Wieder einmal war der alte Zweifel in ihm aufgestiegen. Wieder einmal hatte er sich eine der ewig sinnlosen Fragen gestellt. Immer diese Fragen und nie Antworten:

»Martino«, platzte er heraus. »Sind Sie Martino?«

Der Mann drehte seinen Kopf. Er glühte unter der schmierigen Ölschicht. Eine Weile sagte er nichts; sein Kopf ging hin und her, als suche er etwas, das er schon lange verloren hatte. Dann strafften sich seine Schultern, und mit einer Stimme, die sich eines stolzen und schwierigen Ereignisses zu erinnern schien, sagte er: »Nein!«

14.

Anastas Azarin hob das Glas lauwarmen Tees an seine Lippen, schob mit dem Zeigefinger den Löffel zur Seite und trank es in einem Zug aus. Mit einer raschen Bewegung stellte er es auf den Tisch zurück. Der Löffel klirrte. Aus dem Nebenzimmer kam sein Adjutant, füllte es wieder und verließ, ohne ein Wort zu sagen, den Raum. Azarin nickte, als der junge Mann seine Hacken zusammenschlug, und grinste ihn freundlich an. Für einen Augenblick war er ein freundlicher, offener Mann gewesen. Jetzt waren seine Züge wieder hart und undurchsichtig.

Man konnte sehen, daß er sich während seiner langen Laufbahn, die ihn immer höher gebracht hatte, dazu erzogen hatte, unpersönlich, hölzern und hart zu werden.

Er las wieder in dem Wochenbericht seines Sektors. Sein stumpfer, nikotingefärbter Zeigefinger fuhr über die Zeilen, während seine Lippen unhörbare Worte formten.

Er wußte, daß man über seinen altmodischen Samowar lachte. Aber der Adjutant wußte auch, was mit ihm geschehen würde, wenn das Glas einmal leerblieb. Daß man über seine Art zu lesen, Witze riß, störte ihn nicht.

Azarin war nie auf einer sowjetischen Akademie gewesen. Während seine heutigen Kollegen ihre Uniformen striegelten, zog er mit seinem Vater aus, um ihm beim Holzfällen zu helfen. Während sie über ihren Büchern schwitzten, überwachte er Arbeitskommandos in der Taiga. Er aß schlechten Reis in der Mandschurei und starb fast an Typhus, während sie bei ihren Frauen saßen und auf Beförderung warteten.

Jetzt hatte er einen eigenen Schreibtisch, ein eigenes Büro, einen Adjutanten, der ihm den Tee brachte und seine Hacken zusammenriß. Jetzt konnte er sie alle auslachen; sie waren ein Nichts, während er Kommandant eines ganzen Abschnittes war. Er — Anastas Azarin, Oberst des S.I.B. Er, der Gospodin Polkovnik Azarin.

Er las weiter in den Wochenberichten. Es gab nichts Neues. Wie immer paßten die Alliierten gut auf, daß ihre Grenze sauber war. Interessant war allein dieser amerikanische Wissenschaftler Martino. Was er wohl machte, dort in seinem Laboratorium?

Der Amerikaner Heywood konnte es ihm auch nicht sagen. Er hatte es zwar so eingerichtet, daß Martinos Laboratorium nahe Azarins Sektor zu liegen kam, aber das war auch alles, was er hatte tun können. Er wußte nur noch, daß Martino an einer sehr wichtigen Sache arbeitete, die ein Labor von ziemlichen Ausmaßen benötigte. Diese Sache hieß K-88. Aber er wußte nicht, wofür dieses K-88 stand.

Azarin sah finster drein. Was nützte ihm zu wissen, daß Martinos Arbeit wichtig war, wenn er nicht wußte, worum es sich handelte. Der Amerikaner Heywood war sehr geschickt mit seinen Angaben gewesen, aber in Wirklichkeit waren diese Angaben überhaupt keine Angaben. Es wunderte ihn nicht, daß ein Mann wie Heywood nur sehr wenig darüber wußte; das alliierte System war in dieser Hinsicht genauso verzwickt wie das sowjetische. Aber wer sollte die Sache übernehmen und herausfinden, was sich in Martinos Labor tat, wenn nicht Azarin selbst.

Es gab nur eine Möglichkeit: Martino ausfragen. Aber das war nicht so ohne weiteres zu verwirklichen. Niemand, selbst nicht Azarin, hätte in sein Labor hineinkommen können. Man mußte also warten, bis sich eine Gelegenheit bot, den Wissenschaftler zu entführen. Dann konnte man ihn hier herüberbringen, ihn ausfragen und wieder laufenlassen. Alles, bevor die Alliierten etwas dagegen tun konnten. Sie hätten dann ihr K-88 verloren, wie schlau dieser Amerikaner Rogers es auch anstellen würde. Aber bis dahin mußte jeder — Azarin, Novoya Moskva — und alle die anderen, die daran interessiert waren, warten.

Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Azarin griff nach dem Hörer. »Polkovnik Azarin!«

»Gospodin Polkovnik.« Einer seiner Assistenten war am anderen Ende der Leitung. Azarin erkannte seine Stimme und suchte nach seinem Namen. Er fand ihn.

»Nun, Yung?«

»Der Amerikaner Martino ist mit seinem Labor in die Luft geflogen.«

»Schick’ sofort Leute rüber. Seht zu, daß ihr den Amerikaner erwischt.«

»Sind schon unterwegs. Was sollen wir als nächstes tun?«

»Als nächstes? Hierherbringen. — Oder nein — einen Augenblick. Eine Explosion, sagten Sie? Schafft ihn ins Militär-Hospital.«

»Jawohl, Oberst. Hoffentlich lebt er. Schließlich haben wir lange genug auf diese Gelegenheit gewartet.«

»So, meinen Sie? Sehen Sie zu, daß meine Befehle sofort ausgeführt werden. Schluß.«

Verflucht! Martino mußte mindestens noch so heil sein, daß man ihn wenigstens ausfragen konnte. Was würde sonst Novoya Moskva sagen?

* * *

Der Wagen hatte kaum angehalten, als Azarin heraussprang, und die Treppe hinaufeilte. Er lief durch die Eingangshalle des Hospitals auf den dahinterliegenden Flur, wo ihn ein Arzt erwartete.

»Oberst Azarin?« fragte der kleine drahtige Mann und bog sich dabei ganz nach vorn. »Ich bin Doktor der Medizin Kothu. Sie werden mir verzeihen, ich spreche Ihre Sprache nicht sehr flüssig.«

»Dafür kann ich Ihre umso besser«, sagte Azarin. Er spürte des Doktors Überraschung, lange bevor er seinen Satz beendet hatte. »Nun, wo ist der Mann?«

»Bitte mir zu folgen.« Kothu verbeugte sich wieder und ging auf den Aufzug zu. Für einen Augenblick lag ein leichtes Lächeln auf Azarins Gesicht.

Es war immer wieder für ihn eine große Genugtuung, wenn er, der simple aussehende Azarin, beweisen konnte, daß er so gelehrt war, wie die von der Universität. Schließlich war es auch etwas, worauf man stolz sein konnte. Er lernte seine Sprachen, während er mit einer Zigarette die Blutegel von seinen Beinen brannte. In dieser Zeit saßen die anderen in der Schule und lernten ihr Einmaleins.

»Ist der Mann sehr schwer verletzt?« fragte er, als sie in einen angrenzenden Saal traten.

»Sehr? Für ein paar Minuten war er tot.«

Azarin fuhr herum und sah auf den Arzt.

Diesmal war es Kothu, dessen Gesicht ein stolzes Lächeln hervorbrachte. »Er starb im Krankenwagen. Aber glücklicherweise ist der Tod heute nicht mehr von ewiger Dauer, unter besonderen Umständen natürlich.« Er führte Azarin an ein kleines, in die Wand eingelassenes Fenster.

»Er ist jetzt schon über den Berg.« Kothu zeigte auf ein menschliches Torso, der inmitten einer Anhäufung von Apparaten unbeweglich und blutüberströmt dalag. »Sehen Sie diese Auto-Herzpumpe da? Sie sorgt jetzt für den Blutkreislauf. Die künstliche Niere auf der anderen Seite reinigt den Blutstrom. Sie müssen uns vergeben, alles ist noch ein wenig unordentlich. Wir hatten nicht viel Zeit. Aber bald werden Sie sehen, daß man sich auf eine lange Routine vorbereitet.« Azarin sah, daß weißbekleidete Helfer die Geräte umordneten. Es war offensichtlich, daß die ersten Schwierigkeiten überwunden waren. Eine Krankenschwester sah auf ihre Uhr: sie wechselte die Behälter mit fremdem Blut.